Erwähnt nicht, was auf dem Beipackzettel steht: FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl.

Foto: APA/ Georg Hochmuth

Herbert Kickl hat unerfreuliche Nachrichten – und zwar von der "Impffront", wie er sie auf einer Pressekonferenz am Dienstag nannte. Der FPÖ-Klubobmann würde sich freuen, wenn sich die Bedenken, die viele von Anfang an geäußert hätten, in Luft auflösen würden, gibt er vor. "Aber je mehr man recherchiert, desto mehr bestätigt sich dann eher der Eindruck, dass die Argumente derer, die zur Vorsicht geraten haben, mehr und mehr Oberwasser bekommen."

Kickl, der passionierte Impfgegner, richtet sich die Brille, ehe er zu seiner gefährlichen Erzählung über Verdachtsfälle von "unerwünschten" Nebenwirkungen und Todesfällen im Bezug auf Covid-19-Impfstoffe ausholt. Am Anfang wirkt das alles nachvollziehbar – das ist genau das Problem. Denn Kickl bezieht sein Wissen aus Eudravigilance, einer Datenbank der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA). "Das finden Sie im Internet", sagt er und unternimmt damit den Versuch, Vertrauen bei den Zuhörenden aufzubauen.

Die Zahlen, die Kickl dort findet, hält er für "beunruhigend". Er referiert über einige tausend Verdachtsfälle von Nebenwirkungen in Österreich im Bezug auf Covid-19-Impfstoffe, auch hunderte weltweite Todesfälle listet er auf.

Keine Wahrscheinlichkeit ablesbar

Was Kickl aber nicht dazusagt: In der Datenbank sind keine bestätigten Nebenwirkungen oder Todesfälle nach Impfungen vermerkt. Auf der Webseite wird betont, dass Verdachtsfälle auf Nebenwirkungen "nicht notwendigerweise mit dem Arzneimittel in Zusammenhang stehen oder von ihm verursacht wurden". Die Daten dürfen daher auch nicht so verstanden werden, dass es "nicht sicher in der Anwendung" sei.

Das könne nur nach einer genaueren und wissenschaftlichen Überprüfung festgestellt werden. Die Angaben von Eudravigilance "können nicht herangezogen werden, um die Wahrscheinlichkeit abzuschätzen, mit der eine Nebenwirkung auftritt", heißt es im Leitfaden zur Interpretation der dortigen Angaben. Es wird auch darauf hingewiesen, dass alle Arzneimittel Nebenwirkungen verursachen können, aber dass sie bei den meisten Patienten nach der Einnahme nicht auftreten würden. Alle Arzneimittel in der Datenbank seien nach dem Nutzen-Risiko-Prinzip geprüft und zugelassen worden.

Eudravigilance listet Meldungen über Verdachtsfälle von Arzneimittelnebenwirkungen insgesamt auf. Nun auch von Covid-19-Impfstoffen, etwa Astra Zeneca, Biontech/Pfizer und Moderna. Die Daten liefern nationale Arzneimittelbehörden, in Österreich das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG), und pharmazeutische Unternehmen.

Wie kommen diese Meldungen zustande?

Das funktioniert so: Jede Person, die nach einer Impfung eine körperliche Wahrnehmung hat und glaubt, dass die mit der Impfung zusammenhängen könnte, kann und soll das den Behörden melden. Das geht per Mail oder Post mit einem vorgefertigten Formular. Diese Meldungen werden dann begutachtet, einerseits vom BASG, andererseits vom Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz, einem Ausschuss der EMA.

Da wird dann geprüft, ob es zusätzlich zum zeitlichen Zusammenhang auch einen kausalen Zusammenhang geben könnte. Ein Sprecher des BASG erklärt das so: "Bisher wurden uns insgesamt 74 Fälle von Todesfällen in zeitlicher Nähe zur Impfung gemeldet. Man geht nach aktuellem Wissensstand davon aus, dass es bei einem einzigen davon einen kausalen Zusammenhang mit der Impfung gibt." Das ist jener Fall der 49-jährigen Krankenpflegerin, der auch in den Medien breit diskutiert wurde. "So muss man diese Daten verstehen: Wenn da 74 Todesfälle stehen, heißt das nicht, dass 74 Personen wegen einer Impfung starben."

Tatsächlich verstarben diese Leute aus folgenden Gründen: Bei vier konnte nach einer Obduktion ein Zusammenhang mit der Impfung ausgeschlossen werden. 16 verstarben an einer Corona-Infektion, die sie sich schon vor der Impfung eingefangen hatten. 30 hatten schwerwiegende Vorerkrankungen. 23 Fälle sind entweder noch in Abklärung, oder es konnten keine weiteren Informationen eingeholt werden.

Nachdem gerade ältere Personen bisher gegen das Coronavirus geimpft wurden, ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese wegen anderer Ursachen kurz nach einer Impfung sterben, vergleichsweise hoch, man spricht da von einer Hintergrundinzidenz. Die liegt bei Risikopersonen über 80 Jahren bei 3,5. Das heißt, 3,5 von 1.000 Personen sterben innerhalb einer Woche nach der Impfung – egal ob sie geimpft wurden oder nicht.

Missbrauch solcher Meldungen

Im BASG warnt man übrigens davor, Fotos von Impfpässen zu veröffentlichen, auf denen Chargennummer und der impfende Arzt oder die impfende Ärztin zu lesen sind. Denn diese Daten reichen, dass jede Person, die das Foto sieht, eine derartige Meldung machen kann – das kann die Statistik verzerren. "Nach Möglichkeit" werden die Meldungen kontrolliert, heißt es aus dem BASG dazu. Außerdem werden etwa Doubletten aussortiert, wenn zwei Ärztinnen oder Ärzte eine Meldung zum selben Patienten machen – auch so können Nebenwirkungen gemeldet werden. Aber grundsätzlich, so der Sprecher, sei das Wichtigste, dass die Meldungen niederschwellig gemacht werden können.

Kickl jedoch redet nicht von Niederschwelligkeit, sondern von Intransparenz. Nachdem seine Recherchen auf öffentlich zugänglichen Daten basieren, entkräftet sich dieser Vorwurf von selbst. Übrigens: Sogar die Impfstoffhersteller selbst sammeln derartige Meldungen, auch diese werden in Eudravigilance eingespeist. Müssen sie, dazu sind sie gesetzlich verpflichtet. Außerdem bekommen sie keine Zulassung, wenn sie kein System zur Erfassung von Nebenwirkungen haben.

Irreführung geht viral

Kickl ist mit seiner irreführenden Argumentation aber nicht allein. Wie das deutsche Recherchezentrum Correctiv erst kürzlich in einem eigenen Faktencheck schrieb, übernahm der rechte und FPÖ-nahe Wochenblick eine ähnliche Meldung von einem Blog aus Österreich. In den sozialen Netzwerken kursieren bereits Aufzählungen zu angeblichen gesundheitlichen Schäden und Todesfällen nach einer Impfung als Grafik – ohne jegliche Einordnung.

Darauf wurde auch Mimikama aufmerksam, das regelmäßig Internetmissbrauch in Österreich aufdeckt. Bei jener Grafik seien beispielsweise Nebenwirkungen hinzugezählt worden, "die zwar bei nach der Impfung Verstorbenen auftraten, jedoch nicht zwingend eine Folge der Impfung und auch nicht tödlich sind", erklärt der Verein in seiner Analyse. "Zudem besaßen viele der Fälle mehrere Nebenwirkungen und nahmen auch andere Medikamente ein; diese Fälle fließen dann mehrfach in die Zahlen der Datenbank."

Kickl betont, dass es eine freie Entscheidung bleiben sollte, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen. Mit der Art und Weise, wie er darüber informiert, untergräbt er allerdings seinen eigenen Grundsatz.

Wegen seiner Teilnahme an einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen drohen rechtliche Probleme bzw. eine Geldstrafe. Der Nationalrat wird am Donnerstag dem Wiener Magistrat eine Verfolgung des FPÖ-Fraktionschefs ermöglichen. Die entsprechenden Voraussetzungen hat der Immunitätsausschuss am Mittwoch mit Stimmen der Koalition geschaffen. (Jan Michael Marchart, Gabriele Scherndl, 21.4.2021)