Seit 2012 ist Serbien offizieller EU-Beitrittskandidat, 2007 ging das Land eine strategische Partnerschaft mit Russland ein, und in den letzten Jahren setzte es verstärkt auf wirtschaftliche Unterstützung aus China. Präsident Aleksander Vučić führt mit seiner Serbischen Fortschrittspartei (Srbska napredna stranka, SNS) bereits seit Jahren einen neoliberalen und populistischen Kurs, der sich auch außenpolitisch polarisierenden Mitteln bedient.

Für Vučić ging diese Rechnung auch in der Impfpolitik auf: Das Land auf dem Westbalkan gilt als "Impfvorreiter", denn mehr als 20 Prozent der Bevölkerung haben bereits mindestens eine Impfdosis verabreicht bekommen, 13 Prozent auch die zweite. Wohl angemerkt sei, dass in Serbien die Zahl der Neuinfektionen wieder rapide steigt und zuletzt Mitte März erneut ein Lockdown eingeleitet wurde. Das hält die Regierung nicht davon ab, mit ihrer Impfdiplomatie hofieren zu gehen. Seit dem Impfstartschuss Ende letzten Jahres werden nicht nur von der EU zugelassene Impfstoffe wie Astra Zeneca und Biontech/Pfizer, sondern auch der russische Sputnik V und chinesische Sinopharm verimpft. Zuletzt wurde auch Nichtserben und -serbinnen die Möglichkeit auf eine Impfung mit Astra Zeneca angeboten – ohne Voranmeldung oder dafür bezahlen zu müssen. Folgewirkend pilgerten zumindest eine Woche lang tausende aus Bosnien, Albanien, Montenegro und Mazedonien nach Novid Sad, Belgrad und Niš. Auch Österreicherinnen und Österreicher haben von dem Angebot Gebrauch gemacht.

Die Premierministerin Ana Brnabić bezeichnet dies als solidarischen Akt der Nächstenliebe, ganz im Sinne der bereits zuvor propagierten Nachbarschaftspolitik von Präsident Vučić, welche Impfdosen an Bosnien und Herzegowina sowie an Nordmazedonien verteilte. Im Vergleich dazu setzten Länder wie Nordmazedonien und Montenegro ihre Hoffnung lange auf das Covax-System der WHO, das Impfdosen auch an wirtschaftlich schwächere Länder verteilen soll. Mittlerweile wird auch dort mit Sinopharm (Montenegro) und Sputnik V (Nordmazedonien) geimpft. Der Handel mit Impfstoffen und deren Weiterverteilung stellen längst ein politisches Machtmittel dar, das im Sinne eines "Soft-Power"-Instruments Einfluss bringen soll.

Impfdiplomatie als Mittel zur Propaganda erster Klasse?

Russland macht es vor, und Serbien macht es nach. Nicht nur auf dem Westbalkan, sondern auch in Ländern innerhalb der EU wird bereits an Plänen gefeilt, Sputnik V mit Russlands Unterstützung selbst herzustellen. Bundeskanzler Kurz verhandelt derzeit darüber, während laut RDIF-Chef Kirill Dmitrijew mit Firmen in Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien bereits Vereinbarung getroffen wurden. Und das, obwohl es vonseiten der EU schätzungsweise erst nach Juni ein grünes Licht für die Zulassung geben soll.

Die European Medicines Agency (EMA) und sein US-amerikanisches Pendant, die US Food and Drug Administration (FDA), stellen zwei Institutionen dar, die unabhängig von den Herstellern die Zulässigkeit der Vakzine prüft. Das ist ein Thema, dass sich in Russland allein deshalb nicht stellte, da das Forschungszentrum "Gamaleya" den Impfstoff nicht nur produzierte, sondern auch gleich zugelassen hatte. In Ungarn, wo bereits mit Sputnik V und Sinopharm geimpft wird, ist der Geduldsfaden offensichtlich schon gerissen. Dass weitere EU-Länder bald nicht mehr auf die Zulassung der EMA warten, ist wahrscheinlich und mit dem Beschluss einer "nationalen Notzulassung" jederzeit möglich. Zuletzt verhinderte die Staatliche Arzneimittelkontrolle in der Slowakei, dass Sputnik V dort tatsächlich verimpft wird.

Russlands Werbetrommel für sein eigenes Vakzin scheint umso fruchtbarer zu sein, je länger wir uns durch die Pandemie schleppen. Dieses neue Instrument einer alten Strategie, die sich mit Joseph Nyes Theorie als "Soft Power" bezeichnen lässt, kennen wir mittlerweile von Russland ganz gut. Besonders in Bezug auf illiberale Politikpraktiken können wir auch eine Fortführung dieser Theorie von Keating und Kaczmarska nennen, nämlich die "conservative soft-power". Damit gemeint ist, dass politische Eliten sich bewusst von liberalen demokratischen Werten abwenden und alternativ autoritäre und konservative Führungsstile à la Putin bevorzugen. Angemerkt sei jedoch, dass im Vergleich zur großen Wirkung, Russlands Mittel zur Einflussausübung relativ ressourcensparend ausfallen.

Nordmazedonien impft mit Sputnik V.
Foto: EPA/GEORGI LICOVSKI

Das Verhältnis zwischen Russland und den Ländern am Westbalkan bietet einige Beispiele für diese informelle Machtpolitik. Seit einigen Jahren bereits gibt es verstärkte diplomatische Zusammenarbeit Russlands und der Politik in Ländern am Westbalkan. Seitens Putin erfüllt diese vor allem den Zweck, die Beziehung der Länder zur Nato und EU zu untermauern. Dennoch darf man zwei Aspekte nicht außer Auge lassen: Die Bekämpfung der Pandemie ist auch am Westbalkan kein Ruhmesblatt und so freundschaftlich der politische Ton auch sei, niemand möchte sich an Putin die Finger verbrennen in Hinblick auf einen EU-Beitritt.

Die russische Politik

Der Politikwissenschafter und Russland-Experte Dimitir Bechev beschreibt eine ganze "Toolbox" der russischen Politik, die aus drei Elementen besteht: Zwang, Vereinnahmung und eine Rolle als Störenfried (Disruption). Im Zusammenhang wird Russlands Einfluss auch oft als "Spoiler" bezeichnet. Während der Zwang ein Mittel ist, das hinsichtlich der Länder Rumänien, Bulgarien und der Türkei eine zunehmend geopolitische Rolle spielt (vor allem seit der Annexion der Krim-Halbinsel), stehen auf dem Westbalkan die anderen beiden Machtinstrumente im Vordergrund. Im Energiesektor Serbiens, Montenegros und der Republika Srpska (der bosnisch-serbisch dominierten Entität von Bosnien und Herzegowina), ist Vereinnahmung seitens Russlands bereits seit den 2000ern zu beobachten. Gazprom und Zarubezhneft sind russische Ölfirmen, die in den Regionen ein Quasimonopol haben.

Das lässt sich gut mit der dritten kulturell-religiösen Einflusssphäre kombinieren, in der Disruption das Mittel zum Zweck ist. Die wichtigsten Dimensionen, in denen Disruption ansetzt, sind die Medien und die orthodoxe Kirche. Im Vergleich zur ehemaligen Sowjetunion, unter der offizieller Staatsatheismus und die Vermittlung der kommunistischen Ideologie praktiziert wurde, bekam der propagierte Panslawismus vor allem seit den 2010er-Jahren einen religiös-diplomatischen Anstrich. Das Image gemeinsamer orthodoxer Werte wird nicht nur von Politikern wie Vučić in Serbien oder Milorad Dodik in Bosnien gefördert, sondern auch von russischen Oligarchen wie Konstantin Malofeev und Medien wie Sputnik Srbija oder Pink TV.

Der Einfluss auf dem Balkan

Ein bekanntes Beispiel für Versuche Russlands verstärkte westliche Beziehungen in der Region zu verhindern zeigte sich 2017 im Falle Montenegros im Vorfeld seines Nato-Beitritts. Obwohl die direkte Verbindung nicht geklärt ist, weiß man, dass prorussische Medien die Antiregierungsproteste während der Parlamentswahlen zwei Jahre vor dem Beitritt, nämlich im Oktober 2015, unterstützten.¹ Die Affäre endete mit der Verurteilung von vierzehn Personen, wovon zwei russische Staatsbürger waren, die als russische Militärspione gearbeitet hatten.

Ein anderes Beispiel ereignete sich im Zuge der Proteste um das Prespa-Agreement, das den jahrzehntelangen Disput zwischen Nordmazedonien und Griechenland löste und Nordmazedonien die Türen zum Nato-Beitritt (2020) öffnete sowie eine Annäherung an die EU ermöglichte. Dabei spielte der russische Unternehmer Ivan Savvidis eine tragende Rolle, der den lokalen Sportclub PAOK und Medien auf nordmazedonischer Seite unterstützt, sowie Projekte zur Förderung der Infrastruktur in Griechenland. Zweiteres brachte ihm erheblichen Einfluss in der Gemeinschaft der im Norden Griechenlands ansässigen pontischen Griechinnen und Griechen, sowie bei radikal nationalistischen Gruppierungen. Die Proteste, die auf beiden Seiten indirekt von Russland unterstützt wurden, änderten schlussendlich jedoch nichts an der Umsetzung des Abkommens.

So chaotisch die Details dieser Beispiele sein mögen, so klar zeigt sich trotzdem das Muster einer Politik, die auf ressourcensparende indirekte Einflussnahme setzt und zu Disruptionen führt. Der Fakt, dass Russland mittlerweile selbst erst einen Bruchteil seiner Bevölkerung geimpft hat und Putin lange darauf warten ließ, sich selbst seiner ersten Impfdosis zu unterziehen, lässt Raum für Spekulationen. Das von der EU verabschiedete Covid-19-Finanzpaket von 3,3 Milliarden Euro für den Westbalkan tilgt damit aber auch nicht die steigende Beliebtheit von Russlands Impfpolitik. Informelle Machenschaften sind Teil dieser Politik. Das ist ein Aspekt, den sich die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten inklusive Österreich vor Augen führen müssen. (Elisabeth Bauer, 26.4.2021)