Ein direkter Blickkontakt erregt die Aufmerksamkeit, was die zeitliche Wahrnehmung beeinflusst.

Foto: Petra Bensted

Der Blickkontakt ist essenzieller Bestandteil jeder zwischenmenschlichen Kommunikation – auch seine Abwesenheit wird registriert und mit Bedeutung versehen. Nur wenige andere nonverbale Ausdrucksformen lassen buchstäblich so tief blicken, geben so viel preis. Die Ankunft des Mundschutzes im beruflichen und privaten Alltag ließ freilich jeden am eigenen Leib spüren, wichtig auch der Rest des mimische Ausdrucksrepertoires ist, damit die eigenen Blicke nicht für Missverständnisse sorgen.

Berauschender Augenkontakt

Kein Wunder also, dass sich auch die Wissenschaft in der Vergangenheit viel mit dem Augenkontakt beschäftigt hat, nicht zuletzt dank seines Bedeutungsgewinns in Zeiten einer Pandemie. So stellten etwa Forscher vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI) in Leipzig fest, dass eine Kombination aus Blickreiz und Bewegungsreiz beim Gegenüber besonders stark wirkt. Doch das Schauen allein reicht auch schon für beeindruckende Effekte: Blickt man einem Menschen für zehn Minuten in die Augen, soll das Drogenrausch-ähnliche Zustände zur Folge haben.

Damit ein Augenkontakt noch als angenehm empfunden wird, sollte er übrigens im Schnitt nicht länger als 3,3 Sekunden dauern. Das zumindest haben britische Neurologen bei einer Reihe von Experimenten gemessen. Japanische Wissenschafter wiederum klärten, warum wir manchmal den Blickkontakt unterbrechen wollen: weil eine solche geradezu intime Verbindung so viel Gehirnkapazität in Beschlag nimmt, was die Verarbeitung von Wörtern erschwert.

Veränderte Zeitwahrnehmung

Auch die Wahrnehmung von Zeitabläufen verändert sich während des Augenkontakts, wie zwei Genfer Forscher im Rahmen einer aktuellen Untersuchung herausgefunden haben. Das könne sogar dazu führen, dass während des Blickkontakts vorübergehend die Zeit stillzustehen scheint – ein Hinweis, wo im Gehirn der Blickkontakt primär wirkt.

Die wahrgenommene Zeitdauer variiert erfahrungsgemäß je nach Situation. So sorgen emotionale Reaktionen etwa dafür, dass die Zeit gefühlt schneller vergeht. Aufmerksamkeit hingegen lässt die Zeit langsamer verstreichen. Diese Theorie machten sich Nicolas Burra und Dirk Kerzel in Experimenten nun zunutze: Sie untersuchten, wie Menschen direkten Blickkontakt wahrnehmen.

In Gesichter schauen

In einem ersten Experiment setzten sie 22 Studienteilnehmende vor einen Bildschirm, auf dem rund 300 Gesichter erschienen: Manche der Gesichter stellten direkten Blickkontakt her, die anderen schauten an den Probanden vorbei. Sie mussten anschließend abschätzen, wie lange die Interaktion zwischen ihnen und dem virtuellen Gesicht jeweils gedauert hatte.

"Während abgewandte Blicke unsere Zeitwahrnehmung nicht verzerren, fanden wir im Gegenteil heraus, dass die Teilnehmer die Dauer dieser Blickkontakte systematisch unterschätzten, wenn sich die Blicke kreuzten", sagte Burra. Daraus schließen er und seine Kollegen, dass der Blickkontakt primär das Aufmerksamkeitssystem und nicht das emotionale System beeinflusst, wie sie im Fachmagazin "Cognition" berichten.

Starrer Ausdruck ohne Effekt

Ein anderer Versuch zeigte, dass der Zeitverzerrungseffekt auch stattfand, wenn die Teilnehmenden nur Augen sahen – eine Situation, die der sozialen Interaktion mit Masken ähnelt, so die Wissenschafter. Allerdings beobachteten die Forscher, dass der Effekt nur eintrat, wenn sich die Augen der virtuellen Gesichter bewegten, bei starren Gesichtsausdrücken hingegen nicht. Die Autoren merkten an, dass es interessant wäre zu verstehen, wie sich direkte Blicke auf Menschen mit Aufmerksamkeitsstörungen wie Autismus oder Schizophrenie auswirken. (red, APA, 21.4.2021)