Von Desktop-Oberflächen bis zu grafischen Toolkits und darunter liegenden Bibliotheken: Die Vielfalt an unterschiedlichen Lösungen hebt den Linux-Desktop bereits seit seinen Anfängen von anderen Systemen ab. Ob man dies als Vor- oder Nachteil betrachtet, ist dabei nicht zuletzt eine Frage des Betrachtungswinkels. Denn während es dadurch für so ziemlich jeden Geschmack etwas Passendes gibt, führt dies auch zu einer gewissen Zersplitterung der Softwarewelt. Und das gilt nicht nur für Anwendungen, selbst bei Basistechnologien sind sich die unterschiedlichen Distributionen nicht immer einig.

Richtungsweisend

Insofern ist das gerade angekündigte Ubuntu 21.04 "Hirsute Hippo" ein großer Schritt in Richtung Vereinheitlichung, vollzieht die von Canonical zusammengestellte Software damit doch offiziell den Wechsel von X.org auf Wayland. Wer mit diesen Begriffen nichts anfangen kann: Dabei handelt es sich – sehr vereinfacht gesprochen – um zwei unterschiedliche Arten, die Geschehnisse am Bildschirm darzustellen. Ohne sie würde es also schlicht keine Desktop-Anzeige geben.

Ubuntu 21.04 samt Firefox und Firecat.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Hintergrund

Nun ist der X.org-Server bereits etwas älter, das zugrundeliegende X Window System (X11) geht bereits auf die Achtzigerjahre zurück. In diesem Verlauf wurde es zwar mehrfach modernisiert, trotzdem zeigten sich über die Jahre gewisse strukturelle Schwächen. Dazu gehört einerseits ein sehr komplexer Code, der für viele kaum mehr überschaubar ist und der auch die Teilnahme von externen Entwicklern erschwert. Nicht zuletzt hat die X-Architektur aber auch ein nicht zu unterschätzendes Sicherheitsproblem: Jedes Programm hat Zugriff auf den gesamten Grafikspeicher und könnte damit auch etwa Passworteingaben bei anderen mitlesen. In der Praxis ist dieses Thema zwar etwas komplizierter, weil es auch mit anderen Baustellen am Linux-Desktop zu tun hat, trotzdem ist Wayland ein wichtiger Schritt, um den Linux-Desktop gleichermaßen sicherer und moderner zu machen.

Dies wirft unweigerlich die Frage auf: Warum ist dann Ubuntu nicht früher auf Wayland gewechselt? Immerhin ist dessen erste Version mittlerweile auch bereits deutlich mehr als zehn Jahre alt. Zudem bevorzugen andere Distribution – wie etwa Fedora – schon länger Wayland. Nun: Ubuntu hat es schon einmal probiert, und zwar mit der Version 17.10. Angesichts dessen, dass Wayland damals aber noch einige funktionelle Defizite im Vergleich zu X.org aufwies, wurde diese Entscheidung in der Folgeversion aber wieder rückgängig gemacht. Mittlerweile sind diese weitgehend ausgeräumt – so geht via Pipewire nun auch das Teilen des Bildschirminhalts reibungslos.

Äußerlich macht der Wechsel von X.org auf Wayland keinen Unterschied, immerhin geht es dabei ja nur um die Basistechnologie für den eigenen Desktop. In den Systeminformationen lässt sich aber nachlesen, was läuft.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Kein kompletter Bruch

Mit Ubuntu 21.04 wird nun also Wayland von Haus aus genutzt. Das bedeutet aber nicht, dass das alte X.org verschwunden ist. Wer dieses einsetzen will, kann es weiter über den Login-Screen manuell auswählen. Zudem gibt es mit XWayland eine Kompatibilitätslösung, die dafür sorgt, dass alte, auf X ausgerichtete Programme problemlos weiterlaufen. Bis die letzten Reste von X.org aus dem Linux-Desktop verschwinden, dürften also noch einige Jahre vergehen.

Der böse Name: Nvidia

Die zentrale Einschränkung in Hinblick auf Wayland trägt dabei einen Herstellernamen: Nvidia. Dessen Treiber arbeiten derzeit noch immer nicht voll mit Wayland zusammen. Allerdings soll sich dies in den kommenden Monaten mit einer neuen Treibergeneration ändern, bis dahin können die betreffenden Systeme einfach wie gewohnt mithilfe von X.org betrieben werden.

Der Zeitpunkt des Wechsels ist dabei durchaus wohlüberlegt. Immerhin will man damit auch ein Zeichen setzen, dass die nächste "Long Term Support"-Version des eigenen Desktops, die in einem Jahr ansteht, mit Wayland laufen wird. Insofern ist dies auch als Aufforderung an Entwickler zu verstehen, ihre Programme, wenn nötig, anzupassen.

Gnome Nicht-40

Eigentlich stünde mit Ubuntu 21.04 noch ein zweiter großer Wechsel an: jener auf Gnome 40 und damit eine umgestaltete Desktop-Oberfläche. Doch Canonical hat sich gegen diesen Schritt entschieden. Dies vor allem, weil man die neue Version selbst, aber auch die eigenen Veränderungen daran noch nicht ausreichend testen konnte. Immerhin modelt Ubuntu den Gnome-Desktop an einigen Stellen um, um einen zum alten Unity-Desktop ähnlichen Stil mit seitlich platziertem App-Starter zu erhalten.

Es geschehen Wunder, Drag and Drop zum Desktop geht nun richtig.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Das Ergebnis ist jedenfalls, dass die neue Ubuntu-Version nun eben mit einem alten Gnome 3.38 ausgeliefert wird. Doch es geht dabei nicht nur um die Kern-Oberfläche, auch zentrale Programme wie Dateimanager, Softwarezentrale oder Dokumentbetrachter verharren in einer veralteten Version. Nur einzelne Tools wie den Taschenrechner oder den Bildbetrachter gibt es in aktueller Ausgabe.

Problembehebung

Dafür bereinigt Ubuntu aber zumindest eines der nervigsten Probleme am eigenen Desktop. Und zwar wörtlich. Jene Gnome-Erweiterung, die für das Management von Dateien direkt am Bildschirmhintergrund zuständig ist, wurde umgeschrieben. Dadurch funktioniert nun auch das "Drag and Drop" zwischen Anwendungsfenster und Desktop-Oberfläche zuverlässig. Eine weitere Neuerung ist ein überarbeitetes Dark Theme, das in Kooperation mit der Community entwickelt wurde. Zudem wurden auch einige Anwendungs-Icons umgestaltet.

Privates Zuhause ist jetzt privat

Eine aus einer Privatsphärensicht essenzielle Änderung nennt sich "Private Home Directories". Denn wie vielen nicht bewusst sein dürfte, waren bisher die Home-Verzeichnisse der User – und damit ihre privaten Daten – für alle am System lesbar. Das mag für ein Einzelnutzersystem keine große Rolle spielen, bei Multi-User-Set-ups sieht das schon anders aus. Bestehende Ubuntu-User seien darauf hingewiesen, dass dies natürlich nur für Neuinstallationen gilt. Bei einem Update auf die neue Version ändert sich an diesen Berechtigungen hingegen nichts, dies müsste man – wenn gewünscht – schon manuell via chmod vornehmen. Weitere Informationen dazu gibt es in einem Blogeintrag von Canonical. In diesem wird dann auch explizit davor gewarnt, dass der Wechsel in seltenen Fällen zu Schwierigkeiten führen kann, etwa wenn global laufende virtuelle Maschinen im Nutzerverzeichnis gespeichert sind. Aber auch hier gibt es Abhilfe.

Das Hippo aus dem Codenamen von Ubuntu 21.04 prägt das Default-Wallpaper.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Vermischtes

Die restliche Softwareausstattung fällt erwartungsgemäß aus. Die Kernpunkte bilden Firefox 87 und Libre Office 7.1.2.2. Die Grundlage des gesamten Systems stellt Linux 5.11 dar – und damit die derzeit – gerade noch – aktuellste Version des Kernels. Diese bringt die üblichen Verbesserungen beim Hardware-Support, aber auch so manche Performance-Optimierung – etwa bei Dateisystemen oder auch für Grafikkarten der Radeon-RX6800-Reihe. Für Entwickler interessant: Das inkludierte Python wurde auf die Version 3.9 gehoben. Ebenfalls neu: Bei der Installation ist es jetzt möglich, das Ubuntu-System direkt in eine Active-Directory-Domäne einzufügen.

Download

Ubuntu 21.04 kann wie gewohnt kostenlos von der Seite des Projekts heruntergeladen werden. Bestehende Systeme können über die integrierte Softwareaktualisierung auf den neuen Stand gebracht werden. Wie gewohnt gibt es parallel dazu auch wieder neue Versionen für Server, Internet der Dinge und Cloud-Installationen. Zudem sind auch diverse Varianten mit anderem Desktop erhältlich, die Palette reicht von Kubuntu über Ubuntu Mate bis zu Ubuntu Budgie und Lubuntu.

Fazit

Auch wenn die großen sichtbaren Veränderungen in Ubuntu 21.04 weitgehend ausbleiben, so weist die neue Version doch in die Zukunft. Gleichzeitig gibt es für bestehende User nur wenig Grund zu aktualisieren. Ausgenommen natürlich jene, auf deren Rechner gerade Ubuntu 20.10 läuft, für das der Support bald ausläuft. Diese haben dadurch nämlich schlicht keine andere Wahl. Wer hingegen auf der Long-Term-Support-Schiene läuft, der findet wenig Grund, diese für die neue Version zu verlassen. (Andreas Proschofsky, 22.4.2021)