Rund 10.000 Menschen protestierten am 31. Jänner gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung. Für einen Niederösterreicher und seinen Sohn endete der Besuch in der Hauptstadt vor Gericht.

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Wien – Am 31. Jänner machten Herr T. und sein 20-jähriger Sohn einen Ausflug aus ihrer niederösterreichischen Heimatgemeinde nach Wien. Nun sitzen die beiden Unbescholtenen vor Richterin Alexandra Skrdla. Die Geschichten, die die unbescholtenen T.s erzählen, sind nachgerade drollig: Der Ältere sagt, er sei in die Bundeshauptstadt gekommen, um einen Gottesdienst zu besuchen. Der im elterlichen Haus wohnende Sohn behauptet, er wollte einfach wieder einmal Zeit mit seinem irdischen Vater verbringen. Dass sie in eine untersagte Kundgebung von Nicht-mit-den-Corona-Maßnahmen-Einverstandenen gerieten, sei quasi Zufall gewesen, dass sie von Polizisten festgenommen wurden, ungerechtfertigt.

Aber der Reihe nach. "Was machen Sie am 31. Jänner in Wien?", fragt Skrdla den 49 Jahre alten Erstangeklagten. "Ich wollte mir den Gottesdienst anschauen. Die Prozession, die angekündigte." Dabei handelte es sich um eine Veranstaltung, vor der die Erzdiözese Wien im Vorfeld gewarnt hatte – die Kirche ging davon aus, dass religiöse Gründe für eine Kundgebung nur vorgegeben wurden.

Stärkung am Würstelstand

Interessanterweise wusste Herr T. in seiner Darstellung gar nicht genau, wo dieser Gottesdienst hätte stattfinden sollen. Am Ring stärkte sich das Duo zunächst bei einem Würstelstand und beobachtete die Szenerie. Tausende Menschen standen dort. "Was waren das für Leute?", fragt die Richterin. "Quer durch die Gesellschaft", antwortet der Erstangeklagte. Transparente will er kaum gesehen haben, sonderlich religiöse Handlungen ebenso wenig.

Dennoch habe er nicht aufgegeben, behauptet er. Er habe zwar niemanden gefragt, wo denn nun die Messe stattfinde, sei aber mitgegangen, als sich die Masse in Bewegung setzte. "Das waren Tausende." – "Tausende Menschen gehen zu einem Gottesdienst? Gehen Sie sonst regelmäßig in die Kirche?", fragt Skrdla den Arbeitslosen. "Nein. Aber ich war noch nie bei einer Messe im Freien", liefert T. als Begründung.

Mit Sturmhaube und Bomberjacke

Die mangelnde Erfahrung mit kirchlichen Feierlichkeiten erklärt vielleicht auch seine Adjustierung: Bomberjacke und schwarze Sturmhaube. "Die war mein Maskenersatz", behauptet der Erstangeklagte. Er und sein Sprössling seien jedenfalls im vorderen Drittel des Zuges mitgetrottet. "Wo gehen Sie dann hin mit den Leuten auf der Suche nach dem Gottesdienst? Sind die schweigend in Gedanken an Gott gegangen?", interessiert Skrdla. "Manche haben auch geschrien." – "Was? Ich liebe Gott!?" – "Nein, auch Regierungskritisches."

Da der Weg vom Museumsplatz Richtung Getreidemarkt durch einen Polizeikordon abgesperrt war, bog die Menge in die Mariahilfer Straße ein. Auf Höhe der Stiftsgasse seien Polizisten gestanden, schildert der Erstangeklagte. Er sei von Nachkommenden gegen die Menschenkette gedrängt worden, dann setze seine Erinnerung aus, bis er auf dem Boden gelesen sei. "Ich war vorher noch nie auf einer Demonstration. Ich bin ja kein Berufsde...", verdeutlicht T. noch, dass er überfordert gewesen sei.

"Nur aus Spaß" davongelaufen

"War danach noch was?", fragt die Richterin weiter. "Als ich auf dem Boden gelegen bin, habe ich mir die Sturmhaube heruntergerissen, da ich keine Luft bekommen habe." Auch als ihn Polizisten zur nahegelegenen Polizeiinspektion bringen wollten, habe er seine Atemnot artikuliert. Die Beamten ließen ihn daraufhin los – und T. rannte davon. Aufgrund mangelnder Fitness wurde er rasch eingeholt und sagte: "Es war nur Spaß." Vor Gericht sagt er dazu: "Warum ich das gemacht habe, weiß ich nicht."

Zur Entlastung seiner Mandanten und zum Unmut Skrdlas – die davon im Vorfeld nichts wusste – legt Verteidiger Johannes Wolf ein Video aus dem Internet vor. "Aus dem ergibt sich ein ganz anderes Bild", kündigte Wolf schon in seinem Eröffnungsplädoyer an. Wolf weist auch darauf hin, dass der ältere T. sich bei der Aktion einen Nasenbeinbruch zugezogen habe. "Ich möchte jetzt keine Parallelen zu Amerika ziehen, aber Herr T. wurde schwer verletzt", zieht der Verteidiger doch recht eindeutig Parallelen.

Anklage auf tönernen Füßen

Das Filmmaterial ist tatsächlich interessant. Denn einerseits zeigt es, dass die Anklage gegen die T.s wachsweich ist. Vorgeworfen wird ihnen als Widerstand gegen die Staatsgewalt nämlich, dass sie im bewussten und gewollten Zusammenwirken eine Polizeisperre bei der Stiftskirche durchbrochen hätten. Auf der Aufnahme ist aber zu sehen, dass noch keine durchgehende Postenkette die Mariahilfer Straße absperrte. Wie es einer der beteiligten Polizisten als Zeuge klar sagt: "Wir waren extrem wenig Leute."

Allerdings ist auch klar erkennbar, was in der Zeit des angeblichen Blackouts des Erstangeklagten geschah. Er überwindet die Kette, bleibt stehen und dreht sich Richtung der Polizisten um. Plötzlich beginnt er Richtung stadtauswärts zu laufen, während sich eine körperlich schwächere Beamtin von hinten an ihn klammert. Andere Polizisten kommen zu Hilfe, eine Bewegung lässt auf einen Schlag T.s gegen einen Polizisten schließen. Dann wird er von drei, vier Beamten gebändigt und zu Boden gebracht. Sein Sohn schubst von der Seite kommend zweimal einen Uniformierten weg, ehe auch er festgenommen wird.

Wenig Kontakt trotz gemeinsamen Wohnsitzes

Der Sohn sagt als Zweiangeklagter, die Schubserei tue ihm leid, er lehne Gewalt ab. Aber er habe Sorge um seinen Vater gehabt. Der sei schließlich auch der Grund seines Aufenthalts gewesen. "Ich wollte mit meinem Vater einfach wieder einmal Zeit verbringen. Meine Mutter ist schwer krank, wir sehen uns kaum", erklärt er. "Moment. Sie wohnen im selben Haus wie Ihre Eltern. Warum sehen Sie sich dann kaum?", fragt Skrdla den Lehrling. "Weil ich entweder arbeite oder im Homeoffice Überstunden mache, um meinen Job nicht zu verlieren", erläutert der 20-Jährige.

Am Gottesdienst sei er weniger interessiert gewesen, er will am Ring zumindest erkannt haben, dass es sich um eine Demonstration handeln könnte. "Aber ob das Linke oder Rechte oder Regierungskritiker waren, wusste ich nicht", behauptet er. Dass beispielsweise Transparentaufschriften wie "Kurz wegkickln" eher nicht für einen Betriebsausflug der Schmid AG sprechen, scheint ihm nicht bewusst gewesen zu sein.

Der Zweitangeklagte erzählt auch, er habe auf der Mariahilfer Straße zu seinem Vater gesagt, man solle schauen, aus dem Pulk wegzukommen. Aktiv durch eine Polizeisperre gedrängt habe er sich dort aber nicht, beteuert er.

Freispruch im Zweifel und Geldstrafe

Skrdla spricht den jüngeren T. am Ende auch im Zweifel frei. Die Sperre sei nicht so dicht gewesen, der Zweitangeklagte sei möglicherweise einfach durchspaziert. Der Staatsanwalt wiederum hat im Prozessverlauf die Anklage nicht modifiziert, die beiden auf dem Video ersichtlichen Schubser des Zweitangeklagten gegen Polizisten seien daher nicht Prozessgegenstand.

Anders ist es beim Vater: Er wird wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und schwerer Körperverletzung zu 200 Tagessätzen à zehn Euro, insgesamt also 2.000 Euro Geldstrafe, verurteilt, zusätzlich muss er dem von ihm geschlagenen Polizisten 330 Euro Schmerzengeld zahlen. "Ich glaube Ihnen kein Wort, dass Sie zu dem Gottesdienst wollten", zürnt die Richterin. "Wenn Sie schon so großes Interesse daran haben, schauen Sie sich Urbi et Orbi an, das ist auch im Freien." Die Angeklagten akzeptieren die Entscheidung, der Ankläger gibt keine Erklärung ab, die Urteile sind daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 21.4.2021)