Christiane Druml ist die Vorsitzende der Bioethikkommission. Sie betont, dass es kein Privileg sei, Grundrechte zurückzubekommen.

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Eines stellt die Bioethikkommission in ihrer aktuellen Stellungname zu Impffreiheiten unmissverständlich klar: Was die Freiheitsbeschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie betrifft, müssen diese aufgehoben werden. Zumindest, wenn "keine zwingenden praktischen Gründe dagegensprechen".

Die Gretchenfrage allerdings ist: Wann ist dieser Zeitpunkt erreicht, an dem Freiheitsbeschränkungen nicht mehr länger zulässig sind? In den nächsten Wochen werden zwar immer mehr Menschen eine Impfung erhalten, doch das Verhältnis zwischen Nichtgeimpften und Geimpften wird noch mehrere Monate lang sehr unausgeglichen sein. Und sofern die aktuellen Pläne halten, wird es noch im Mai zu größeren Öffnungsschritten kommen – darunter auch im Bereich der Gastro.

Kein Privileg

Es ist absehbar, dass sich dann auch der Druck, mehr zu öffnen bzw. auch Nichtgeimpfte weniger Beschränkungen zu unterwerfen, politisch und gesellschaftlich erhöhen wird. Für das Gesundheitssystem bestehen jedoch Risiken – auch dann, wenn die Risikogruppen bereits durch eine Impfung geschützt sind.

Aus Sicht der Ethikkommission stellt die individuelle Rücknahme von Maßnahmen jedenfalls keine "Privilegierung" dar, sondern die Rückkehr zur Normalität. In ihrer Begründung dieser Ansicht wird sie recht deutlich: "In unserer Rechts- und Werteordnung ist Freiheit (...) kein Geschenk des Staates (...). Vielmehr darf der Staat Freiheit nur dann und nur insoweit beschränken, als dies zur Erreichung eines legitimen und gleichfalls (...) grundrechtlich abgesicherten Ziels erforderlich und verhältnismäßig ist." Besonders in Alten- und Pflegeheimen seien die Einschränkungen nach erfolgter Impfung "so schnell wie möglich" aufzuheben.

Einschränkungen nicht mehr gerechtfertigt

In den Empfehlungen spiegelt sich dazu das wider, was Kommissionsvorsitzende Christiane Druml seit Monaten fordert: Sobald klar ist, dass Menschen durch eine Impfung vor schweren Verläufen geschützt werden und sie zumindest einen "gewissen" Schutz davor haben, das Virus weiterzugeben, "rechtfertigt die potenzielle Erkrankung einzelner Personen grundsätzlich die Aufrechterhaltung freiheitsbeschränkender Maßnahmen nicht mehr".

Die Empfehlungen gehen sogar noch weiter: Es wäre verfehlt, eine Rücknahme von Freiheitsbeschränkungen für immunisierte Personen erst dann einzuleiten, "wenn zweifelsfrei erwiesen ist, dass eine immunisierte Person das Covid-19-Virus nicht übertragen kann". Solange der Stand der Wissenschaft berücksichtigt wird, so argumentiert die Kommission, müssten Freiheitsbeschränkungen also schon zurückgenommen werden, bevor diese Fragen endgültig geklärt sind.

Sie begründet es so: Zum einen schütze jede Immunisierung nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, und auch sonst könne nicht der "generell zweifelsfreie Nachweis" verlangt werden, dass von einer Person keine Gefahr für die Gesellschaft ausgehe. Und damit wird ein heikler Punkt angesprochen. Denn obgleich die Wahrscheinlichkeit als hoch gilt, dass immunisierte Personen nicht mehr ansteckend sind, ist es doch nicht zweifelsfrei erwiesen.

Schon jetzt brauche es Gleichstellung

Was das angeht, so kritisiert die Kommission die geltende Rechtslage: Denn dort sei zwar festgeschrieben, dass von Getesteten oder Genesenen eine "geringere epidemiologische Gefahr" ausgehe, nicht aber, dass das auch für Geimpfte gelte. "Eine Gleichstellung muss im Lichte des Gleichheitsgrundsatzes jedoch in jede Richtung gelten", schreibt da die Kommission. Eine solche Gleichstellung war von der Regierung eigentlich geplant gewesen, der Bundesrat verzögerte die Gesetzesänderung aber bis Ende Mai.

Die Kommission jedenfalls ist der Ansicht, das würde etwa bedeuten, "dass Restaurant- oder Konzertbesuche, Beherbergungen, die Nutzung von Sportstätten" – also all jene Aktivitäten, bei denen der Einlass kontrolliert werden kann – "für immunisierte Personen ermöglicht werden müssen". Eine Maskenpflicht oder Abstandsregeln sollten hingegen nach Ansicht der Kommission auch für Immunisierte gelten, solange sie für alle gelten.

Demoralisierung als Grenze

Doch man räumt Grenzen ein: dann nämlich, wenn eine Kontrolle von Freiheiten für Einzelne nicht mehr praktikabel sei oder wenn diese eine Demoralisierung der anderen zur Folge hätten. Was die Kommission aber nicht als Argument gelten lässt: Dass es bei Freiheiten für Geimpfte um eine unzulässige Diskriminierung gehe. Eine solche sei es nur dann, wenn etwa die Deckung von Grundbedürfnissen und der Zugang zu unbedingt notwendigen Einrichtungen der Daseinsvorsorge von einer Impfung abhänge. Das müsse auch allen anderen Personen weiter ermöglicht werden, dafür müssten unbedingt sowohl in der Stadt als auch auf dem Land Tests angeboten werden.

Zwar seien Solidaritätsbekundungen gesellschaftlich wichtig, hält die Kommission außerdem fest – zum Beispiel, wenn immunisierte Personen auf gewisse Dinge freiwillig verzichten. Wirklich gelöst werden könne das Problem aber nur durch Strategien wie rasche Impfungen und ausreichenden Impfstoff. In diesem Punkt muss sich die Regierung immer wieder Kritik gefallen lassen: So wurde bei der Impfstoffbestellung nicht alles ausgereizt, was geht – und auch was das Tempo angeht, konnten vergangene Versprechen nicht gehalten werden.

Wie der grüne Pass aussehen soll

Was den grünen Pass betrifft, also jenes Instrument, das eine schrittweise Öffnung ermöglichen soll und in dem alle Nachweise gebündelt werden sollen, hält die Kommission fest: Zu einer digitalen Version müsse eine analoge Alternative geboten werden. Überhaupt seien "Offline-Verifikationsmechanismen" zu bevorzugen. Wiewohl, das wird ebenfalls festgehalten, der Pass mit den EU-weiten Plänen kompatibel sein solle.

Alle Überlegungen zu Impffreiheiten und dem grünen Pass sind jedoch dann hinfällig, wenn es keinen wirkungsvollen Impfstoff gibt. Die Bioethikkommssion reiht daher an Punkt eins ihrer Empfehlungen, dass ein solcher möglichst rasch bestellt werde, den Zusatz, das müsse "für die nächsten Monate höchste politische Priorität" haben. Und: Schon jetzt müssten Österreich und die EU dahingehend planen, dass für den Fall, dass die aktuell bestellten Impfstoffe nicht gegen Mutationen wirken sollten, dennoch genügend Impfstoff vorhanden sei. (Vanessa Gaigg, Gabriele Scherndl, 22.4.2021)