"Weine nicht, das befeuchtet mein Gesicht zu sehr." International Music rühren die Herzen auch mit sich den eigenen Emotionen öffnenden Ballaballa-Balladen.

Foto: Harriet Meyer

Mit ihrem neuen Album Ententraum verweist die fabelhafte Essener Weltklasseband International Music auf einen wichtigen Aspekt der neueren Philosophiegeschichte. Dem bayerischen Jahrhundertdenker Karl Valentin träumte nämlich in der Szene Der Ententraum einst, ja, eben eine Ente zu sein. Mit einem 20 Zentimeter langen gelben und sehr schmackhaft wirkenden Wurm im Auge wurde er allerdings von seiner Partnerin Liesl Karlstadt damals kurz vor dem Schnabulieren brutal aus dem Schlaf gerissen.

Schlafgrantig hob darauf eine um das Wesen des sogenannten Selbst- oder Eigentlichseins kreisende Betrachtung Valentins darüber an, wer wen und überhaupt warum träumt – und ob der Mensch sich im Traum trotz des Entenavatars wie im realen Leben auch nicht eigentlich vor einem Wurm grausen müsste. Pfui Teufel, träumt man da als normaler Mensch. Wer sich allerdings in eine Ente ganz ohne Vorurteile ernsthaft hineinzudenken vermag, der wird womöglich die diesbezüglichen Vorbehalte abbauen und sein geistiges Spektrum erweitern können!

Die schönen Künste

Nicht nur Karl Valentin ist dem aus dem universitären Umfeld kommenden Trio International Music aus dem schönen Ruhrpott bekannt. In der Höhle der Vernunft, so ein Songtitel des neuen Albums, geht es neben der Philosophie auch um eine Aufarbeitung autobiografisch konnotierter popmusikalischer Gesellenjahre. Spezialgebiet: einmal alles.

International Music

Krachiger Stop-and-go-Nonsens wie Der Traum der Ente oder die abgebrüht klingende, an die glorreiche Krautrock-Gruppe La Düsseldorf aus den 1970er-Jahren erinnernde Weltumarmungshymne Wassermann stehen dafür. Im Opener Fürst von Metternich treffen Lou Reed und The Velvet Underground auf ein Glaserl Schaumwein und moderne Beatmusik für die jungen Leute von heute. Im Hintergrund tschingeln und tschängeln die Gitarren.

Irgendwie klingt es in Essen auch stark verhallt. Die Insel der Verlassenheit beschäftigt sich mit indischer Philosophie für Eilige. Kiffen und Tomorrow Never Knows von den Beatles mit diesem komisch dengelnden folkloristischen Saiteninstrument Sitar müssen reichen. In der den männlichen Leidensdruck privilegierter junger weißer Männer selbstkritisch aufs Korn nehmenden Mond-anheul-Ballade Museum ("Fass bitte nichts an, das ist mein Museum!") geht es auch um Selbstwahrnehmung.

Je offener sich eine Person gegenüber ihrer eigenen Emotionen zeigt, desto besser kann sie auch die Gefühle anderer Menschen deuten: "Weine nicht, das befeuchtet mein Gesicht zu sehr."

International Music

Wie schon auf dem ersten Album von International Music, der wunderbaren Liedersammlung Die besten Jahre von 2018, bewegen sich Sänger und Gitarrist Peter Rubel, Sänger und Bassist Pedro Crescenti und Learning-by-Doing-Schlagzeuger Joel Roters dabei fast schon kitschig gescheit auf dem schmalen und für Musik immer gefährlichen Grat zwischen Ernst und Blödelei.

Die diesbezügliche Vorgehensweise kann dann natürlich nur lauten: Füße zusammen, nicht in die Grätsche gehen. "Heute bau ich mir einen neuen Kopf", heißt es im mutig betitelten Song Marmeladenglas. Dazu eiert die auf Valium gestimmte Gitarre wie in den Hochzeiten der legendären britischen Raumfahrer Spacemen 3. Wir reisen dank Li-La-Launebär-Tabletten durch den Raum, auch ohne uns zu bewegen.

Folk aus dem Pfarrheim

International Music und auch das beherzt von Rubel und Crescenti Richtung Peter, Paul and Mary, Simon & Garfunkel oder Christoph & Lollo getriebene Pfarrheim-Folkduo Düsseldorf Düsterboys mit ihrem Album Nenn Mich Musik und dem Hit Alkoholgedanken kämpfen gegen den Alltag. Sie lesen unsere Gedanken und finden ihre unaufgeregt vorgetragenen Protestverse wider den gesunden Menschenverstand "in Tüchern und Kuverts". Die pure Vernunft darf bekanntlich niemals siegen. Für immer nie gescheit!

International Music leben den Ententraum. In dem kommt auch noch Eighties-Yacht-Geballer von Duran Duran, neunmalkluger britischer Kammerpop und ein wenig Diskursmusik von Blumfeld oder Freiwillige Selbstkontrolle dazu. All das wird zur Alice ins Wunderland geschickt. International Music sind gescheit blöd. Unsere Band! (Christian Schachinger, 22.4.2021)