Außenminister Jakub Kulhánek nach seiner Angelobung am Mittwoch.

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Nicht nur Gesundheitsminister haben derzeit einen besonders schweren Start ins Amt. In Tschechien gilt dasselbe für den neuen Außenminister Jakub Kulhánek, der am Mittwoch angelobt wurde – und gleich mit einer der schwersten diplomatischen Krisen in der jüngeren Geschichte des Landes konfrontiert ist.

Erst am Samstagabend hatte die Regierung in Prag heftige Vorwürfe an Moskau gerichtet: Aus Berichten des tschechischen Geheimdienstes BIS gehe hervor, dass russische Agenten für zwei Explosionen verantwortlich seien, die sich 2014 in einem Munitionslager im südostmährischen Vrbětice ereignet hatten. Die entsprechende Erklärung von Premier Andrej Babiš und Innenminister Jan Hamáček, der zu diesem Zeitpunkt vorübergehend auch das Außenministerium führte, sorgte für Empörung im Land.

Immerhin waren damals bei einer der beiden Explosionen zwei Menschen ums Leben gekommen, hunderte mussten vorübergehend ihre Häuser verlassen, der Sachschaden wird auf eine Milliarde Kronen (knapp 39 Millionen Euro) geschätzt. Die Aufräumarbeiten auf dem von Munitionsteilen und Blindgängern übersäten Areal gestalteten sich langwierig und konnten erst voriges Jahr abgeschlossen werden.

"Feindlicher Akt"

Seit dem Wochenende dreht sich nun zwischen Tschechien und Russland eine Spirale aus gegenseitigen Anschuldigungen und Sanktionen. Prag wies 18 russische Botschaftsangehörige aus, die als Agenten eingestuft wurden. Moskau wiederum wies die Vorwürfe brüsk zurück, sprach von einem "feindlichen Akt" und verkündete seinerseits die Ausweisung von 20 tschechischen Botschaftsangehörigen aus Russland.

Prag bestellte daraufhin für Mittwoch den russischen Botschafter ins Außenministerium. Die Begegnung mit diesem war dann auch eine der ersten Amtshandlungen des neuen Ressortchefs Kulhánek – und gipfelte in einem Ultimatum: Russland solle bis Donnerstag, 12 Uhr, die Rückkehr sämtlicher ausgewiesener tschechischer Diplomaten ermöglichen. Andernfalls würde Tschechien die Zahl der russischen Diplomaten in Prag so weit senken, dass sie jener der verbleibenden tschechischen Diplomaten in Moskau entspreche.

Der 36-jährige Sozialdemokrat Kulhánek verfügt über einige politische Erfahrung. Unter anderem war er bereits im Verteidigungs-, im Außen- und im Innenministerium stellvertretender Ressortchef. Auch dass er bereits Zugang zu als "streng geheim" klassifizierten Dokumenten hat, dürfte ihm – gerade in der aktuellen Situation – von Nutzen sein.

Die Fahrwasser nämlich haben sich in den vergangenen Tagen nicht wirklich beruhigt. Eher im Gegenteil. Während immer weitere Details über die angebliche russische Urheberschaft an den Detonationen vor sieben Jahren durchsickern, wird auch innerhalb Tschechiens die Debatte über den Umgang damit lauter.

Gefälschte Pässe

Die Rechercheplattform "Bellingcat" veröffentlichte am Dienstag ein detailliertes Papier, demzufolge gleich sechs Agenten des russischen Geheimdienstes GRU in die Operation involviert gewesen sein sollen. Einige davon seien mit gefälschten Pässen im Oktober 2014 – also etwa zur Zeit der ersten Explosion, die zweite folgte im Dezember – in Tschechien gewesen. Zum Teil seien sie über Wien gereist. Das Onlinemedium bezog sich dabei auf Handydaten und Passagierlisten.

Für Aufregung sorgte auch Premier Babiš, der zunächst von einem "Angriff auf die Ware" eines bulgarischen Geschäftsmannes sprach. Die Behörden prüfen die Hypothese, dass dessen 2014 zerstörtes Material für die Bürgerkriegsgebiete in der Ostukraine oder in Syrien bestimmt gewesen sei und nach dem Willen der Russen erst in Bulgarien hätte explodieren sollen. Für seine Formulierung, die ihm den Vorwurf der Verharmlosung eingebracht hatte, entschuldigte sich Babiš später.

Nächtliche Verhaftungen

Ein Zusammenhang zwischen der Affäre Vrbětice und der Verhaftung von fünf Personen, die die prorussischen Separatisten in der Ostukraine unterstützt haben sollen, wurde von den Behörden inzwischen dementiert. Laut Informationen des öffentlich-rechtlichen tschechischen Rundfunks richtete sich die Aktion in der Nacht auf Mittwoch gegen eine paramilitärische Gruppe. Eines ihrer Mitglieder soll demnach bereits selbst im Donbass gekämpft haben, zudem bestehe der Verdacht auf Terrorfinanzierung. Selbst wenn der Polizeieinsatz die aktuelle Krise zwischen Prag und Moskau nicht direkt betrifft, so könnte auch er zur weiteren Verstimmung beitragen.

Gespannt wartet man in Prag auch, wann sich der als Russland-freundlich geltende Präsident Miloš Zeman zu der Causa rund um die Explosionen äußern wird. Immerhin will die Regierung nun russische Firmen von der Ausschreibung für den Ausbau des Atomkraftwerks Dukovany ausschließen. Bei Kulháneks Angelobung gab sich Zeman am Mittwoch verschlossen: Dem neuen Außenminister empfahl er die Betonung der Wirtschaftsdiplomatie. Den Streit mit Russland erwähnte er mit keinem Wort. (Gerald Schubert, 21.4.2021)