Echte Feierstimmung will in Sauls Haus nicht aufkommen.

Monika Rittershaus

In Georg Friedrich Händels Oratorium "Saul" wird auch eine Machtübergabe beschrieben, jene von Saul zu David. Und man weiß: Das wird nicht friedvoll. Wenn der siegreiche David zum Abendessen bei Familie Saul vorbeikommt und Goliaths Kopf auf ein Tablett knallt, ist klar, dass hier nicht nur der Appetit vergehen wird. Ein neuer Sympathieträger könnte Ansprüche erheben, es dürfte ungemütlich werden.

Der Hausherr an der Spitze der Tafel, dem die Tochter demütig Suppe serviert, ist schon zu Beginn der Inszenierung von Claus Guth im Theater an der Wien ziemlich reserviert gegenüber dem neuen Helden. Es wird allzu deutlich: Guth, dessen raffinierte Version des Oratoriums vor drei Jahren im Theater an der Wien reüssierte und nun ohne Publikum wiederaufgenommen wurde, konzentriert sich in seinem Figurentheater auf die Psyche des alternden Saul. Voller Neid und Verlustangst erfasst diesen nach und nach mörderische Umnachtung.

Ein Pulverfass

Diesem Saul, den Florian Boesch intensiv und druckvoll singend als gewaltbereiten Herrscher präsentiert, möchte keiner spätabends begegnen. Und auch bei Tagelicht würde man sicher einen weiten Bogen um dieses Pulverfass machen. Selbst zum Finale hin, wenn Saul wie ein umnachteter Schatten seiner selbst durch die Inszenierung wandert, ist nicht sicher, ob er nicht doch noch einmal explodieren könnte. Es durchdrang ihn ja Mordlust, seine psychischen Qualen wurden sichtbar – in einer Art Schüttelfrost angestauter Aggression.

Um diese Zentralgestalt an der Steckdose der Grausamkeit gruppiert Guth Archetypen der Angst, der Unterwürfigkeit und des verzweifelten Bestrebens nach friedlicher Gerechtigkeit. Es sind Merab (vokal respektabel, darstellerisch am Punkt Anna Prohaska), Michal (solide Giulia Semenzato) und Jonathan (kultiviert Rupert Charlesworth).

Auch David vergiftet

Letztlich ist Guths subtile Arbeit eine Demonstration dessen, wie Herrschaft den Charakter verwandelt. David, nachdem er sich die Schuhe der Macht als neuer König angezogen hat, beginnt immer mehr Saul zu ähneln. Der solide singende Countertenor Jake Arditti schmiert – wie Saul zu Beginn – seinen Namen mit Erde an die Wand. Auch weisen seine Züge plötzlich deutliche Spuren von Arroganz und Misstrauen und Hybris auf. Das Gift der Regentschaft beginnt auch in ihm zu wirken. Ginge das Oratorium weiter, folgten sicher weitere Szenen von Wahn und Gewalt.

Die Rituale

Das Freiburger Barockorchester unter Christopher Moulds ist pointierter, dynamisch flexibler Kommentator und Begleiter einer Inszenierung voll der eleganten Szenenwechsel. Eine hochaktive Drehbühne ist dabei ebenso hilfreich wie die karge Ausstattung zwischen grindigem Waschraum, angedeutetem bürgerlichem Salon und einer ausgetrockneten Landschaft, auf der der Arnold Schoenberg Chor reüssiert und mit Guths ritualartig angelegten Choreografien in Bewegung gehalten wird. (Ljubiša Tošić,2.4.2021)