Lockdown-bedingtes Starren auf Bildschirme macht kurzsichtig.

Foto: imago images / PhotoAlto

Es kratzt, es zwickt, es juckt. Buchstaben fangen an, auf dem Bildschirm zu verschwimmen. Immer öfter ist eine fortschreitende Kurzsichtigkeit schuld an den Beschwerden – denn Lockdowns, Homeoffice, Distance-Learning und ständige Meetings via Teams oder Zoom lassen uns deutlich öfter stundenlang konzentriert auf Bildschirme starren.

Statt nach Feierabend dann den Stress im Freien abzubauen, landen wir in Zeiten der Pandemie erst wieder vor dem Fernsehschirm. Für das Auge ein 24-stündiger Kraftakt.

Volkskrankheit Kurzsichtigkeit

Da wundert es nicht, dass wir beginnen, immer schlechter zu sehen. Untersuchungen aus China und den Niederlanden zeigen, dass infolge der Corona-Maßnahmen vor allem bei Kindern die Kurzsichtigkeit drastisch zugenommen hat. Mittlerweile hat das Phänomen bereits einen Namen: Quarantäne-Kurzsichtigkeit.

Daten aus China beispielsweise zeigen, dass die Kurzsichtigkeit drastisch zugenommen hat. 120.000 Schulkinder zwischen sechs und zwölf Jahren wurden einbezogen. Gerade bei der Altersgruppe der zwischen Sechs- und Achtjährigen wurde Kurzsichtigkeit bis zu dreimal häufiger festgestellt, heißt es. Im Schnitt hat sich dort die Schärfe um etwa 0,3 Dioptrien Richtung Kurzsichtigkeit entwickelt.

Wenn die Weitsicht fehlt

Der permanente Fokus auf Objekte im Nahbereich, der fehlende Weitblick und das künstliche Licht können bereits im frühen Alter erheblichen Schaden anrichten. Bereits im frühen Kindesalter entscheidet sich, ob langfristig Sehbehelfe notwendig sein werden oder nicht.

Es gilt: Ist man einmal kurzsichtig, bleibt man es auch. Meist beginnt diese Kurzsichtigkeit im Volksschulalter und nimmt über die Jahre weiter zu. Je früher sie beginnt, desto stärker wird sie in den meisten Fällen auch.

Wächst der Augapfel im Alter zwischen sechs und zehn Jahren sehr stark, bedeutet dies den Verlust der Sehschärfe im Fernbereich. Eine starke Kurzsichtigkeit erhöht auch das Risiko für Netzhautablösungen, ebenso für grauen Star durch erhöhten Augeninnendruck oder eine spätere Erblindung, sagen Experten.

Insbesondere in den Industrieländern wächst die Zahl der Kurzsichtigen rasant an. Das hängt mit den veränderten Lebensumständen zusammen, da in diesen Ländern deutlich weniger Zeit im Freien verbracht und der Weitblick weniger trainiert wird. Umso stärker widmen wir uns dem permanenten Starren auf diverse Bildschirme – sei es der Computer, das Tablet, das Smartphone oder der Fernseher.

Innovationstreiber Brille

"Lösungen gegen die Volkskrankheit Kurzsichtigkeit sind einer der größten Innovationstreiber in der Branche", sagt Markus Gschweidl, Bundesinnungsmeister der Augen- und Kontaktlinsenoptiker. Denn die fortschreitende Myopie bei Kindern ist ein besorgniserregendes Phänomen. Es ist zu erwarten, dass in Europa bis 2050 etwa 56 Prozent der Menschen kurzsichtig sein werden.

Deshalb wird weltweit auch verstärkt an Lösungen gearbeitet. Seit April neu am österreichischen Markt sind nun beispielsweise Brillengläser, die die Fehlsichtigkeit nicht nur korrigieren, sondern auch der zunehmenden Kurzsichtigkeit entgegenwirken. Laut einer zweijährigen klinischen Studie verlangsamen sie das Fortschreiten der Myopie bei Kindern im Alter von acht bis dreizehn Jahren um durchschnittlich 60 Prozent.

"Wenn die Kurzsichtigkeit einen Wert von sechs Dioptrien erreicht, kann das schwerwiegende Folgeprobleme im Alter verursachen, etwa eine Netzhautablösung oder Makuladegeneration", so Gschweidl.

Aus diesem Grund sei die Entwicklung von Lösungen für kurzsichtige Kinder auch kein rein kosmetisches Problem, sondern soll noch viel Schlimmeres verhindern, erklärt er. Gerade bei Brillengläsern für den digitalen Alltag sei in den nächsten Jahren deshalb einiges an Innovation zu erwarten.

Rechtzeitig gegensteuern

Überdurchschnittlich viele kurzsichtige Kinder und Jugendliche gibt es im asiatischen Raum. In einzelnen asiatischen Ländern liegt die Quote bei 95 Prozent. Es wird vermutet, dass in China inzwischen vier von fünf Kindern unter Kurzsichtigkeit leiden. Aber auch in Europa sind in etwa die Hälfte der jungen Erwachsenen kurzsichtig. Doch wie lässt sich da gegensteuern?

Um Kurzsichtigkeit vorzubeugen, sollte man von frühen Kindesbeinen an mindestens zwei Stunden pro Tag unter freiem Himmel verbringen. Im Alltag sollte man nicht zu lange auf einen Gegenstand im Nahbereich starren – dabei ist es egal, ob es sich um ein Tablet oder ein Buch handelt. Wichtig ist dabei die Entfernung und das regelmäßige Aufblicken von Objekten in der Nähe. Denn das führt dazu, dass das Auge den Nahbereich verlässt und der Blick zwischendurch auch auf die Ferne gerichtet wird.

Essenziell ist für das Auge aber natürlich der Aufenthalt im Freien, da das Tageslicht das weitere Wachstum des Augapfels hemmt. Skandinavische Studien zeigen, dass die Kurzsichtigkeit in der dunklen Jahreszeit zunimmt, während sie in der hellen Jahreszeit stagniert.

Den Blick schweifen lassen

Gerade bei Kleinkindern bis zu drei Jahren appellieren Ärzte an die Eltern, den täglichen Gebrauch elektronischer Geräte drastisch zu reduzieren. Bei Kindern bis zu sechs Jahren soll die Nutzungsdauer pro Tag dreißig Minuten nicht überschreiten, heißt es. Tipp an alle, auch an die Erwachsenen: öfter vom Bildschirm aufschauen, den Blick in die Ferne schweifen lassen, häufiger im Freien aufhalten – das ist, glücklicherweise, auch im Lockdown noch machbar. (Julia Palmai, 23.4.2021)