Auch der FC Liverpool spitzte auf das ganz große Geld. Die Fans hatten sich vom Verein verabschiedet. Doch das gab nicht den Ausschlag.

Foto: APA/AFP/Ellis

London – Die Super League ist laut Ansicht von Insidern weniger durch den Druck der Fans, sondern von höchster politischer Ebene zu Fall gekommen. Der britische Premierminister Boris Johnson soll demnach den sechs englischen Fußball-Clubs harte Sanktionen in Aussicht gestellt haben, sollten diese das umstrittene Projekt weiterverfolgen. Der Spin der Vereine, wonach der Unmut der eigenen Spieler und Anhänger die Trendumkehr eingeleitet hat, ist deshalb bestenfalls die halbe Wahrheit.

Reaktion der Fans keine Überraschung

Die Nachrichtenagentur Reuters berief sich auf Quellen aus beiden Lagern, die diese These untermauert haben. Die Chefetagen von Manchester City, Manchester United, Liverpool, Chelsea, Arsenal und Tottenham sollen demnach die Aufruhr im Lager der Fans und Medien vorausgesehen und auch einkalkuliert haben. Nicht eingeplant waren offenbar die Bemühungen von politischer Seite, dem neuen Bewerb mit Blick auf die Strahlkraft der heimischen Premier League einen Riegel vorzuschieben.

Eine spezielle Rolle dürfte Boris Johnson gespielt haben. Der 56-jährige Populist erkannte offenbar rasch das Potenzial, im Lager seiner Wähler Punkte einzuheimsen. Am Dienstag, wenige Stunden vor dem Rückzug der englischen Vereine aus der Super League, soll er sich mit Vertretern der Clubs und des englischen Verbands FA getroffen haben. Johnson drohte laut Medienberichten mit einer "rechtlichen Bombe", um die Abspaltung zu verhindern.

Ein Sprecher des Premierministers meinte gegenüber der BBC, dass mehrere Varianten ins Auge gefasst wurden. Dabei ging es auch um die Verhinderung der Arbeitserlaubnis für ausländische Spiele bei den betroffenen Clubs. Diese sind nach dem Brexit notwendig. Außerdem wurde offenbar angedroht, an Spieltagen keinen finanziellen Mittel für die polizeilichen Maßnahmen zur Verfügung zu stellen.

Druck in Brüssel

UEFA-Boss Aleksander Ceferin hatte sich am Montag mit dem britischen Sportminister Oliver Dowden besprochen. Dieser steht in engem Kontakt mit Premier-League-Geschäftsführer Richard Masters. Die Liga fürchtete durch die Causa um das Ausscheren ihrer "Big Six" ihrerseits sinkende Einnahmen ebenso wie einen Statusverlust. Johnson bekräftigte: "Wir werden alles tun, um unseren Nationalsport zu schützen." Die UEFA machte derweilen über ihre Lobbyisten auch in Brüssel Druck.

Juventus-Boss Andrea Agnelli bestätigte, dass der Gegenwind von der politischen Bühne am Ende zu groß war. "Normalerweise betonen Verantwortliche gegenüber der Politik, dass sie sich im Sport nicht einmischen soll. In diesem Fall haben sie die Intervention sogar noch verstärkt", sagte der Italiener gegenüber Reuters. Die Super League sei auch als "Angriff auf den Brexit" gesehen worden, meinte Agnelli. Die Macher der Super League verkalkulierten sich demnach. Ceferin sagte am Donnerstag im slowenischen Fernsehen: "Nach den Reaktionen von Boris Johnson, Emmanuel Macron und Viktor Orban sowie der Europäischen Kommission war mir klar, dass dies schnell zu Ende sein würde."

Nur 48 Stunden nach ihrer Gründung war die Super League schon wieder Geschichte. Während die ersten Berichte über den Rückzug von Manchester City und Chelsea aufkamen, meldete sich bereits Johnson zu Wort. "Ich hoffe, dass die anderen Clubs, die in der Super League involviert sind, diesem Beispiel folgen", twitterte der Politiker. Wenige Stunden später waren auch die übrigen Premier-League-Vertreter aus dem Milliardenprojekt ausgeschert. (APA; 22.4.2021)

Internationale Pressestimmen zum Scheitern der Super-League:

ENGLAND:

"The Guardian": "Die Saat des Untergangs kam früh, als sich die Feinde der Abspaltung häuften und die Geheimhaltung des Projekt untergrub. Als die letzten Vereine aus dem schwelenden Wrack der Europäischen Super League krochen, dem 4,5-Milliarden-Pfund-Wettbewerb, der versprach, den Fußball auf den Kopf zu stellen, nur um innerhalb von 50 Stunden einzustürzen und zu verbrennen, ging es mit den Schuldzuweisungen los. Insider berichteten von einer katastrophalen PR-Strategie, von kleinen Erdbeben innerhalb der Clubs, und von den zwölf Clubs, die unfähig waren, ihre Botschaft im Sturm der Entrüstung – von Fans, Regierungen und Fußballverbänden – zu vermitteln. 'Es war, als würde man in einen Hurrikan schreien', sagte eine wichtige Super-League-Quelle."

"The Sun": "Während die Big Six (Liverpool, Chelsea, Arsenal, Tottenham, Manchester City und United, Anm.) den demütigenden Rückzug aus dem Super-League-Debakel anführten, sind sie noch immer davon überzeugt, dass eine Reform der Premier League unabdingbar ist. Ganz oben auf der Liste der Pläne, die aktiv diskutiert werden, steht ein Angebot an die beiden Giganten von Glasgow (Celtic und Rangers, Anm.), südlich des Hadrianswall zu spielen."

SPANIEN:

"ABC": "Während der letzten 72 Stunden wurde in der Welt des Fußball kein einziges Spiel gespielt, an das man sich in einem Jahrhundert noch erinnern wird, aber es gibt Spiele, die nicht auf einem Platz und vor vollen Tribünen gespielt werden müssen, damit das passiert in der Lieblingssportart des Planeten. Die Super League ist das beste Beispiel dafür."

"El Pais": "Leben und Tod der Super League. Der große Bewerb, der den Fußball revolutionieren sollte, übersteht nur drei Tage, bis er unter dem sozialen Druck und durch den Kulturschock, der in diesem Modell steckt, kollabiert."

DEUTSCHLAND:

"taz": "Gegenwind aus allen Richtungen. Das Modell der Super League ist gescheitert, weil die Widerstände im konsensualen Europa zu groß sind."

"Die Welt": "Gehöriger Imageschaden für die Möchtegern-Rebellen. Mit einer elitären Super League wollten zwölf Klubs den Fußball aufmischen. Doch binnen 50 Stunden ist das Projekt gescheitert."

"Süddeutsche Zeitung": "Es darf gelacht werden. Ene, mene, muh – und raus bist du! Der alte Kinderauszählreim liefert den perfekten Sinnspruch für die Super League der weltgrößten Fußballklubs. Angsteinflößend war sie nur vorübergehend: Geboren am 18. und beerdigt am 20. April 2021. Wann haben sich Sportfunktionäre jemals ein flotteres K.o.-System ausgedacht?"

"Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Das dilettantische Dutzend. Die Fans laufen erfolgreich Sturm gegen die Super League. Der Schuss geht aber auch nach hinten los, weil die Möchtegern-Revolutionäre sich als Amateure erweisen."

"Frankfurter Rundschau: "Die zwölf Klubs, die mit der Gründung der European Super League eine vom Großkapital gepushte Privatveranstaltung mit erheblichen Zugangsbeschränkungen errichten wollten, haben sich selbst ein Armutszeugnis ausgestellt. Dass Real Madrids Präsident Florentino Perez als treibende Kraft des Super-Flops angab, anders als mit der Gründung einer Superliga sei in Zeiten der Pandemie kein finanziell tragfähiges Zukunftprojekt vorstellbar, zeigt, wie unverantwortlich die vermeintlich Superreichen sich finanziell aufgestellt haben. Und wie verengt ihr Blick auf immer mehr Einnahmen ist, statt die Ausgabeseite konsequenter anzugehen und Transfersummen, Spielergehälter sowie Beraterhonorare abzuschmelzen."

"Berliner Morgenpost": "Krachendes Eigentor. Europas Spitzenfußball hat sich mit dem Scheitern der Super League selbst entlarvt. Die Probleme aber bleiben."

ITALIEN:

"La Repubblica": "Am Ende war keiner mehr übrig. Weil sie alle Verräter waren. UEFA-Präsident (Aleksander) Ceferin musste entdeckten, dass er 'eine Schlange' in seinem Haus hatte, Andrea Agnelli, der den Patenonkel seiner eigenen Tochter (...) verraten hatte. Im Gegenzug wurde er von denselben Leuten verlassen, mit denen er glaubte, eine 'Blutsfreundschaft' geschlossen zu haben, aber es war dann doch nur rote Tinte und bloß nett. Schon ganz früh hat Manchester City dabei United verraten; dann verrieten die Engländer alle zusammen die Italiener und die Spanier (...)."

SCHWEIZ:

"Neue Zürcher Zeitung": "Das geplatzte Kalkül der Rebellen. Corona hat die Schwachstellen der englischen Top-Fußballklubs offengelegt – für sie wurde die wirtschaftliche Sicherheit wichtiger als sportlicher Wettkampf."

AUSTRALIEN:

"Sydney Morning Herald": "Sogar während sie unter dem Gewicht ihrer eigenen atemberaubenden Arroganz zusammenbricht, ist das Deprimierendste an der europäischen Super League, dass sie funktioniert hätte. So laufen diese Spielchen im Allgemeinen ab. Intuitiv betrachtet war alles an ihr falsch. Sie hätte die Reichen weiter privilegiert und die Armen weiter gefährdet. Es wurde auf den Gefühlen der Fans herumgetrampelt. Und es wurde jeder Idee einer Meritokratie ans Bein gepinkelt. (...) Hier ging es natürlich nicht um den Besten. Es ging um den Größten, den Reichsten, den Arrogantesten. Es ging nicht darum, was Sinn macht, sondern um Dollars. Und Dollars haben kein Gewissen, keine Loyalität und kein Herz. (...) Die größte Bedrohung für die zwölf waren sie selbst, indem sie sich gegenseitig darin überboten haben, ruinöse Löhne und Transfergebühren zu zahlen. Nein, da war es besser, ein Kartell zu bilden."