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Albaniens Regierungschef Edi Rama hält in Elbasan im Regen eine Wahlkampfrede. Nur einen Tag später kam es in der Stadt im Zentrum des Landes zu einer Schießerei mit einem Toten. Gewalt befürchtet man auch am Wahltag.

Foto: Reuters / Florion Goga

Die Wahlen nahen, und die Geister der Vergangenheit tauchen wieder auf. In der ehemals stalinistischen Diktatur Albanien ist die totale Kontrolle des Staates bis tief in den höchstpersönlichen Bereich im Bewusstsein vieler Familien tief verankert. Man kann die Angst vor diesem "big brother" jederzeit wieder abrufen.

Nun, kurz vor den Parlamentswahlen am Sonntag, wurde die Existenz einer Datenbank bekannt, die möglicherweise von der Sozialistischen Partei (PS) des Regierungschefs Edi Rama gebraucht wird und die den familiären Hintergrund, Kontaktinformationen und Arbeitsverhältnisse von 920.000 Wählern in der Region Tirana enthält. Die Daten dürften von Behörden stammen. Die Kartei der Partei gibt aber auch Auskunft darüber, wie wer in der Vergangenheit gewählt hat, wie man Stimmabgaben durch Geschenke manipulieren kann und welche Partei-Präferenz heute wahrscheinlich vorliegt. Es geht um ein kontrolliertes Patronage-System, das an den Spitzelstaat der Kommunisten erinnert.

Umfragen zufolge dürften die seit acht Jahren regierenden Sozialisten (PS) unter Edi Rama die Wahlen wieder gewinnen. Aber auch die oppositionellen Demokraten (DP), ebenfalls eine Klientelpartei, haben aufgeholt. DP-Chef Lulzim Basha gilt jedoch nicht als Symbol für Wandel, viele halten ihn für eine Marionette des früheren DP-Chefs Sali Barisha. Offen ist, mit wem die drittstärkste Partei, die LSI, koalieren wird. Formell hat sie eine Koalitionsvereinbarung mit der DP geschlossen. "Aber man kann trotzdem nicht ganz ausschließen, dass die LSI noch einmal mit den Sozialisten regiert", sagt Alba Cela, Direktorin des Instituts für Internationale Studien in Tirana, zum STANDARD.

Journalisten als Mistkübel

Rama redet zuletzt sogar von einer großen Koalition mit den Demokraten, eine Konstellation, die in der extrem polarisierten Szene des Landes fast unmöglich erscheint. Viele Bürger sind jedenfalls enttäuscht von der Regierung Rama, die damit antrat, Rechtsstaatlichkeit einzuführen und bürgerlichen Freiheiten mehr Raum zu geben. Denn der Premier zeigt immer wieder autoritäre Tendenzen und beschimpft regelmäßig Journalisten als "Mistkübel". Zu Beginn der Pandemie im Vorjahr forderte er die Bürger per SMS auf: "Öffnen Sie die Fenster so weit wie möglich und schützen Sie sich vor den Medien."

Einige wenige Oligarchen bekommen praktisch alle öffentlichen Aufträge zugeschanzt. "Der Hauptkonkurrent der EU ist der Einfluss, der von der organisierten Kriminalität und Korruption ausgeht", meint etwa der frühere Außenminister Ditmir Bushati. "In Albanien sind wir im Raubtierkapitalismus gelandet. Vier oder fünf Personen sind im Besitz der wichtigsten öffentlichen Güter. Es ist schwer, die Grenzen zwischen Medien, Wirtschaftsoligarchen und Politikern zu unterscheiden", so Bushati zum STANDARD.

Toter in Elbasan

Die Wahl ist zudem von wechselseitigen Anschuldigungen wegen Wählerkaufs und der Unterstützung krimineller Gruppierungen geprägt. Die Sorge ist groß, dass es zu gewaltsamen Zwischenfällen am Sonntag kommen könnte. Am Mittwoch gab es bereits in Elbasan eine Schießerei mit einem Toten. Auch die Folgen des Erdbebens im November 2019 sind noch immer zu sehen, die Häuser vieler Bürger, vor allem in der Umgebung von Durres wurden noch nicht wieder aufgebaut. Sie leben nach wie vor in Zelten. Laut einer Analyse des Albanischen Instituts für Internationale Studien haben allein in den vergangen vier Jahren 400.000 Albaner ihr Land verlassen, weil sie hier keine Zukunft sehen.

Manche Albaner überlegen sogar, in den Kosovo zu ziehen, wo eine Reformregierung mehr Hoffnung für Zukunftsperspektiven gibt. Deshalb wird auch interessant werden, wie die drei Kandidaten des Ablegers der kosovarischen Vetëvendosje in Albanien abschneiden. Analystin Cela meint, dass die Vetëvendosje das nächste Mal landesweit in Albanien antreten könnte. (Adelheid Wölfl, 23.4.2021)