Bild nicht mehr verfügbar.

Lektoren sind unsichtbare Helfer, machen durch Kritik Texte besser.

Foto: AP Photo/Peter Dejong

Ein falscher Kasus, ein Buchstabe zu viel, eine verunglückte Metapher: Fehler in Büchern sind ärgerlich, häufen sie sich, lassen sie einen die Sorgfalt, mit der ein Text veröffentlicht wurde, in Zweifel ziehen. Dann wird die für das Publikum an sich unsichtbarste Station im Entstehungsprozess eines Buches plötzlich Thema: das Lektorat.

Im Internet finden sich Rezensionen voller Beschwerden. "Auch wir kriegen böse Zuschriften von wegen ‚Dieses Buch hätte ein Lektorat verdient‘. Wir kriegen auch Fehlerlisten", sagt Doris Plöschberger von Suhrkamp. Noch und nöcher würden aber auch Fehler reklamiert, die keine sind. Kein Wunder, ist Suhrkamp doch seit je ein Primus unter den Verlagen. Wer einen Fehler im fertigen Buch findet, darf stolz sein.

"Behaarlich" ist ein Ärgernis

Wie viele sind für den Verlag okay? Okay ist keiner, aber "wenn pro hundert Seiten ein, zwei Fehler auftauchen, na ja. Wobei es verschiedene Kategorien von Fehlern gibt. Übersieht man in einem Roman mit komplexer Syntax mal ein Komma, lässt sich damit umgehen. Das ließe sich nur mit ungeheurem Aufwand verhindern, und der ist nicht zu bezahlen. Aber steht da ‚behaarlich‘ statt ‚beharrlich‘, ist das ärgerlich."

Dazu muss gesagt sein: Rechtschreibprüfung ist Sache der Korrektorate, nicht der Lektoren. Auch wenn sie darauf ein Auge haben, sind Lektoren viel umfassender für die Qualität eines Textes zuständig: Sie machen Autoren darauf aufmerksam, wo eine Figur plastischer oder das Tempo angezogen werden muss, prüfen Logik und Erzählperspektiven. Zudem kümmern sie sich um die Akquise neuer Autoren und arbeiten am Cover mit. Schließlich liegt die Letztverantwortung für Fehler aber doch beim Lektor, wenn die Korrektoren ihre Anmerkungen zu den Druckfahnen abgegeben haben und er die Finalfassung erstellt.

Softwareversagen

Plöschberger ist bei Suhrkamp Programmleiterin für deutschsprachige Literatur, als Lektorin betreut sie Valerie Fritsch, Friederike Mayröcker oder Clemens Setz. "Jeder Fehler tut weh. Niemanden trifft ein Fehler so sehr wie die Lektorin." Wie können Druckfehler trotz Korrektursoftwares passieren? Einfache Antwort: "Die helfen nicht immer."

Oft entstünden durch Textverarbeitungsprogramme erst Fehler, sagt Susanne Krones, die bei Penguin die deutschsprachige Literatur leitet. Etwa wenn im Modus "Änderungen nachverfolgen" Korrekturen irrtümlich nicht freigegeben würden. Bis zu seinem Erscheinen geht ein Text bei Penguin daher durch die Hände zweier voneinander unabhängiger Außenkorrektoren.

Plöschberger hat in Graz studiert und ist seit 2007 bei Suhrkamp. Von älteren Kollegen weiß sie, dass früher mehr Zeit für Textarbeit da war. Der organisatorische Aufwand um ein Buch ist gewachsen. Sie hat dafür Verständnis: Dieser sei nötig, um für ein Buch die besten Voraussetzungen zu schaffen – etwa für immer frühere Titelmeldungen an Datenbanken, die vom Buchhandel abgerufen werden. Dass mit größerem Vorlauf geplant wird, heißt aber nicht, dass die Lektoren auch mehr Zeit für Bücher haben. Verlage machen sich so selbst Stress. Verzögert ein Autor die Abgabe, wird es nur umso enger.

Aufgabenvermehrung

Was die Digitalisierung auch mit sich gebracht hat, sind vielfältigere Wege zu den Zielgruppen, was ein Mehr an Begleittexten erfordert. Für E-Books und Onlineplattformen müssen Bücher zudem thematisch verschlagwortet werden. Da es Lektoren sind, die die Bücher am besten kennen, bleibt das an ihnen hängen.

Wie viel Arbeitszeit bleibt de facto fürs intensive Lesen übrig? Im besten Fall, schätzt Krones, die Hälfte. An einem ganz dem Manuskript gewidmeten Tag könne man kaum mehr als 50 Seiten schaffen. Drei solcher Durchgänge sind für Plöschberger der Idealfall. Immer ist das nicht machbar. Man setze aber alles daran, dass kein Buch nach nur einer Runde im Lektorat rausgeht.

Suhrkamp erledigt Lektorate fast nur im Haus. So kann eine Verlagslektorin drei Bücher pro Saison betreuen. Wird Arbeit an freie Lektoren ausgelagert, schafft ein Verlagslektor zehn Titel. Beim Taschenbuch, das bereits erschienene Texte zweitverwertet, sind es noch mehr, sagt Krones. Bei deutschsprachiger Literatur gibt es naturgemäß intensiveren, Zeit beanspruchenden Autorkontakt als bei Übersetzungen.

Zuckerbrot und Rotstift

Für Verlage, die weniger auf sich halten, sind Lektoratskosten Posten, wo gespart werden kann. Niedrige Honorare bringen freie Lektoren unter Druck. Man weiß aber, dass viele Autoren es ohne Lektoren nie zu Ruhm gebracht hätten. Während Übersetzern in Kritiken vermehrt Aufmerksamkeit zuteil wird, fristen Lektoren dennoch ein Schattendasein. Gehört das geändert? "Unsere Lektoren verzichten auf eine Hervorhebung, weil sie für die literarische Marke stehen", sagt Krones. Diskretion gehört für Plöschberger auch zur Vertrauensbasis. "Denn unsere Rolle ist ja eigentlich eine Kränkung: Wir erheben gegenüber dem Autor den Anspruch, Dinge besser zu wissen, ohne dass wir es besser können."

Wo endet also der Personalstil und beginnt der Korrekturbedarf? Für Rechtschreibung gibt es den Duden, beim Stil wird es heikler. "Manchmal muss man einem Text den Schmutzrand unter den Nägeln auch lassen", sagt Plöschberger.

Sollte doch etwas durchrutschen: Leserpost zu Fehlern wird bei Penguin für den Fall eines Nachdrucks archiviert und eingearbeitet. (Michael Wurmitzer, 23.4.2021)