Auch die deutsche Kunst- und Kulturszene leidet unter den Corona-Maßnahmen. Nicht alle gehen mit der schwierigen Situation auf die gleiche Art um.

Foto: imago images / Arnulf Hettrich

Berlin – Rund 50 prominente Schauspieler sorgen in Deutschland mit einer großangelegten Internetaktion unter dem Motto #AllesDichtmachen für Aufsehen. Künstler wie Ulrich Tukur, Volker Bruch, Meret Becker, Ulrike Folkerts, Richy Müller, Heike Makatsch und Jan Josef Liefers verbreiteten am Donnerstag auf Instagram und auf Youtube gleichzeitig ironisch-satirische Clips mit persönlichen Statements zur Corona-Politik der Regierung. Aus Österreich erhält die Aktion Unterstützung etwa von Nina Proll, Nicholas Ofczarek, Roland Düringer und Manuel Rubey. Letzterer distanzierte sich mittlerweile via Twitter von allen "Covid-Leugnern" und Rechten. Heike Makatsch zog ihr Video zurück, inzwischen ist es vom Youtube-Kanal gelöscht.

Der österreichische Burgschauspieler Nicholas Ofczarek beteiligte sich an der Aktion.
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Andere Schauspielkollegen reagierten entsetzt. Wie die Aktion koordiniert wurde und wer sie initiiert hat, war zunächst nicht bekannt. Das Impressum der zugehörigen Website verweist auf die Münchner Firma Wunder Am Werk GmbH, gegenüber dem Spiegel bestätigte deren Geschäftsführer Bernd K. Wunder, verantwortlich für die Aktion zu sein. "Das ist Kunst", sagte er zum Nachrichtenmagazin. Die Süddeutsche Zeitung berichtet von einem Instagram-Posting vom vergangenen Mai, in dem er sich über selbst genähte Masken lustig mache.

Die Hashtags #AllesDichtmachen, #NieWiederAufmachen und #LockdownFürImmer wurden am Donnerstagabend binnen kurzer Zeit zu den am meisten verwendeten auf Twitter in Deutschland und auch in Österreich. Der betreffende Youtube-Kanal von #AllesDichtmachen hat außer den Videos (und bereits mehr als 28.000 Abonnenten) keine weiteren Infos. Eingerichtet wurde die Seite am 16. April, bisher gab es für die Beiträge insgesamt 1,63 Millionen Aufrufe (Stand: Freitagvormittag).

Österreichische Beteiligung

Nach wie vor zu seiner Teilnahme an der Aktion steht Roland Düringer. Der Kabarettist lässt über sein Management auf Anfrage des STANDARD ausrichten, die Diskussion sei "eröffnet", und er habe "gesagt, was zu sagen ist". Die Vereinnahmung und der Shitstorm irritieren ihn laut Auskunft nicht, er sei das gewohnt, es werde bei den Statements offenbar nicht genau hingehört. In seinem Video sagt Düringer ironisch: "Selbst der Tod ist ja lediglich ein Fehler der Schöpfung. Wenn wir uns brav anstrengen, dann können wir mithilfe der modernen Wissenschaft diesen Fehler korrigieren. (...) Befolgen Sie brav die Maßnahmen der Bundesregierung und bescheren Sie so mir und Ihnen ein ewiges Leben."

Roland Düringers Beitrag.
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Am Freitagvormittag neu zu den Aktivisten gestoßen ist Prolls Ehemann Gregor Bloéb, der ein Video online stellte: "99,7 Prozent der Österreicher sind nicht infiziert, das muss uns doch Angst machen. Wenn wir alle wieder Angst haben, könnten wir es schaffen. Wir könnten es schaffen, das ängstlichste Land der Welt zu werden."

Ironischer Unterton

"Schließen Sie ausnahmslos jede menschliche Wirkungsstätte und jeden Handelsplatz", fordert Tukur in seinem Video die deutsche Regierung auf. "Nicht nur Theater, Cafés, Schulen, Fabriken, Buchhandlungen, Knopfläden, nein, auch alle Lebensmittelläden, Wochenmärkte und vor allem auch all die Supermärkte." Und er fügt hinzu: "Sind wir erst am Leibe und nicht nur an der Seele verhungert und allesamt mausetot, entziehen wir auch dem Virus und seiner hinterhältigen Mutantenbagage die Lebensgrundlage."

Weil die Schauspieler viel Applaus aus der "Querdenker"-Szene erhielten, lieferte etwa Jan Josef Liefers eine Klarstellung zu seinem Video nach.

Liefers bedankt sich in seinem Clip mit ironischem Unterton "bei allen Medien unseres Landes, die seit über einem Jahr unermüdlich verantwortungsvoll und mit klarer Haltung dafür sorgen, dass der Alarm genau da bleibt, wo er hingehört, nämlich ganz, ganz oben".

Levit: "Zynismus, der spaltet"

Richy Müller atmet in seinem Clip abwechselnd in zwei Sackerl und kommentiert ironisch: "Wenn jeder die Zwei-Tüten-Atmung benutzen würde, hätten wir schon längst keinen Lockdown mehr. Also bleiben Sie gesund und unterstützen Sie die Corona-Maßnahmen. Ich geh jetzt mal Luft holen."

Auch Kritiker der Aktion meldeten sich zu Wort.

In den sozialen Medien stieß die Aktion teilweise auf begeisterte Zustimmung, aber vor allem bei Prominenten auch auf sehr heftige Ablehnung. "Die Schauspieler*innen von #AllesDichtmachen können sich ihre Ironie gerne mal tief ins Beatmungsgerät schieben", twitterte der Moderator Tobias Schlegl, der auch Notfallsanitäter ist. Der Schauspieler Marcus Mittermeier kommentierte: "Niemand hat mich gefragt, ob ich bei #AllesDichtmachen mitmachen will. Gott sei Dank!" Der Pianist Igor Levit twitterte: Die stumpfste Waffe gegen die Pandemie sei "schlechter, bornierter Schrumpfsarkasmus, der letztendlich bloß fader Zynismus ist, der niemandem hilft. Nur spaltet."

"Erfolg der Querdenkerszene"

Der Medienjournalist Stefan Niggemeier vom Onlinemagazin uebermedien.de schrieb von "ekliger Ironie" und einem "Dammbruch", der zugleich der "größte Erfolg der Querdenkerszene bisher" sei. Der grüne EU-Abgeordnete Erik Marquardt kritisierte, er finde die Aktion schlecht und "sehe sie als Ausdruck einer zunehmenden Resignation von eigentlich Vernünftigen".

Nina Prolls Video.
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Weitere prominente Schauspieler mischten sich via Instagram in die Diskussion ein. Elyas M'Barek schrieb: "Mit Zynismus ist doch keinem geholfen." Jeder wolle zur Normalität zurückkehren, und das werde auch passieren. Hans-Jochen Wagner nannte die Aktion peinlich. Er verstehe sie nicht, schrieb der Schauspieler, der an Liefers gerichtet fragte: "Das kann doch nicht dein Ernst sein." Christian Ulmen fühlte sich sogar an den rechten Verschwörungserzähler Ken Jebsen erinnert: Dieser "hätte es nicht schöner sagen können". Nora Tschirner warf den Machern der Clips Handeln aus Langeweile und Zynismus vor.

Makatsch zieht Video zurück

Einige Teilnehmer distanzierten sich mittlerweile von der Aktion: Heike Makatsch zog ihr Video am Freitagmorgen zuerst zurück. Sie entschuldigte sich auf Instagram bei allen Opfern der Pandemie und deren Angehörigen. Sie habe durch Kunst und Satire Raum für einen kritischen Diskurs schaffen wollen, wenn sie aber damit "rechten Demagogen in die Hände gespielt" haben solle, bereue sie das zutiefst. Mittlerweile distanzierten sich auch die beteiligten Schauspieler Meret Becker und Ken Duken.

Heike Makatsch zog ihr Video wieder zurück.

Auch der Wiener Schauspieler, Musiker und Kabarettist Manuel Rubey entschuldigte sich in einem Video auf Twitter bei all jenen, die er "in irgendeiner Art und Weise verletzt" habe. Zu seinem "Beitrag zur Bedeutung der Kunst" stehe er, "nicht einmal einen Millimeter" wolle er in die Nähe von Covid-Leugnern kommen oder von den Rechten vereinnahmt werden. Die Krankheit sei "höchstgefährlich". Er sei von einer von ihm geschätzten Person gefragt worden und habe einen Beitrag "zur Bedeutung der Kunst" gemacht, zu dem er nach wie vor stehe. "Der leugnet nichts und gar nichts." Die anderen Beiträge kenne er nicht. "Ich weiß auch nicht, ob irgendwer irgendwelche Absichten hat – ich glaube eigentlich nicht, sondern nur die Debatte anzuregen."

Der Satiriker Jan Böhmermann hielt der Aktion auf Twitter entgegen, das einzige Video, das man sich ansehen solle, "wenn man Probleme mit Corona-Eindämmungsmaßnahmen hat", sei die ARD-Doku aus der Berliner Charité mit den Titel "Station 43 – Sterben". Dazu stellte er den Hashtag #AlleNichtGanzDicht und einen weinenden Smiley.

Rechtsextreme von Aktion begeistert

Beifall kam von etlichen Proponenten der "Querdenker"-Szene sowie von prominenten Rechtsextremen wie Ken Jebsen und Attila Hildmann. Auch der frühere Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, nannte die Aktion auf Twitter "großartig". Der Hamburger Virologe Jonas Schmidt-Chanasit sprach von einem "Meisterwerk", das "uns sehr nachdenklich machen" sollte. Die AfD-Bundestagsabgeordnete Joana Cotar twitterte: "Das ist intelligenter Protest." Sie feiere Jan Josef Liefers.

Die deutsche Bundesregierung hielt sich mit Bewertungen hingegen zunächst zurück. "Die Bundesregierung hat diese Aktion zur Kenntnis genommen und unsere Haltung ist bekannt: Wir arbeiten daran, dass Deutschland die Pandemie schnell überwinden kann", hieß es von der zuständigen Regierungssprecherin. Immerhin machte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) den Initiatoren ein Dialogangebot: "Dass es Kritik und Fragen gibt an den Maßnahmen und den Hintergründen, das finde ich nicht nur normal, das finde ich in einer freiheitlichen Demokratie wünschenswert."

Der deutsche Bundesverband Schauspiel (BFFS) enthielt sich einer Positionierung. "Manche unserer Kolleg*innen haben sich an dieser Aktion beteiligt, manch andere verurteilen sie aufs Schärfste", so der Vorstand: "Wir leben zum Glück in einer Demokratie und müssen um den besten Weg aus dieser weltweiten Pandemie ringen und streiten." Die deutsche Kunst- und Kulturszene leidet seit mehr als einem Jahr schwer unter den Corona-Maßnahmen. Laut dem Bundesverband Schauspiel haben viele Schauspielerinnen und Schauspieler in Deutschland seit März 2020 kaum Einkommen. Dem Verband zufolge leben zwei Drittel bis drei Viertel aller Schauspielerinnen und Schauspieler von Gastverpflichtungen an Theatern, die aktuell nicht oder kaum arbeiten können. In Deutschland gibt es insgesamt etwa 15.000 bis 20.000 Schauspieler. (APA, red, 23.4.2021)