Bei der Präsidentschaftswahl in Ecuador setzte sich am 11. April im finalen Wahlgang der neoliberale Banker Guillermo Lasso mit 52,4 Prozent der gültigen Stimmen durch. Die Ecuadorianerinnen und Ecuadorianer stimmten damit gegen den Vertreter der "Bürgerrevolution", Andrés Arauz, der für eine Rückkehr zur Politik des langjährigen Präsidenten Rafael Correa (2007–2017) stand.

Auffällig ist, dass 1.901.879 Personen ungültig wählten, das entspricht dem hohen Anteil von etwa 17 Prozent der gesamten Stimmen (die Stimmabgabe ist in Ecuador verpflichtend). Dies kann einerseits als Ergebnis einer aktiven Kampagne für die ungültige Stimmabgabe vonseiten des indigenen Bündnisses sowie von kritischen linken Kreisen verstanden werden. Nachdem im ersten Wahldurchgang der indigene Kandidat Yaku Pérez nur knapp den Einzug in die Stichwahl – anstelle von Guillermo Lasso – verpasste, wurden vonseiten indigener Gruppen Vorwürfe des Wahlbetrugs laut, weshalb die Stichwahl boykottiert werden sollte.

Hinzu kommt, dass sich in der stark polarisierten politischen Landschaft viele Gruppen, beispielsweise innerhalb der indigenen, der Umwelt- und der feministischen Bewegung, von keiner Seite repräsentiert fühlten: So ist beiden Kandidaten gemein, dass sie Interessen indigener Bevölkerungsgruppen kaum in ihren Regierungsprogrammen berücksichtigen, Umweltschutz weit hinter die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen stellen und einer Legalisierung der Abtreibung ablehnend gegenüberstehen. In der hohen Zahl der ungültigen Stimmen spiegelt sich daher andererseits auch eine gewisse Frustration bei Teilen der ecuadorianischen Gesellschaft mit der politischen Landschaft wider.

Soziale Ungleichheit

Der neue Präsident übernimmt im Mai die Regierung des Landes unter schwierigen sozialen und wirtschaftlichen Umständen. Nach einem Jahr des Kampfes gegen die Covid-Pandemie hat die soziale Ungleichheit stark zugenommen und entspricht heute wieder dem Stand von vor zehn Jahren. Dabei stieg nicht nur der Reichtum einiger weniger, sondern auch die Armutsraten: Momentan lebt knapp ein Drittel der ecuadorianischen Bevölkerung unter der offiziellen Armutsgrenze, das heißt, sie beziehen ein Einkommen von maximal 84 Dollar pro Monat. Vor der Pandemie traf dies auf circa ein Viertel der Bevölkerung zu. Besonders markant sind diese Zahlen im ländlichen Raum: Hier sind circa 48 Prozent der Bevölkerung von Armut betroffen, wobei 27,5 Prozent gar in extremer Armut, also von weniger als 47 Dollar pro Monat, leben.

Hinzu kommt eine steigende Arbeitslosigkeit – besonders gravierend in einer Ökonomie, in der die informelle Beschäftigung schon vor Pandemie-Zeiten bei 50 Prozent lag, die Menschen also nicht sozial abgesichert sind. Aktuell erhalten nur zwei von zehn Personen in ihrem Anstellungsverhältnis zumindest den gesetzlichen Mindestlohn von rund 400 Dollar.

Die ecuadorianische Wirtschaft verzeichnete im Jahr 2020 einen Rückgang des BIP von 9,5 Prozent. Da es sich um eine dollarisierte Wirtschaft handelt, hat das Land keinen Spielraum für eine eigene Währungspolitik und ist stark auf die Einnahmen von Devisen angewiesen. Der Export von Rohstoffen wie Erdöl ist dabei die Haupteinnahmequelle. Angesichts der wirtschaftlichen Krise ist von einer weiteren Vertiefung der Strategie der Rohstoffausbeutung auszugehen – Lasso spricht von einer geplanten Verdoppelung der Erdölförderung.

Lasso nach seinem Wahlsieg Anfang April.
Foto: Fernando Mendez / AFP

Außerdem befindet sich das Land in einer tiefgreifenden Gesundheitskrise, verstärkt durch den Abbau des öffentlichen Gesundheitssystems infolge der Sparpolitik der Regierung unter Moreno. Insgesamt wurden im Land bisher 347.000 Covid-Fälle bestätigt, eine erhöhte Sterblichkeitsrate hängt mit der Überlastung des Gesundheitswesens zusammen. Alleine in der Hauptstadt Quito warten aktuell über 100 Personen auf ein Bett in einer Intensivstation.

Krisenbearbeitung der neuen Regierung

Schon die ausgehende Regierung unter Präsident Moreno fuhr einen neoliberalen Kurs, ausgerichtet an den Strukturanpassungsmaßnahmen des Internationalen Währungsfonds. So wurden öffentliche Ausgaben reduziert, staatliche Subventionen für Treibstoff gestrichen und Arbeitsrechte aufgeweicht – vieles im Namen der aktuellen Krise, um Unternehmer zu unterstützen und die Wirtschaft anzukurbeln.

Von der Regierung Lassos wird eine Vertiefung dieser Politik erwartet. Der Banker hat schon im Vorfeld der Wahlen angekündigt, den Verpflichtungen Ecuadors gegenüber dem Internationalen Währungsfonds nachzukommen. In diesem Rahmen wird erwartet, dass öffentliche Ausgaben weiter gesenkt, der Staatsapparat reduziert, und einige Gesundheits-, Bildungs- und Infrastrukturdienstleistungen in private Hand überführt werden. Zu den Wahlversprechen gehören auch zwei Millionen neue Arbeitsplätze, die durch Anreize für Auslandsinvestitionen angeregt werden sollen, sowie die Erhöhung des Mindesteinkommens auf 500 Dollar. Da Lasso gleichzeitig Steuern reduzieren und Arbeitsrechte flexibilisieren möchte, fürchten soziale Bewegungen allerdings, dass solche Maßnahmen zu keiner realen Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der vulnerablen Bevölkerungsgruppen führen wird, sondern ihre Prekarisierung zunehmen könnte.

Keine Mehrheit im Parlament

Als limitierend für die Umsetzung der Vorhaben von Lasso kann sich das Machtverhältnis im Parlament herausstellen: Die neue Regierung besitzt keine parlamentarische Mehrheit. Ganz im Gegenteil, das Bündnis Unión por la Esperanza (Unes), das dem progresismo unter Ex-Präsident Correa zuzuordnen ist, hat mit 48 Abgeordneten viermal mehr Sitze im Parlament als Creo, die Partei des zukünftigen Präsidenten Lasso (zwölf). Hinzu kommt, dass die indigene Partei Pachakutik mit 27 Abgeordneten zur zweitstärksten Macht im Parlament wurde, gefolgt von der Demokratischen Linken mit 18 Sitzen. Auf diese Weise könnten mögliche Allianzen zwischen diesen drei Gruppen, die auf der politischen Skala – mit all ihren Unterschieden – eher links zu verorten sind, Projekte der neuen konservativen Regierung blockieren.

Lasso tritt seine Amtszeit in wenig rosigen Zeiten an. Ob er die drängendsten sozialen und wirtschaftlichen Fragen in Ecuador lösen können wird und will, ist mehr als fragwürdig. Wahrscheinlicher ist, dass unter der Regierung Lasso Ungleichheiten verschärft werden und sich die neoliberale Politik an den Interessen einiger weniger orientieren wird. (Tamara Artacker, Esteban Daza, Valerie Lenikus, 27.4.2021)