Heile Welt: Johnson und Cummings im Jahr 2019.

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Für Boris Johnson war die Sache schnell erledigt, als er am Mittwoch zur Fragestunde im Unterhaus vor die immer noch großteils leeren Bänke trat. Nein, er werde sich keinesfalls entschuldigen, schließlich sei es darum gegangen, Leben zu retten, sagte der Premier. Gereicht hat das nicht. Die Befragung wurde eine der unangenehmsten in der bisherigen Amtszeit des Politikers, der sich zwar wegen der erfolgreichen Corona-Impfaktion derzeit hoher Popularität erfreut – dessen Karriere aber schon bisher an unguten Befragungen im Unterhaus nicht arm war.

Hintergrund ist ein Skandal, dessen Elemente durchaus an das österreichische Politikgeschehen erinnern: Es geht um einen Whatsapp-Chat des Regierungschefs, im konkreten Fall mit einem Industriellen und Brexit-Unterstützer. Und es geht um die Corona-Pandemie. Außerdem handelt er von der Frage, wie all das an die Öffentlichkeit gelangen konnte. Und ob es nicht vielleicht noch mehr gibt.

"Rishi sagt, es ist gerichtet!!"

Das dürfte auch die größere Sorge des Premiers sein. Denn die bisherigen Chats lassen ihn zwar nicht besonders gut aussehen, weisen ihm aber nichts Illegales nach. Konkret geht es in den Nachrichten zwischen ihm und dem Industriellen James Dyson aus dem März 2020 um die Beschaffung von Beatmungsgeräten, über die unter anderem die Firma von Dyson damals mit der britischen Regierung im Gespräch war. Diese debattierte zu diesem Zeitpunkt noch über die Strategie, die Pandemie durch eine gezielte Durchseuchung der jüngeren und mutmaßlich widerstandsfähigeren Teile der Bevölkerungen und Herdenimmunität hintanzuhalten – die man dann allerdings bald verwarf.

Dyson – der vehemente Brexit-Befürworter, der seine Firma später nach Singapur übersiedelte – fragt in dem Chat, ob Johnson denn sicherstellen könne, dass ihm durch die mögliche Beteiligung an dem Geschäft keine zusätzlichen Steuerkosten entstehen würden. "Wir werden das morgen richten", antwortet der Premier darauf. Und tags darauf: "Rishi sagt, es ist gerichtet!! Wir brauchen dich hier." Rishi, das ist der Finanzminister Rishi Sunak, bei dem Johnson offenbar in der Zwischenzeit interveniert hatte.

"Absolut" keine Entschuldigung

Der Regierungschef selbst sagt heute dazu, er werde sich "absolut nicht dafür entschuldigen, damals Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt zu haben". Das dürfte vorerst reichen. Doch die Opposition wittert dennoch Morgenluft und endlich einen Hebel, mit dem sie die zuletzt so erfolgreiche Regierung angreifen kann. Man frage sich, mit wem aller Johnson sonst noch über seine Privatnummer über private Steuerfragen und sein öffentliches Amt gesprochen habe, meinte etwa der Chef der Labour-Partei, Keir Starmer. Und: Die Regierung müsse nun alle anderen Deals öffentlich machen, die sie in der Hochphase der Corona-Krise geschlossen habe.

Möglich ist nämlich, dass es sich bei der Dyson-Sache nur um die Spitze eines Eisberges handelt. Rund ein Fünftel aller Verträge in dieser Sache, meinte jüngst die NGO Transparency International, scheint suspekt – und ließe auf Korruption oder Günstlingswirtschaft schließen. Dabei geht es um ein Volumen an 3,7 Milliarden Pfund (4,3 Milliarden Euro). Eine "systemische Voreingenommenheit zugunsten von Personen mit Verbindungen zur Regierungspartei" sei aus den Abmachungen überdies zu entnehmen.

Brutus

Vor allem aber ist die Regierung wohl auch in Sorge, ob die Sache damit schon ausgestanden ist. Fieberhaft wird in der Downing Street derzeit nach dem Verantwortlichen gesucht, der die Nachrichten veröffentlicht haben könnte. Drei große Zeitungen mit guten Verbindungen zu Johnsons Tory-Partei – die "Sun", der "Telegraph" und die "Times" – berichteten am Freitag einhellig, die Quelle für die Enthüllungen sei Johnsons ehemaliger Berater Dominic Cummings. Der Architekt der Brexit-Kampagne und Gegner der Parteiendemokratie war bis November Chefberater Johnsons gewesen und hatte damit wohl Zugriff auf die Nachrichten, heißt es. Weil er im November entlassen worden war, zürne er dem Regierungschef nun.

Wenn dem so ist, könnte es wohl durchaus weitere Enthüllungen geben. Denn so gut wie Cummings kann vermutlich kaum jemand über die Amtsführung des Premiers Auskunft geben. (Manuel Escher, 23.4.2021)