Thomas (Tom) Selldorff, Enkel von Richard Neumann, und seine Ehefrau Carolyn in ihrem Wohnzimmer in Weston (Massachusetts), umgeben von restituierten Werken. Die Aufnahme entstand im November 2019, mittlerweile sind die Kunstwerke als Dauerleihgabe in das Worcester Art Museum übersiedelt.

Foto: privat

Es ist einer jener besonderen Fälle, den der STANDARD über die Jahre begleitete und der auch die fragwürdigen Seiten im Umgang mit jüdischen Kunstsammlern nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges öffentlich machte: Richard Neumann, 1879 in Wien als Spross einer Textilfamilie geboren, der bis zum "Anschluss" eine mehr als 200 Objekte umfassende Sammlung sein Eigen nannte, darunter Plastiken und 45 Gemälde, deren Wert sich allein auf 61.000 Reichsmark belief.

Einen Teil stellten die NS-Behörden im Oktober 1938 sicher: Zwei Altarbilder von Martin Johann Schmidt (Kremser-Schmidt) wurden an das Städtische Museum in Krems vermittelt; zwei Statuetten von Alessandro Algardi und vier Gemälde, darunter zwei Stifterbilder von Marten van Heemskerck, erwarb das Kunsthistorische Museum (KHM).

Um 1540 verewigte Maerten van Heemskercks (1498-1574) auf zwei Altartafeln den Stifter und die Stifterin (hier). Im Oktober 1938 wurden die beiden Werke aus der Sammlung Richard Neumanns von NS-Behörden sichergestellt.
Foto: The Selldorff Family in memory of Richard Neumann

Der Rest der Kollektion wurde für die Ausfuhr freigegeben. Die bis heute erhaltene Villa des Ehepaares in der Währinger Hasenauerstraße wurde 1938 von Daisy Prinzessin Fürstenberg bezogen. Was aus den auf 12.000 Reichsmark geschätzten Einrichtungsgegenständen wurde, ist bis heute unbekannt. Richard Neumann flüchtete mit seiner Frau Alice vorerst nach Paris. Nach der Besetzung Frankreichs sah sich die Familie gezwungen, mehrere Bilder zu verkaufen, um die Flucht über Spanien nach Kuba zu finanzieren.

Nötigung zu einem Vergleich

Nach dem Krieg erwirkte man 1952 zwar die Restitution der Stifterbilder, jedoch hatte das Gericht erzwungen, dem KHM den seinerzeitigen Kaufpreis von 18.000 Schilling zu refundieren. Zeitgleich verhängte das Denkmalamt eine Ausfuhrsperre: "Unter dem Druck, sein Eigentum rückkaufen zu müssen, ohne frei darüber verfügen zu können, nötigte man Neumann zu einem unvorteilhaften Vergleich", schildert Provenienzforscherin Sophie Lillie.

Neumann verzichtete auf die im Museum befindlichen Werke und erhielt eine Abfindung von 3000 Dollar und ein Bild von Goosen van der Weyden aus dem Dublettenbestand. Die "Bereinigung" erfolgte erst 2010: Die sechs Werke wurden an Thomas Selldorff, den Enkel Richard Neumanns, restituiert; im Gegenzug erstattete er dem KHM den valorisierten Betrag von 3000 Dollar sowie den aktuellen Wert des van der Weyden.

Bereits 2007 hatte er – nach einigem Hin und Her – von der Stadt Krems Kremser-Schmidts Altarbilder zurückbekommen. Nach kostspieliger Restaurierung trennte sich Selldorff aufgrund der Großformate von den 1772 datierten Altarbildern und verkaufte sie an die Landesgalerie Niederösterreich.

Dauerleihgabe an Museum

Richard Neumann, 1879 in Wien geboren, war in der Textilbranche tätig und hegte eine Leidenschaft für Alte Meister. 1938 flohen er und seine Ehefrau Alice vor der Verfolgung des Nazi-Regimes vorerst nach Frankreich, später nach Kuba.
Foto: The Selldorff Family in memory of Richard Neumann

All die anderen Werke, die er dank Sophie Lillies Recherchen im Laufe der Jahre zurückbekam, behielt er. Darunter auch sechs Werke, die 2013 aus Beständen des Louvre und dreier regionaler Museen in Frankreich restituiert worden waren. Weitere zwei Gemälde waren bei Sotheby’s aufgetaucht, die Selldorff dem Einlieferer vor der Auktion abkaufen konnte. Die Motivation dahinter? "Mein Großvater war ein bemerkenswerter Mensch, ein Vorbild für unsere Familie in vielerlei Hinsicht", so der 1928 in Wien geborene Enkel.

Im Gedenken an ihn und seine Leidenschaft, wolle er dies an seine Kinder weitergeben. Und darüber hinaus. Vor kurzem wurden die 14 Werke dem Worcester Art Museum (Massachusetts) als Dauerleihgabe übergeben. Zum Auftakt ist den ehemaligen Schützlingen Richard Neumanns eine erste Ausstellung (bis 16. Jänner 2022) gewidmet: Sie soll nicht nur an den skrupellosen Kunstraub der NS-Zeit erinnern, sondern auch die Arbeit jener würdigen, die sich um die Rückgabe an die rechtmäßigen Besitzer verdient machten.(Olga Kronsteiner, 25.4.2021)