Keinen Neustart, sondern den Aufbruch in eine neue Wirtschaft prognostiziert Harry Gatterer, Geschäftsführer des Zukunftsinstituts, und er steht damit auch im Widerspruch zum Weltwirtschaftsforum, wo im Jänner "The Great Reset" postuliert wurde.

Argumente, die für Gatterer gegen einen Neustart sprechen, waren schon vor der Corona-Pandemie erkennbar. "Die Wirtschaft ist vielfach an ihre Grenzen gestoßen", sagt er und nennt Wachstum, Belastbarkeit, aber auch die Interaktion von Mensch und Maschine als Beispiele. Corona habe diese Form des Wirtschaftens ordentlich durcheinandergerüttelt und werde nun neu zusammengesetzt. Der Umbruch passiere, so der Zukunftsforscher, aber nicht so sehr deshalb, weil die Menschen begonnen hätten umzudenken, sondern vielmehr, weil die Rahmenbedingungen komplexer geworden sind. Corona habe bestehende Entwicklungen in vielen Bereichen stark beschleunigt.

Getrieben werden die Veränderungen noch stärker als vor der Pandemie von den Rahmenbedingungen. Der technologische Fortschritt sei für Gatterer dafür ein gutes Beispiel. Schon vor Corona waren technologische Entwicklungen ein großes Thema in vielen Unternehmen. Über neue Technologien wurde aber hauptsächlich als Zukunftsthema gesprochen. "Durch Corona ist die Technologie mit einem Schlag in der Gegenwart angekommen", ergänzt er. Neue digitale Geschäftsmodelle sind entstanden, viele Aufgaben werden heute ausschließlich digital abgewickelt. Vieles davon werde auch nach der Pandemie erhalten bleiben.

Circa 40 Prozent der Arbeitszeit, so die Prognose des Zukunftsforschers, werden Mitarbeiter künftig aus dem Homeoffice arbeiten.
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Systemumbrüche

Durch die Corona-Pandemie wurden Systemumbrüche deutlich erkennbar, sie sind für Gatterer aber eine kollektive Reaktion auf geänderte Bedingungen. Der Tourismus sei dafür ein gutes Beispiel. Durch die Corona-Krise sei die Tourismusbranche völlig zum Erliegen gekommen, nach der Pandemie werden die Betriebe versuchen, den Lockdown zumindest ein bisschen aufzuholen. Aber schon vor der Pandemie herrschte in der Branche ein Fachkräftemangel. Die Mitarbeitersuche sei durch die Pandemie aber nicht einfacher geworden. Dafür wäre ein anderes Klima notwendig.

"Veränderungen passieren durch äußere Zwänge, kaum aus innerem Antrieb." – Harry Gatterer

Das Gleiche gelte auch für den Personalbedarf im großen Bereich der Pflege. Diese Veränderungen passieren aber nicht, weil die Gesellschaft oder die Tourismusbetriebe die Welt besser machen möchten, sie passieren viel mehr durch äußere Zwänge. "Die Chancen, die sich durch die Pandemie eröffnen, werden noch viel zu wenig genützt. Wir sind viel zu passiv, und wir lernen nicht schnell genug", ergänzt der Zukunftsforscher.

Orientierung in der Krise

Auswirkungen der Pandemie werden auf vielen Ebenen sichtbar werden. "Dazu gehört ganz sicher, wie wir mit dem Faktor Zeit umgehen werden." Circa 40 Prozent der Arbeitszeit, so die Prognose, werden Mitarbeiter künftig aus dem Homeoffice arbeiten. Schon allein diese Tatsache werde Auswirkungen auf Immobilien, auf die Geschäftslokale in den Bürovierteln und generell die Mobilität haben. Auswirkungen zeigen sich aber auch auf anderer Ebene. Festgefahrene Strukturen wurden durch die Pandemie aufgebrochen. Die Automobilindustrie, die mit Corona-bedingten Zulieferproblemen zu kämpfen habe, oder KMUs, die bei neuen Geschäftsmodellen mit neuen Partnern zusammenarbeiten.

Wichtig sei aber, so Gatterer, dass in allen Berufen gute Bedingungen geschaffen werden und der Mensch nicht nur als Ressource, sondern wieder als Mensch in der Wirtschaft gesehen werden. Dann würde auch viel mehr in Weiterbildung und Qualifizierung investiert werden.

Die ökologische Komponente bekomme bei der Neugestaltung der Wirtschaft einen neuen Stellenwert. Auch deshalb, weil die Corona-Krise gezeigt habe, dass es wenig funktionierende Zukunftsbilder gibt. "In der Krise sucht man aber nach Zukunftsbildern, nach Orientierung." Diese Visionen würden nicht ad hoc entstehen, helfen aber bei der Zukunftserzählung – und hier sei "die Rettung des Planeten ein schönes Zielbild", sagt Gatterer. (Gudrun Ostermann, 25.4.2021)