Angela Merkel musste am Freitag Rede und Antwort stehen.

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Sie war entspannt.

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Es wirkt natürlich ein bisschen seltsam. Jeder im Saal 4.900 des Deutschen Bundestags weiß, wer die Frau ist, die auf der Zeugenbank sitzt und jetzt gleich zur Wirecard-Pleite befragt wird, bei der ein Börsenwert von 20 Milliarden Euro verbrannt wurde. Und dennoch: Regeln müssen auch vor einer Befragung der deutschen Bundeskanzlerin eingehalten werden. "Bitte, nennen Sie Ihren Namen und Ihr Alter", sagt der Ausschussvorsitzende Kay Gottschalk (AfD). "Angela Dorothea Merkel, 66 Jahre alt", antwortet Merkel.

Sie wirkt entspannt. Hochgefährlich ist ihr Auftritt im U-Ausschuss nicht, unangenehm schon. Es geht um eine China-Reise Merkels von 5. bis 7. September 2019. Da soll Merkel bei der chinesischen Führung in Peking sich für Wirecard eingesetzt haben, obwohl es schon Presseberichte über Unregelmäßigkeiten bei dem vom Österreicher Markus Braun geführten Dax-Konzern gegeben hatte. Die Opposition wittert hier ein nicht korrektes Verhalten und findet: Auch Merkel habe dazu beigetragen, dass die Bilanzfälschungen so lange unentdeckt blieben.

Kein Gesprächstermin

Merkel sieht das naturgemäß ganz anders. Wirecard-Chef Braun kenne sie nicht persönlich. Er habe zwar den Wunsch gehabt, sie persönlich zu treffen. Aber, sagt Merkel: "Ich habe dem Gesprächswunsch aus Termingründen nicht entsprochen." Braun hätte die Möglichkeit gehabt, ihren zuständigen Abteilungsleiter im Kanzleramt, Lars-Hendrik Röller, zu treffen. Doch das habe Braun abgelehnt.

Sie geht in ihrer Stellungnahme auch auf ein Gespräch ein, das sie am 3. September 2019, also zwei Tage vor Antritt ihrer China-Reise, im Kanzleramt geführt hat. Da hatte Merkel einen alten Bekannten zu Gast: Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU). Dieser war bis zu seinem Rücktritt wegen einer Plagiatsaffäre um seine Doktorarbeit bis zum Jahr 2011 unter Merkel Verteidigungsminister. Seither ist er als Unternehmensberater und Lobbyist tätig. Guttenberg bat Merkel damals, bei ihrer China-Reise den geplanten Eintritt Wirecards in den chinesischen Markt wohlwollend zu begleiten.

Kein ungewöhnlicher Vorgang

Merkel sieht darin keinen ungewöhnlichen Vorgang: "Es ist für mich eine Selbstverständlichkeit, Gesprächswünschen ehemaliger Mitglieder meiner Bundesregierung zu entsprechen." 45 Minuten sei Guttenberg da gewesen, sie habe aber "keine Erinnerung", dass er Wirecard namentlich erwähnte. "Aber ich kann es nicht ausschließen", sagt sie. Jedenfalls habe sie ihn dann an Röller verwiesen. Dem schickte Guttenberg danach eine E-Mail, die die Plattform "Frag den Staat" veröffentlichte. Guttenberg ließ Röller demnach "die richtigen Formulierungen" zukommen, mit denen Merkel in China für Wirecard werben sollte. Er schrieb, eine Zustimmung der chinesischen Führung zu einem Kauf chinesischer Unternehmen durch Wirecard sei ein "wichtiger Impulsgeber für die weitere Vertiefung der deutsch-chinesischen Finanz- und Wirtschaftsbeziehungen".

Fünf Tage später antwortete Röller, das Thema sei "durch die Chefin angesprochen worden". Und was hat Merkel nun in China zu Wirecard gesagt? Von ihr erfährt man es bei ihrem Auftritt im Ausschuss nicht, das müsse geheim bleiben, sonst könne man sich nicht mehr vertraulich austauschen.

Ziele in China

Merkel betont jedoch, dass der Einsatz der Bundesregierung für deutsche Firmen im Ausland etwas völlig Selbstverständliches sei. "Das betrifft auch den Finanzbereich", sagt sie. Denn: "Das Bemühen Wirecards (in China einzusteigen, Anm.) deckte sich ja mit unserem Ziel, in China Marktöffnung zu erreichen, es fügte sich in die grundsätzlichen und jahrelangen Bemühungen." Merkel legt auch dar, dass sie bei ihren Auslandsreisen stets von einer Wirtschaftsdelegation begleitet werde. Wirecard sei in China nicht dabei gewesen: "Es ist nicht so, dass die China-Reise eine Wirecard-Reise gewesen ist, Wirecard genoss keine Sonderbehandlung."

Dass sie einem offensichtlich schon 2019 trudelnden Unternehmen die Tür geöffnet habe, will Merkel nicht gelten lassen: "Es gab damals allen Presseberichten zum Trotz keinen Anlass, von schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten bei Wirecard auszugehen." Die Sachlage im Jahr 2019 sei anders gewesen als die "Sachlage im Sommer 2020". Am 25. Juni 2020 stellte Wirecard Insolvenzantrag, nachdem in der Bilanz ein Loch von 1,9 Milliarden Euro aufgetaucht war. Die Münchner Staatsanwaltschaft geht von "gewerbsmäßigem Bandenbetrug" aus, Ex-Wirecard-Chef Braun sitzt in U-Haft. (Birgit Baumann, 23.4.2021)