Am 25. Februar 2020 fand das international wenig beachtete Gerichtsverfahren vor dem Revisionsgericht in Thessaloniki statt, das schon am 13. September 2019 in Serres verhandelt worden war: Es wurde dem Kulturverein "Bruderschaft Kyrill und Method der autochthonen Einwohner von Serres" verboten, das griechische Wort dopios (abgeleitet vom griechischen en-topos, also "ein-heimisch") in einer anderen Bedeutung zu verwenden als griechisch.

Dieses Verfahren ist der traurige Höhepunkt einer langen Tradition der Leugnung kultureller und sprachlicher Andersheit in Griechenland, was verwundert, wenn man die Festreden vom 25. März 2021, dem zweihundertjährigen Jubiläum der Griechischen Revolution, anhört, die Griechenland als Ort der Freiheit und revolutionärer Ideale feiern. Man sollte hier anmerken, dass der Hellenismus zu Beginn eine supraethnische Bewegung war, die sich nicht durch Muttersprache definierte (vergleichbar mit dem Frankreich der citoyens nach 1789 oder der britischen Ideologie, die auch große keltische Bevölkerungsteile unter der Krone vereint hat).

Was heißt dopios?

Ein genauerer Blick über die letzten 200 Jahre zeigt, dass der griechische Staat bis heute eine Politik betreibt, die sprachliche Minderheiten nur euphemistisch benennt und auf diese Weise tabuisiert: In touristischen Souvenirshops auf Korfu oder Kreta ist dopios ein Öko-Label und verspricht lokale, nichtimportierte Produkte. In Nordgriechenland zwischen Kastoria und Drama – einem Gebiet mit 35.000 Quadratkilometern, also mehr als einem Drittel der Fläche Österreichs – hat dopios eine andere Bedeutung, nämlich als slawische Mimikry.

Die Bevölkerung in Athen oder auf der Peloponnes weiß nichts von der demografischen Geschichte im griechisch-mazedonischen Raum, denn in den Schulbüchern wird hierüber eine Version angeboten, die vor allem die ethnische Kontinuität aus der Antike betont. Vor Ort hingegen ist im kommunikativen Familiengedächtnis durchaus ein Wissen vorhanden, und angesichts der enormen Bevölkerungsverschiebungen in der Region ist Alteingesessenheit – also "dopios-Sein" – im lokalen Kontext durchaus ethnisch markiert.

Grenzüberschreitendes Abkommen

Über die beiden Prespa-Seen zwischen Griechenland, Albanien und dem heutigen Nordmazedonien waren 1948–1949 zehntausende Kommunisten sowie etliche Tausend elternlose Kleinkinder und Kinder geflohen. Die Flüchtlinge wurden über Albanien in den gesamten späteren Ostblock verschickt, von Niederschlesien, die spätere DDR bis nach Taschkent – allerdings nicht nach Russland. Diese Kinderflüchtlinge als ideologisch geschulte und hochpolitisierte Gruppe haben die globale mazedonische Diaspora nachhaltig geprägt.

Prespa steht seit Jahren für grenzüberschreitende Kooperation, unter anderem durch zahlreiche Kultur-, Film-, Poesie- und Umweltfestivals. Im Sommer 2018 haben der mazedonische Regierungschef Zoran Zaev und der griechische Regierungschef Alexis Tsipras hier ein Abkommen geschlossen, das den fast dreißigjährigen Konflikt um die Staatssymbolik und das Erbe Alexanders des Großen zwischen beiden Staaten beendet hat. Mit der Unabhängigkeitserklärung 1991 hatte der postjugoslawische mazedonische Staat immer stärker – wohl als Reimport aus der Diaspora – Symbole der Antike um Alexander den Großen als Staatssymbolik verwendet. Die griechischen Reaktionen waren ein Wirtschaftsembargo, die oktroyierte Staatsbezeichung F.Y.R.O.M. ("Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien"), das Verbot des Sterns von Vergina in der Staatsflagge und vor allem die lange Blockade der mazedonischen Westintegration (Nato, EU).

Das noch heute vom Bürgerkrieg 1946–1949 gezeichnete Bergdorf Akritas (mazedonisch: Buf) zwischen Florina und Bitola.
Foto: Christian Voß

Das 19-seitige Abkommen vom Sommer 2018 macht den Schutz vor Irredentismus und gegenseitiger Einmischung sowie die territoriale Integrität beider Unterzeichnerstaaten zum zentralen Punkt. Auch wenn Minderheiten nicht genannt werden, wird de facto eine mazedonische Nation und Sprache anerkannt. Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass in Griechenland nach 1991 vor allem antislawische Pamphlete aus dem frühen 20. Jahrhundert und aus dem Kalten Krieg (mit dem Schreckgespenst des "Slawokommunismus") aufgewärmt und reproduziert worden sind, dann begreifen wir die Ungeheuerlichkeit des Textes von Prespa 2018.

Territorium und Verrat

Der eingangs erwähnte Prozess in Serres zeigt, welche Widerstände auf lokaler Ebene gegen die neue Toleranz noch fortbestehen: Als Zeuge der Staatsanwaltschaft benutzt der Präsident der "Gesamtgriechischen Vereinigung der Kulturvereine Mazedoniens" im Lokalsender Epiloges-TV weiterhin die jahrzehntelang eingeübten Formulierungen der "angeblichen Minderheit", der "nichtexistenten mazedonischen Sprache" und der "Skopjoter" (das heißt "Bewohner Skopjes" als herabsetzende Bezeichnung für die Bevölkerung Nordmazedoniens). Darüber hinaus bedauert er die Abschaffung der Todesstrafe in Griechenland für Leute wie vom Kulturverein "Kyrill und Method": Bereits die "Aufgabe" des exklusiv griechischen Namens Mazedoniens sei eine "Aufgabe von Territorium" und "Verrat" (im Griechischen: paradhosi onomatos – parahorisi edafous – prodhosia).

Dabei wäre der Name des Kulturvereins "Kyrill und Method" eine gute Gelegenheit, eine Brücke zwischen griechischer und südslawischer Erinnerungskultur herzustellen: Die beiden byzantinischen Diplomaten und Gelehrten Konstantin-Kyrill und Method haben im Auftrag des byzantinischen Kaisers in den 860er-Jahren liturgische Texte aus dem Griechischen übersetzt und so die erste slawische Schriftsprache geschaffen, die in abgewandelter Form bis heute im orthodoxen Raum (bis Russland und Serbien) im Gebrauch ist. Während Kyrill und Method in Nordmazedonien und Bulgarien als Nationalheilige verehrt werden und wichtige Institutionen wie Hauptstadtuniversitäten und Nationalbibliotheken nach ihnen benannt sind, so sind sie aus griechischer Sicht byzantinische Heilige. "Kyrill und Method" bieten so ein hohes transnationales und multiperspektivisches Potenzial und sind seit langem als Integrationsfiguren einer europäischen Erinnerungslandschaft identifiziert worden.

Eines von vielen Straßenschildern "Jugoslawien", die man in der Region noch finden kann.
Foto: Ilias Grouios

Liberalisierung, aber nur im Westen des griechischen Mazedoniens

Griechenland hat seit dem Ende der Obristenjunta 1974 und insbesondere in den 1990er- und 2000er-Jahren eine enorme Liberalisierung erfahren. Einen Höhepunkt dieser Entwicklung markiert das 2000 in Griechenland erschienene, vielbeachtete Buch "Die verbotene Sprache. Staatliche Unterdrückung der slawischen Dialekte im griechischen Mazedonien" von Tasos Kostopoulos.

Wie lässt sich dann aber der Skandalprozess von Serres erklären? Das griechische Mazedonien hat die neun Regierungsbezirke Kastoria, Florina, Kozani, Pella, Imathia, Kilkis, Thessaloniki, Serres und Drama. Es hat keinen Sinn, pauschal über diesen Raum zu sprechen, da wir regional und lokal stark differenzieren müssen – denn die Geschichte im 20. Jahrhundert hat im kollektiven Gedächtnis unterschiedliche Spuren hinterlassen.

Mazedonisches Revival

Das griechische Mazedonien lässt sich in drei Gebiete einteilen: in den Raum Florina und Edessa, wo viele und große Dörfer mit slawischsprachiger Bevölkerung leben, nämlich 112 Dörfer, von denen 66 keine Zusiedlung in den 1920er-Jahren erfahren haben. Dann in den zentralmazedonischen Teil mit Pella, Imathia, Kilkis und Thessaloniki: Hier sind es 121 Dörfer (von ihnen 41 ohne Zusiedlung), in Ostmazedonien (Serres und Drama) hingegen nur 38 Dörfer (davon vier ohne Zusiedlung).

Diese Zahlen zeigen, wieso sich die Menschenrechtsbewegung seit den 1980er-Jahren im Westen ausgebildet hat. In Florina hat sich die Partei Ouranio Toxo ("Regenbogen") etabliert und sehr viel zu einer toleranten mehrsprachigen Lokalgesellschaft beigetragen. In Westmazedonien werden die slawischen Dialekte sehr viel häufiger als sonst wo als Mazedonisch bezeichnet, wozu auch der rege kleine Grenzverkehr nach Bitola und Gevgelija beiträgt. Durch diesen Grenzverkehr Richtung Nordmazedonien und Bulgarien, also entlang des Wohlstandsgefälles des ehemaligen Eisernen Vorhangs, sind seit der politischen Wende Casinos, Bordelle und Schönheitssalons entstanden, die von der griechischen Mehrheit ebenso stark frequentiert werden wie von der lokalen Minderheit.

Das Revival von Florina in unmittelbarer Nähe zur Grenze nach Nordmazedonien ist eine typische Legalize-it-Bewegung: Es geht darum, auf Dorffesten und Heiratsfeiern das lokale Liedgut als Text mitsingen zu dürfen – wohlgemerkt mit dem slawischen (das heißt mazedonischen) Text. Und jeder, der die Feier- und Tanzkultur des Balkans kennt, weiß, dass zu fortgeschrittener Stunde nicht mehr das Brautpaar die Auswahl der Lieder bestimmt, sondern derjenige, der den Musikern Geldscheine unter die Klarinettenventile steckt oder direkt auf die Stirn klatscht. Somit ist hier ein Freiraum entstanden, der weit über Tanzrhythmus und Musikgeschmack hinausgeht und politische und ethnische Statements beinhaltet: Diese Ausverhandlungen in der Feierkultur haben 1989 im Dorf Meliti bei Florina die bescheidene Lawine ausgelöst, die wir als mazedonisches Revival bezeichnen können.

Die Grenzstadt Florina in Nordwestgriechenland, Zentrum der mazedonischen Bewegung seit den 1990er-Jahren.
Foto: Ilias Grouios

Weit fortgeschrittene Integration

Diese Revivalbewegung steht keineswegs im Geist des 19. Jahrhunderts und eines panslawistisch inspirierten Slawentums. Nein, sie hat einen regional-lokalen und familiären Fokus auf die Unrechtserfahrung als slawischsprachige Bürger im neugriechischen Staat, insbesondere während der Diktaturen der 1930er- bis 1940er- und der 1960er- bis 1970er-Jahre.

Wenn hier die Minderheitensituation in Griechenland angeprangert wird, sollte hinzugefügt werden, dass wir dieselbe Situation in allen jungen Nationalstaaten Europas seit dem 19. Jahrhundert antreffen, nämlich die mehr oder weniger repressive Marginalisierung, Stigmatisierung und gar Kriminalisierung von Minderheitenkulturen und -sprachen – allerdings nur bis in die 1960er- bis 1980er-Jahre. Im komparativen Kontext erkennen wir heute, dass gerade historische Aufladungen zwischen Mehr- und Minderheit und Viktimisierungsdiskurse hohes Mobilisierungspotenzial haben.

Das Kalkül des Gerichtsurteils von Serres, nämlich die Verhinderung eines Präzedenzfalls slawischer Kulturvereine außerhalb der Region Florina, wird daher nicht aufgehen. Im Gegenteil, derartige Verfahren bedrohen die Integration der Slawischsprecher in die griechische Gesellschaft, die seit den 1970er-Jahren weit fortgeschritten ist. (Christian Voß, 28.4.2021)