Tobias Müller

Tahini hat in Mitteleuropa in den vergangenen Jahren ziemlich an Beliebtheit zugelegt, dabei ist es nur einer von vielen Vertretern einer großen Sesampastenkultur, die von Nordafrika und dem Mittelmeer bis nach Japan reicht. In China ist Sesampaste eine mindestens so essenzielle Zutat wie in Israel, und die einzige mir bekannte Speise, in der Sesam die Hauptrolle spielt, kommt aus Japan (siehe Fußnote).

Gomadoufu, Tofu aus Sesam

Eine kurze Geschichte des Sesams

Wilder Sesam stammt ursprünglich aus Afrika, dürfte aber schon in grauer Vorzeit gen Osten gewandert (oder, besser, getragen worden) sein, mindestens bis nach Indien (wo es laut manchen Quellen auch eine eigene wilde Art gibt) und dem Mittleren Osten.

Sesamsamen bestehen zu rund 50 Prozent aus Fett, was sie zu einer wunderbaren Ölquelle macht. Die älteste schriftliche Erwähnung von Sesamöl ist eine babylonischen Tontafel aus dem 6. Jahrhundert vor Christus, und zahlreiche antike Autoren erwähnen Sesam, etwa Samen auf sizilianischem Brot oder als ägyptische Ölfrucht. Unser Wort Sesam leitet sich vom altägyptischen "sesmet" ab und ist damit eines der ganz wenigen Wörter, die aus dieser Sprache stammen.

Dan-Dan-Nudeln.
Tobias Müller

Im 5. Jahrhundert taucht er erstmals in chinesischen Schriften auf, dürfte allerdings schon viel früher in der Gegend verwendet worden sein. Von dort gelangte er schließlich nach Japan, wo er eine essenzielle Zutat der vegetarischen buddhistischen Tempelküche wurde und ist.

Was Sie vielleicht immer schon wissen wollten: Die Samenkapseln mancher wilder Sesamarten springen abrupt auf, wenn sie reif sind, und schleudern die Samen heraus. Das dürfte der Ursprung des Sprichworts "Sesam, öffne dich" sein.

Wie wird Sesampaste hergestellt?

Kommt wie immer ein bissl darauf an, wer sie wo macht, aber im Grunde so: Sesamkörner werden zunächst in Wasser eingeweicht, mitunter geschält, dann mehr oder weniger geröstet und schließlich gemahlen, sodass sein Öl und die festen Bestandteile emulgieren und eine samtige Paste entsteht. Das war's.

Eingeweichter Sesam in einer japanischen Gomadoufu-Manufaktur.
Tobias Müller

Was für Arten von Sesampaste gibt es?

Wie bei allem, was so gut ist, sind die Variationen fast endlos. Die zwei berühmtesten Varianten kommen aber aus dem Nahen Osten und China. Für Tahini, die Sesampaste des Nahen Ostens, wird der Sesam entweder gar nicht oder vergleichsweise wenig geröstet, weswegen es eine zartbeige Farbe hat, während in China meist deutlich stärker geröstete und daher dünklere Pasten verwendet werden. Außerdem werden der Paste oft neben Sesam auch noch Erdnüsse zugesetzt. Chinesische Pasten schmecken entsprechend intensiver, herber, tiefer und im Nussspektrum mehr nach Erdnuss als ihre orientalischen Kollegen.

In Asien, vor allem Japan, wird auch schwarzer Sesam zu Pasten verarbeitet. Mir fehlt der Überblick und die blinde Vergleichsverkostung, aber der Oxford Companion to Food beteuert, dass zwischen schwarzen, weißen und gelben Sesamarten geschmacklich kein Unterschied besteht und es sich um eine rein ästhetische Entscheidung handelt.

Pasten aus schwarzem, weißem oder gelbem Sesam gleichen sich geschmacklich.
Tobias Müller

Kann Sesampaste schlecht werden?

Kaum. Sesam (und sein Öl) enthält eine ungewöhnlich große Menge an Antioxidantien, weswegen es erstaunlich resistent ist gegen das Ranzigwerden, den großen Fluch vieler anderer sehr fetter Produkte. Ein offenes Glas Tahini oder chinesische Sesampaste ist daher auch nach Monaten noch mit Genuss essbar. Wie immer gilt natürlich: Besser wird Sesampaste auch nicht. Wenn wer eine Zahl will: Ein Jahr erscheint mir als etwas willkürlicher, aber vernünftiger Rahmen, um ein offenes Glas mit größtmöglichem Genuss zu verspeisen.

Wenn sich oben auf der Paste das Öl absetzt, ist das kein Zeichen, dass sie schlecht geworden ist, sondern ganz normal. In Produkten ohne diverse Stabilisatoren wird das immer passieren. Rühren Sie die Paste einfach gut durch, bevor Sie sie verwenden, fertig.

Wie erkenne ich gute Sesampaste?

Wie immer gilt: Lesen Sie die Zutatenliste. In Tahini ist idealerweise nix drin außer Sesam, in chinesischen Pasten ist oft auch noch Erdnuss, Salz und Zucker enthalten.

Bei Tahini schätze ich Al Yaman (gab es bis zum Brexit hier), Freund F. S. schwört auf Al Wadi al Akhdar (gibt's am Brunnenmarkt etwa hier). Hier finden sich die Tipps von jenem Mann, der maßgeblich mit schuld ist am westlichen Tahiniboom der vergangenen Jahre.

Tahini von Al Yaman
Tobias Müller

Bei chinesischen Pasten wird es etwas schwieriger, reine Sesampasten sind bei uns gar nicht so leicht zu bekommen. Im japanischen Geschäft in der Faulmanngasse in Wien gibt es feine japanische Ware. Diese hier habe ich noch nicht probiert, würde mich aber sehr interessieren.

Meine liebe chinesische Freundin Xinxin kauft Wangzhihe im Lili-Markt (soweit ich weiß mit Erdnussanteil) oder macht sie gleich selber, siehe Rezept weiter unten.

Chinesische Sesampaste Wangzhihe
Xinxin

Und, am wichtigsten: Was kann ich mit Sesampaste alles machen?

Wo auch immer Sie ein wenig Fett, Substanz und herrlichen Sesamgeschmack wollen, können Sie Sesampaste hineinpacken – die Möglichkeiten sind also so gut wie endlos. Sind die anderen Zutaten eher mild, greifen Sie tendenziell zu Tahini, ist der Geschmack robuster, ist chinesische Sesampaste tendenziell die bessere Wahl. Das soll aber niemanden davon abhalten, nicht auch einmal Baba Ganoush mit chinesischer Sesampaste zu probieren oder Tahini in die Dan-Dan-Nudeln zu mischen. Ich habe beides zu meiner vollen Zufriedenheit probiert.

Hühnergericht mit Sesampaste
Tobias Müller

Eine unvollständige Auswahl:

  • für Dips, etwa mit etwas Zitronensaft, Knoblauch und Kreuzkümmel gemischt für junges Gemüse
  • als Basis, um es mit diversen Gemüsen zu vermischen, von Baba Ganoush über Hummus bis hin zu einer frühlingshaften Erbsen-Tahini-Creme
  • für Salatdressings, etwa mit etwas Sojasauce, Chili, Knoblauch und (schwarzem) Essig – macht sich besonders toll auf Gurken
  • als Marinade für kaltes Fleisch, vor allem Huhn
  • als Basis für kalte und warme Pastasaucen, etwa diese hier
  • als Füllung von Dampfknödeln, sei es einfach nur gesüßt oder mit anderen Zutaten gemischt
  • als Verfeinerung von Puddings und anderen (asiatischen) Desserts, für Palatschinken oder Eis, sei es hineingemischt oder darübergeträufelt

Hausgemachte chinesische Sesampaste, wie Xinxin sie gern macht

  • 300 g Sesam
  • 100 g geröstete Erdnüsse
  • 10 g Salz
  • 5 g Zucker
  • 15 g Butter
  • 15 ml Sesamöl

Sesam in einer Pfanne etwas Farbe nehmen lassen. Erdnüsse ebenfalls kurz in der Pfanne warm werden lassen. Sesam in einer Küchenmaschine pürieren, dann Erdnüsse zugeben und schließlich die anderen Zutaten zugeben und mixen, bis eine Emulsion entsteht.

Hier gibt's ein Video davon (auf Mandarin, aber selbsterklärend):

Ziemlich einfache, ziemlich gute Dan-Dan-Nudeln

Update meines alten Rezepts des Sichuan-Klassikers, von diesem höchst interessanten Blog mehr oder weniger übernommen. Die Mengenangaben sind leicht genug für sechs oder mehr Portionen – weil sich die Mischung aber wunderbar hält, schadet es gar nicht, so viel zu machen und dann in wenigen Minuten Dan-Dan-Nudeln essen zu können.

  • Fleischbasis
    • 300 g Faschiertes (Rind, Lamm, Schwein, was grad da ist)
    • 1 TL Maisstärke
    • 2 EL Fischsauce
    • 1 EL Sojasauce
    • 1 EL geröstetes Sesamöl
    • 1 EL Sichuanpfeffer, kurz geröstet und gemahlen
    • 1 daumengroßes Stück Ingwer, geschält und gerieben
    • 3 Knoblauchzehen, geschält und gerieben
    • Öl zum Braten
  • Sauce
    • 150 g Sesampaste Ihres Vertrauens
    • 100 ml Sojasauce
    • 2 EL Erdnussbutter
    • 1 El Zucker
    • 4 Knoblauchzehen, gerieben
    • 50 ml Chiliöl
  • Zum Anrichten
    • Suppe
    • gehackte Frühlingszwiebel
    • fein gehacktes vergorenes Senfgemüse oder, eine sehr gute Alternative, eingelegte Jalapeños

Alle Zutaten für die Fleischbasis in einer Schüssel vermischen. In einer Pfanne auf hoher Hitze braten, bis es ganz durch und ein wenig knusprig ist.

Mit den Saucenzutaten gut verrühren und entweder gleich essen oder in ein gut verschließbares Glas füllen – hält sich phänomenal mehrere Wochen im Kühlschrank.

Zum Servieren Dan-Dan-Basis 1:1 vom Volumen mit Suppe mischen und ordentlich heiß werden lassen. Pasta der Wahl nach Packungsanleitung kochen, mit der Sauce mischen, mit Frühlingszwiebeln und vergorenem Gemüse/Jalapeños bestreuen und servieren.

Fußnote: Sesam wird eingeweicht, gemahlen, die "Milch" zum Gerinnen gebracht und damit zu einer Art Tofu, dem Goma-Doufu, verarbeitet. Das Ergebnis schmeckt wie ein köstlicher Sesampudding. Ich hatte einmal das Glück, zufällig in eine Goma-Doufu-Manufaktur in Koya-san zu spazieren und von der Besitzerin eine Tour zu bekommen. Foto: siehe oben.