Die Pharma- und Kosmetikindustrie hat Haie für ihre Lebern gern.

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Schon 1916 notierte der japanische Chemiker Mitsumaru Tsujimoto, dass die Leber von Haien einen besonders vielversprechenden Stoff beinhalte: Squalen. 30 Kohlenstoff- und 50 Wasserstoffmoleküle machen die ölige Substanz aus, die auch in Olivenöl, Zuckerrohr und sogar im menschlichen Blut vorkommt. In der Haileber findet man sie besonders oft. Denn anstatt sogenannte Schwimmblasen für die Regulierung ihres Auftriebs zu nützen, können manche Haiarten auf das Öl in ihrer Leber zurückgreifen. Bei Tiefseehaien wie dem Schlinghai oder dem Portugiesenhai kann die Leber sogar 25 Prozent des Gewichts ausmachen.

Das ist ein Problem. 100 Millionen Haie werden jedes Jahr – oft illegal – getötet. Sie landen als Beifang im Netz oder werden gezielt für ihre Flossen, ihre Zähne und ihr Fleisch gefangen. Drei Millionen Haie sollen jedes Jahr für die Squalenextraktion getötet werden, so Schätzungen der französischen NGO Bloom. In nur einem halben Jahrzehnt hat sich die Zahl der Haie und Rochen um mehr als 70 Prozent reduziert. Das zeigte eine umfassende Studie im Journal Nature Anfang des Jahres. Der Druck durch Fischerei habe sich in dieser Zeit 18-fach vergrößert. Das führt dazu, dass bereits mehr als drei Viertel aller Hai- und Rochenarten vom Aussterben bedroht sind – eine Bedrohung nicht nur für die Fische selbst, sondern auch für die Ökosysteme, deren Teil sie sind.

Besonders in der Kosmetikindustrie ist Squalen als Grundlage für Salben und Conditioner gefragt. Rund 2000 Tonnen Squalen werden dort jährlich verbraucht, schätzt Bloom. Für die Produktion einer Tonne müssen rund 3000 Haie geschlachtet werden.

250.000 Haie für Impfung

Aber nicht nur die Kosmetikindustrie nützt den Stoff: Damit Impfstoff die größtmögliche Wirkung entfalten kann, fügt man in der Herstellung sogenannte Adjuvanzien hinzu. Sie führen zu einer besseren Wirkstoffaufnahme und verstärken so die Immunantwort des Körpers. Auch Squalen wird als Adjuvans eingesetzt. "Wir hatten schon mehrere Jahre zur industriellen Nutzung von Squalen geforscht und wurden hellhörig, als die Impfstoffproduktion letztes Jahr in die Höhe schoss", so Josh Soll von der kalifornischen NGO Shark Allies, der an der Universität Colorado zur Squalennutzung forscht. Die Organisation schätzt, dass mindestens 250.000 zusätzliche Haie für die Produktion von Covid-19-Impfstoffen getötet werden könnten.

Haifischerei in Indonesien: Drei Viertel aller Hai- und Rochenarten sind vom Aussterben bedroht.
Foto: AFP/Chaieer Mahyuddin

Zwar wurden zum Schutz der Haie Gesetze erlassen, um etwa das Abtrennen von Haifischflossen zu verbieten. Doch diese werden insbesondere in internationalen Gewässern kaum überwacht. Videos zeigen, dass Haie gezielt für ihre Leber gefangen werden. Livering nennt man die Praktik, bei der sie herausgeschnitten und der Fisch zurück ins Wasser geworfen wird.

Hefe statt Haie

Organisationen wie Shark Allies rufen deshalb dazu auf, alternative und nachhaltigere Quellen für den Stoff zu finden. Denn das Squalen aus Haien ist nicht unbedingt besser als das pflanzliche, sondern wird vielmehr aus Tradition und Gewohnheit genützt, so die NGO.

Doch auch die Nutzung von Squalen aus Pflanzen ist nicht unumstritten: 70 Stunden braucht man, um das Squalen aus Olivenöl auf den notwendigen Reinheitsgrad zu bringen, bei Hai-Squalen sind es nur zehn. Das macht es um 30 Prozent günstiger.

An mancher Stelle versucht man es deshalb mit unscheinbarer Hilfe: "Wir haben schon vor einiger Zeit begonnen, verschiedene Stoffe in Hefezellen herzustellen", sagt Harald Pichler. Er ist Forscher am Austrian Center of Industrial Biotechnology und an der Technischen Universität Graz. "Wir konnten weltweit als Erste natürliches Ambrein herstellen, ein Duftstoffmolekül, das auch im Verdauungstrakt von Walen vorkommt und in der Parfumindustrie verwendet wird", sagt Pichler. Ein Zwischenprodukt, um dieses Ambrein herzustellen, ist Squalen.

Entzieht man den gewöhnlichen Bäckerhefen Sauerstoff, reichern diese mehr Squalen an. Gemeinsam mit seiner ehemaligen Dissertantin Sandra Moser ist es ihm gelungen, größere Mengen davon zu erzeugen – allerdings noch nicht genug, um einen industriellen Prozess aufzusetzen, sagt Pichler. Gespräche mit Pharmafirmen wurden dennoch schon geführt. "Glaubt man den NGOs, ist das Problem mit dem Haifang sehr groß. Umso schöner wäre es, wenn man Squalen mit unserer Methode künftig in großem Maßstab produzieren und so pflanzliche und tierische Squalenquellen ersetzen könnte."

Die NGO Shark Allies sieht mehrere mögliche Lösungswege: Druck von Konsumenten, neue Gesetze zum Schutz der Haie, Ausbau alternativer Produktionswege. "Wenn wir das Bewusstsein für die Bedrohung von Haien stärken, würden Unternehmen vielleicht weniger auf Haie für die Squalenerzeugung zurückgreifen", sagt Soll. "Und dafür müsste Squalen aus anderen Quellen natürlich günstiger werden." (Katharina Kropshofer, 27.4.2021)