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Die Corona-Pandemie hat ein paar Schwachstellen in der Organisation des Staates gezeigt. Im Gesundheitswesen sind die föderalen Strukturen ein altes Konfliktthema.

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Der Föderalismus ist wieder ins Gerede gekommen. Es hat sich gezeigt: Ohne Landeshauptleute geht auch in der Pandemie (fast) nichts, und gegen sie schon gar nicht. Ob Ischgl, die Corona-Ampel, der sie früh das Licht abgedreht haben, neun unterschiedliche Impfanmeldesysteme oder der Ostlockdown, aus dem dann erst recht ein Bundesland ausschert, weil es "seine" Patientinnen und Patienten eh in den Wiener Intensivstationen mitversorgt weiß: Eins-plus-neun-Corona-Management à la Österreich – ausgebreitet auf dem sprichwörtlichen "Fleckerlteppich".

Föderallala!

In Deutschland spielt es das Ganze mit dem Faktor 16: So viele Ministerpräsidenten mit eigener Mission erklären Kanzlerin Angela Merkel regelmäßig, warum sie keine bundeseinheitlichen Corona-Maßnahmen in "ihrem" jeweiligen Bundesland wollen. "Föderallala", ätzte dazu die ZDF-Satiresendung Heute Show.

Das ist die eine Lesart föderaler Politikstrukturen. Es gibt auch eine andere: Schafft die bundesstaatliche Organisation nicht gerade die Möglichkeiten für regional kontrollierte Experimente wie die regional begrenzte Öffnung in Vorarlberg, weil dort die Infektionslage eben ganz anders war als im Rest Österreichs, oder das vorbildhafte Testsystem, das in Wien etabliert wurde? Ist vielleicht genau das die Stärke des Föderalstaats, nicht nur in einer Krise im Pandemieformat?

Wie krisentauglich ist der Föderalismus, der sich vom lateinischen "foedus" ableitet, was Bündnis oder Vertrag bedeutet? Wir fragen nach in Wien, in Tirol und in Niederösterreich: Beim ehemaligen Rechnungshofpräsidenten Franz Fiedler, der als Vorsitzender des Österreich-Konvents von 2003 bis 2005 eine neue Version der Bundesverfassung erarbeitete mit einer neuen föderalen Kompetenzverteilung – die nie realisiert wurde. Bei Verfassungsjuristin Anna Gamper, die an der Universität Innsbruck das Forschungszentrum Föderalismus koordiniert und den föderalen Staat wissenschaftlich durchdringt. Und bei Verfassungsrechtler Heinz Mayer, der im Österreich-Konvent damals den Ausschuss für "Staatsaufgaben und Staatsziele" geleitet hat.

Achtung vor zu viel Post-Krisen-Aktivismus!

Wie steht es also um den Föderalismus österreichischer Prägung im Jahr zwei der Corona-Pandemie? Ist sie ein Anlass, "danach" quasi Tabula rasa zu machen und alles neu aufzustellen?

Einig sind sich die Expertin und die zwei Experten darin, dass die Pandemie einige föderale Schwachstellen und Mängel aufgezeigt hat. Anna Gamper warnt aber vor zu viel Post-Krisen-Aktivismus: "Krisen sind eher ein schlechter Ratgeber für Verfassungsreformen." Der Bundesstaat ist als Bauprinzip in der Verfassung verankert. "Die Pandemie zeigt gewisse Problemstellen auf, aber man sollte sich hüten, die Dinge nur noch aus der Linse der Pandemie zu sehen." Wenngleich zu beobachten sei: "In allen Bundesstaaten hakt es in der Pandemie, aber in Einheitsstaaten genauso." Außerdem zeige sich: "Weltweit ist ein Trend da, dass Bundesstaaten zunehmen." Ein Pro-Argument sieht die Forschung im "Wettbewerbsföderalismus", also der "Möglichkeit, dass die Länder um die besseren Wege ringen", erklärt die Jus-Professorin: "Unterschiedliche Regelungen der Länder haben Sinn, etwa mit Blick auf räumliche Gegebenheiten."

Erwachen oder verhindern?

Heinz Mayer sieht im "Erwachen der Länder" ebenfalls durchaus positive Effekte: "Eine föderale Struktur ist nicht per se schlecht." Sie habe auch Vorteile: "Eine gewisse Gewaltenteilung, ein Widerpart zur Bundesregierung. Allerdings gab es im Laufe der Jahrzehnte eine Entwicklung, die auch Nachteile bringt." Vor allem, wenn es auf Bundesseite an starker Führungskompetenz mangle, denn, so sagt Mayer: "Die Länder haben vor allem Verhinderungskompetenzen. Das gehört beseitigt."

Die föderale Kompetenzzersplitterung war auch ohne das Coronavirus schon lange ein Konfliktthema zwischen den Fraktionen der "Zentralisten" und der "Föderalisten". Vor allem die mittelbare Bundesverwaltung, die auch für das in der Pandemie besonders strapazierte Gesundheitswesen gilt. Sie bedeutet: Der Bund macht die Gesetze, und die Länder vollziehen sie für ihn.

Gesundheit sollte Bundessache sein

Franz Fiedler hat dazu eine klare Position: "Dass das Gesundheitswesen Bundessache ist, aber die Krankenhäuser ausgenommen sind, war schon in der Vergangenheit ein schwerer Mangel, der sich jetzt besonders rächt. Wir wussten nicht einmal, wie viele Intensivbetten wir haben. Ein Armutszeugnis!" Die politische Konsequenz, die seiner Meinung nach pandemieunabhängig gezogen werden müsste: "Das Gesundheitswesen sollte zur Gänze in Bundeskompetenz mit einem Durchgriffsrecht des Ministers, von dem er dann auch Gebrauch macht."

Mayer pocht unbedingt auf ein Ende der, wie er sagt, "völlig verrückten" föderalen Finanzierungsstruktur in Österreich: "Jetzt treibt der Bund die Steuern ein, die Länder stänkern und kriegen das Geld."

Die Macht der "Fürsten der Finsternis"

Für Fiedler hängen die pandemiebedingten föderalen Probleme "zum Teil auch mit der Realverfassung und angemaßten Kompetenzen zusammen". Er meint die Landeshauptleutekonferenz, eigentlich nur ein informelles Gremium, aber: "Die hat eine unheimliche Macht mit unglaublichen Folgen in der Pandemie." Ex-Neos-Chef Matthias Strolz sprach einmal von den "Fürsten der Finsternis". Fiedler wirft ihnen verhängnisvollen "Kantönligeist" vor: "Die Länder haben ihre Partikularinteressen – Ischgl war dafür ein Beispiel übelster Sorte, das war das totale Versagen – wieder zu ihren Gunsten ausgespielt, zum Beispiel beim Testen und Impfen."

Wie aber lässt sich dieses historisch gewachsene, politisch komplexe Bund-Länder-Machtmobile verändern, Anna Gamper? "Durch systematische Bereinigung und Überlegen, wer wird wofür zuständig? Das ist die große Kunst und politische Schwierigkeit: Am Ende ist es immer eine Machtfrage." (Lisa Nimmervoll, 24.4.2021)