Rund und wund.

Foto: Getty Images/iStockphoto

Wir beginnen mit einer Selbstanzeige. Vor zwei Wochen startete im Sportteil dieser Zeitung die Serie "Der Ball ist wund", sie begann mit einem Blick in das Jahr 2050 – mit Gendoping, Kopfballverbot und einer Global Super League. Ob das den zwölf Topklubs den Übermut gab, Anfang der Woche mit der Ankündigung einer Superliga den Weltfußball zu erschüttern? Das, muss der Autor zugestehen, wäre denn doch vermessen. Weder Florentino Pérez von Real Madrid noch Andrea Agnelli von Juventus Turin ist als STANDARD-Leser bekannt.

Dass sich zwölf der namhaftesten Teams Europas in diesen kopflosen Vorstoß verrannten, zeugte aber nicht nur von Gier, fehlendem Einfühlungsvermögen und schlechter Planung – es war auch ein Nachweis der Angst, die im Fußball angesichts der Corona-Pandemie umgeht. Der Gesamtverlust der Premier-League-Klubs dürfte schon für die Saison 2019/20 eine Milliarde Euro übersteigen. Borussia Dortmund fürchtet für das Jahr 2020 Verluste von mehr als 75 Millionen Euro. Diese Budgetlöcher könnten den gesamten Profifußball ins Wanken bringen.

Umverteilung

Freilich haben gerade die englischen Klubs milliardenschwere Besitzer, die die Verluste locker auffangen könnten. Aber so funktionieren Investoren eben nicht. Müssen die Superklubs die vermissten Milliarden einsparen, fließen diese auch nicht mehr in den Transfermarkt – und werden damit nicht nach unten verteilt.

Das lief bisher so: Vergangenen Sommer kaufte Manchester City den Innenverteidiger Rúben Dias von Benfica Lissabon, Kostenpunkt 68 Millionen Euro. 24 dieser Millionen schickte Benfica weiter an den spanischen Zweitligisten UD Almería (für Darwin Núñez), 20 gingen an Grêmio (Éverton), 18 an Corinthians (Pedrinho), 15 an den SC Freiburg (Luca Waldschmidt) und, ja, 15 zurück an ManCity (Dias-Ersatz Nicolás Otamendi).

Über lila Scheine von Almería freute sich dann auch GD Chaves. Der portugiesische Zweitligist bekam für den 24-jährigen Nikola Maras 1,3 Millionen Euro – eine Unsumme in einem Land, in dem viele Erstligaklubs ein Gesamtbudget von weniger als vier Millionen Euro haben. Es war Geld, das ursprünglich von den Scheichs von Manchester City kam.

Mechanismus

Bei aller Kritik an der Außenwirkung solch astronomischer Transfersummen, bei allem Blutverlust durch das Mitschneiden der mächtigen Agenten: Transfers sind ein zentraler Umverteilungsmechanismus. Ein noch so guter Stürmerstar bringt Blau-Weiß Linz wirtschaftlich kaum weiter, wenn es nicht jemanden gibt, der Geld für ihn bezahlen will – es sei denn, er bringt seinen Klub in den lukrativen Europacup.

Österreich ist in diesem Ökosystem ein untypischer Fall. Salzburg kassiert zwar immer wieder Millionen für aufgeblühte Jungstars, investiert die aber nur selten in Spieler der nationalen Konkurrenz. Trotzdem sind Spielerverkäufe für Österreichs Klubs wichtig. Die Premier League pumpte zuletzt binnen fünf Jahren 4,6 Milliarden Euro in den Rest der Fußballwelt, die Serie A steuerte fast eine Milliarde bei. Da fällt genug für die hiesigen Bundesligaklubs ab. Laut transfermarkt.at schrieben sie in den letzten fünf Jahren ein Transferplus von 287,67 Millionen Euro, Salzburg herausgerechnet bleiben noch 53,22 Millionen.

Zurückverfolgen

Ein Beispiel? Den letzten großen Kontoeingang verdankte Sturm Graz Dario Maresic, für den Stade Reims im August 2019 drei Millionen Euro überwies. Durch Transfers im selben Sommer lässt sich dieses Geld via Bordeaux und Sevilla zu Paris Saint-Germain zurückverfolgen. Die Umverteilung endet mit Österreichs Profibetrieb. Amateurspieler können von 1. bis 20. Juni für eine winzige Entschädigung abgeworben werden, die Summen schreibt Paragraf 9 der ÖFB-Transferregeln vor. Sie liegen je nach Ligazugehörigkeit des neuen Vereins und Alter des Kickers fast immer unter 1000 Euro, Akademie-Spieler sind deutlich teurer. Ablösesummen gibt es für Regionalliga-Klubs also nur durch Beteiligungen an Weiterverkäufen oder in der Winter-Transferphase – es sei denn, sie leisten sich Spieler mit teuren Profiverträgen.

Zurück in die Bundesliga: Bremsen die internationalen Geldkofferjongleure die Transfersummen nun ein, würde das auch die Budgets hierzulande betreffen – wobei Transfererlöse im Lizenzierungsverfahren ohnehin nur sehr vorsichtig einkalkuliert werden sollen. Trotz Corona seien "die Bundesliga-Klubs bisher weitestgehend finanziell stabil durch die Krise gekommen", sagt Bundesliga-Chef Christian Ebenbauer. Was Transfers betrifft, habe sich "in den vergangenen Monaten gezeigt, dass Ausgaben in jede Richtung genauer überlegt werden". Ebenbauer glaubt aber, dass für talentierte Bundesliga-Spieler "nach wie vor gute Ablösen erzielt werden können".

Gretchenfrage

Also, was wird der Sommer bringen? Schon im vergangenen Corona-Sommer war das globale Transfervolumen halbiert. Real Madrids Präsident Florentino Pérez sagt mit Blick auf die Superstars Kylian Mbappé und Erling Haaland: "Solche Transfers werden ohne die Super League unmöglich sein." Auch die Big Spender müssen sich wohl zusammenreißen, allen voran der FC Barcelona mit seinen Milliardenschulden. Vielleicht sind das aber Drohgebärden und Nebelgranaten, und die Großen machen nach Corona einfach weiter mit dem Wettrüsten – bis in den Bankrott: oder bis sie ihre Wünsche nach lukrativeren Bewerben durchbringen und noch mehr Geld aus den Fußballfans quetschen.

Vielleicht geht es auch dem größten Kostentreiber an den Kragen: den Spielergehältern. Laut The Athletic will Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge mithilfe der EU eine Gehaltsobergrenze einführen. Deren Entwurf, Durchsetzung und Vereinbarung mit EU-Recht wäre unglaublich kompliziert – und ob Vereine damit langfristig gesünder wirtschaften würden oder nur mehr Geld für Investoren übrig bliebe, steht auf einem anderen Blatt. (Martin Schauhuber, 24.4.2021)