Das Gedenken an die Toten des Genozids an den Armeniern wurde dieses Jahr von einer eindeutigen Positionierung der USA begleitet.

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Lange haben Armenier weltweit auf diesen Schritt gewartet, nun ist er erfolgt: Zum 106. Jahrestag des Beginns des Völkermords an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915 hat US-Präsident Jo Biden eine Erklärung veröffentlicht, in der er den Genozid explizit als solchen benennt. Er begründet seine Aussage damit, dazu beitragen zu wollen, dass sich solche Ereignisse niemals wiederholen.

Jahrzehntelang haben US-Präsidenten den Schritt gescheut – entweder weil sie selbst Zweifel am Völkermord hatten, oder weil sie es sich mit dem strategisch wichtigen Nato-Partner Türkei nicht verderben wollten. Das galt natürlich im Kalten Krieg, wo die Türkei als Stützpfeiler der Nato an der Südostgrenze zur Sowjetunion gebraucht wurde, aber auch danach kam es sowohl unter den beiden Bush-Präsidenten wie auch unter Bill Clinton und Barack Obama nicht dazu.

Donald Trump wollte seinen "Freund" Recep Tayyip Erdoğan wegen einer solchen Frage erst recht nicht vergraulen, und so blieb es nun Joe Biden überlassen, bei diesem hochemotionalen Thema endlich für Klarheit zu sorgen – ein Schritt, den fast alle europäischen Regierungen und selbst Russland bereits gegangen sind. Bis heute lehnt die türkische Regierung die Einstufung der Massaker an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs als Völkermord ab.

Erwartbarer Protest

Die Mitteilung gehörte deshalb zu den für Erdoğan unerfreulichen Neuigkeiten, die ihm Biden am Freitag bei ihrem ersten Telefonat seit seinem Amtsantritt als neuer US-Präsident überbrachte. Biden hatte ihn zwar bereits vor der Wahl öffentlich als Autokraten bezeichnet und in einem Gespräch mit der New York Times Anfang 2020 gesagt, man müsse die türkische Opposition unterstützen. Doch dass Biden gleich dieses symbolische Thema aufgegriffen hat, sorgt in der türkischen Regierung für Bestürzung.

Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu protestierte heftig und wies Bidens Anerkennung als ungerecht, populistisch und nicht den Fakten entsprechend zurück. Noch am Samstag wurde der US-Botschafter in Ankara ins Außenamt zitiert, um sich den förmlichen Protest anzuhören. Erdoğan, der wie schon seit Jahren, auch am 106. Jahrestag des Beginns des Völkermords dem armenischen Patriarchen in Istanbul sein Beileid aussprach, gleichzeitig aber auch auf die vielen türkischen Opfer im Ersten Weltkrieg hinwies, verbat sich eine Einmischung Dritter und wiederholte die türkische Forderung, man solle diese Frage den Historikern überlassen.

Der Protest ist allerdings nur noch eine Pflichtübung für die Anhänger Erdoğans. Viel mehr wird von türkischer Seite aus vermutlich nicht passieren, denn der türkische Präsident kann es sich zurzeit schlicht nicht leisten, sich Biden ernsthaft zum Feind zu machen.

Signale der Entspannung

Seit Wochen sendet er Signale des Entgegenkommens nach Washington. Das gilt für den Streit um die Gasförderung im Mittelmeer, seine Angebote zur Wiederannäherung an Israel und Ägypten und nicht zuletzt seine Parteinahme für die Ukraine, die so weit geht, dass Erdoğan den ukrainischen Präsidenten in Istanbul empfing und der Ukraine nun bewaffnete Drohnen aus türkischer Produktion liefert.

Entsprechend empört zeigte sich der russische Präsident Wladimir Putin, für den die Unterstützung der Ukraine eine rote Linie ist. Erdoğan hofft jetzt auf ein Treffen mit Biden am Rande des Nato-Gipfels im Juni.

Damit der symbolische Schritt, den Biden nun getan hat, auch praktische Konsequenzen nach sich zieht, müssten sich die USA im Kaukasus wieder stärker engagieren. Mit Unterstützung der Obama-Administration hatten die Türkei und Armenien 2009 bereits einen Anlauf zur Annäherung unternommen, die unter anderem die Öffnung der Grenze beinhalten sollte, die die Türkei nach dem Krieg um Bergkarabach zwischen Aserbaidschan und Armenien 1994 aus Solidarität mit Aserbaidschan geschlossen hatte.

Die Annäherung 2009 scheiterte dann auch daran, dass es in Bergkarabach aus aserbaidschanischer Sicht keine Fortschritte gab. Nach dem jüngsten Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan im Herbst 2020 kann sich Erdoğan eine Grenzöffnung wieder vorstellen – wenn die armenische Regierung "sich konstruktiv" verhält und zu Gesprächen bereit ist. (Jürgen Gottschlich aus Istanbul, 25.4.2021)