Wenige Tage nach dem Attentat überreicht in Rambouillet eine Passantin einer Polizistin einen Blumenstrauß.

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Der ganze Schrecken eines Terroranschlags kehrte am Sonntag nach Frankreich zurück, als Staatsanwalt Jean-François Ricard in einer Pressekonferenz den Tathergang schilderte. In der Eingangsschleuse der Polizeiwache von Rambouillet hatte ein Mann eine 49-jährige Angestellte angegriffen und mit Stichen in den Hals und den Unterleib getötet. Ein Beamter eröffnete das Feuer auf den Angreifer, der noch sein 32 Zentimeter langes Messer auf Polizisten geworfen hatte, bevor er erschossen wurde.

Der 37-jährige Tunesier war vor gut zehn Jahren nach Frankreich gekommen und arbeitete in der Nähe von Rambouillet als Chauffeur. Im Februar hatte er wegen Depressionen um psychiatrische Hilfe ersucht. Nach der brutalen Ermordung des Geschichtslehrers Samuel Paty im Oktober im gleichen Departement (Yvelines) hatte er sich an einer Kampagne gegen Mohammed-Karikaturen beteiligt. Er war weder vorbestraft noch in einer Gefährderkartei aufgeführt. Fünf Bekannte des Täters, auch sein Vater, waren am Sonntag in Polizeigewahrsam. Staatsanwalt Ricard geht allerdings eher von einem Einzeltäter aus.

In der ländlichen Umgebung von Rambouillet, einem gutbürgerlichen Vorort von Paris, herrscht Bestürzung über die Radikalisierung des Mannes. In Paris warf die Rechte Präsident Emmanuel Macron Versagen im Anti-Terror-Kampf vor. Im Februar hatte der Staatschef in Reaktion auf die Enthauptung Patys ein Gesetz "zur Stärkung der republikanischen Prinzipien" verabschieden lassen. Es sollte aber inklusiv und integrativ wirken und vermied Begriffe wie Islamismus. Am Sonntag erklärte nun Innenminister Gérald Darmanin zum Anschlag in Rambouillet: "Es handelt es sich um ein islamistisches Attentat." Die Regierung wolle schon am Mittwoch ein Gesetz zur Terrorbekämpfung vorlegen.

Wahlpolitischer Affekt

Den Vorwurf von links, Macron handle überstürzt und aus einem wahlpolitischen Affekt, kontert sein Vertrauensmann polizeitechnisch: Die Attentäter benützten im Vorfeld nicht mehr das Telefon, sondern nur noch das Internet; das neue Gesetz solle deshalb den Einsatz von Algorithmen ermöglichen, um – wie im aktuellen Fall – den Besuch islamistischer Propagandaseiten zu melden.

Hausdurchsuchungen sollen ferner ohne richterliche Billigung erlaubt sein, wenn die Polizei eine "schwere Bedrohung" feststellt. Zu erwartende Bedenken von Datenschützern und Anwälten nennt Darmanin "naiv". In Frankreich seien seit 2017 – also seit Macrons Wahl – 36 Attentate vereitelt worden; ein Dutzend erfolgter Anschläge habe aber auch 25 Menschen getötet, rechnete der Minister vor.

Die Rechtspopulistin Marine Le Pen sucht die Debatte ebenfalls auf eine politische Ebene zu heben: Falls sie in einem Jahr die Präsidentschaftswahlen gewinnt, will sie als erste Amtshandlung die Einwanderung stoppen, was ihrer Meinung nach die Terrorgefahr reduzieren würde. Indem Macron wieder klar den "Islamismus" als Feind benennt, macht er klar, dass er das Rennen um die Regionalwahlen im Juni und die Präsidentschaftswahl 2022 nicht kampflos Le Pen überlassen will. (Stefan Brändle aus Paris, 25.4.2021)