Wer ist wer? Auflösung: Eva (li.), Nana (re.).

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"Würdest du dir mit mir eine Urne teilen?" Meine Zwillingsschwester Eva zieht die Augenbrauen hoch. Die Idee habe ich von Alice und Ellen Kessler, den Film-, Funk- und Sinowatz-Zwillingen. Ich fände das stimmig. Eva und ich haben uns ein Leben lang den Geburtstag, das Gesicht und die DNA geteilt, warum also nicht auch den allerletzten Pott? Ein Häufchen Asche und die ewige Frage, die uns von Geburt an verfolgt hat: Wer ist wer? Das ewige Zwillingsrätsel, neu interpretiert.

Belustigung, Neugier, Verstörung

"Sicher nicht", sagt Eva. "Du bist einen Zentimeter größer und ein Kilo schwerer. Deine Asche würde mir nur Platz wegnehmen." Das alte Problem der Eineiigen, ziemlich genau auf den Punkt gebracht: Wer sich aufs Haar gleicht, steht im ständigen Vergleich.

Das soll nicht wehleidig klingen, es kann auch recht praktisch sein. Stirnfransen? Hat die eine schon ausprobiert, sah bescheuert aus, kann sich die andere sparen. Kleidchen mit ausladenden Trompetenärmeln? Passt dem 3D-Spiegelbild entzückend, braucht man also auch.

Aber wir Zwillinge waren immer auch Objekte der Belustigung, der Neugier und der Verstörung. In der Antike glaubte man, ein Gott müsse der Vater eines der beiden sein; gut, das hat sich erledigt. Drängender geworden ist hingegen die Frage der Einzigartigkeit.

Banal formuliert in der Doppeltes-Lottchen-Frage "Können euch eure Eltern auseinanderhalten?" respektive "Habt ihr schon mal Rollen getauscht?", "Könnt ihr die Gedanken des anderen lesen?" und so weiter. Dahinter steht die Idee einer Freak-Show, die Ununterscheidbarkeit dient als Attraktion wie die scheinbare Knochenlosigkeit eines Kontorsionisten.

Putzig bis zum Haarschnitt

Eva und ich wurden im Volksschulalter als putzige Zwillinge für Modekataloge gebucht. Das hat anfangs Spaß gemacht, bis ich mir eines Tages die Haare abgesäbelt habe. Ich glaube, ich wollte einfach anders aussehen, am liebsten wie die französische Schauspielerin Jean Seberg. Anders auszusehen klappte, das mit Jean Seberg nicht. Die Sache mit den entzückenden Zwillingsfotos war damit jedenfalls für längere Zeit gegessen.

Später begannen wir mit Leistungssport, und zwar – ungelogen – in der Disziplin Synchronschwimmen. Mehr Synchronisation als eineiige Zwillinge, die im gleichen Badeanzug eine identische Choreografie aufführen, geht nicht. Folgerichtig waren wir ziemlich gut. Doch diesmal stieg Eva aus und ließ mich als halbes Zwillingspaar im Becken zurück.

Ich kann nicht sagen, dass wir unter unserem Zwillingsdasein litten, wir sprachen komischerweise nie darüber. Vielleicht waren damals in den 90er-Jahren, als wir Teenager waren, der Drang und der Zwang, einzigartig zu sein, noch nicht so stark wie heute. Genau so auszusehen wie jemand anderer kommt angesichts der Lifestyle-Vorgabe bedingungsloser Individualität der Selbstauslöschung gleich.

Großartig und nervig

Wenn mich jemand, den ich noch nie gesehen habe, im Café begeistert begrüßt und umarmen will, sage ich sehr routiniert: "Ich bin die andere." Die Leute sind dann immer peinlich berührt, wahrscheinlich genau deshalb: Weil die Verwechslung bedeutet, dass man mir (und natürlich meiner Schwester) die Einzigartigkeit abspricht. Ich spreche dann üblicherweise tröstende Worte. "Ist nicht schlimm" oder, ein wenig psycho-philosophisch: "Ich weiß oft selber nicht, welche ich bin."

Haben wir uns je gewünscht, kein Zwilling zu sein? Nein. Es war großartig, immer die beste Freundin an der Seite zu haben, der ich nichts erklären musste, weil sie mich auswendig kannte.

Und es war nervig, immer die beste Freundin an der Seite gehabt zu haben, weil ich mich dann plötzlich, als sie später nicht da war, darum kümmern musste, jemanden zu finden, der mich verstand. Das begann im Gymnasium, als unsere Eltern uns in verschiedene Klassen schickten, damit wir selbstständig wurden. Wir kriegten das wie zu erwarten ziemlich gleich gut hin.

Wegen der Sache mit der Urne werde ich Eva noch einmal fragen. Ich gebe zu, es ist eine weitreichende, grenzenlose Entscheidung. Aber als Eineiige sollten wir uns am Ende einigen können. Ich will übrigens oben liegen. (Nana Siebert, RONDO exklusiv, 22.8.2021)