Weil das Esszimmer eh schon das dunkelste ist, haben es seine Bewohner auch gleich schwarz angemalt. Im Hintergrund das Wohnzimmer mit einer von Ingo Maurer beflügelten Leuchte.
Foto: Mafalda Rakoš

Es ist ein unscheinbares Platzerl, das nach Rilke benannt ist. Eine Putzerei, ein Brunnen, eine Gastwirtschaft, ein bisschen Grünzeug.

Der Designer Peter Weisz (re.) lebt mit seinem Gefährten Dizzi Alfons auf 160 Quadratmetern.
Foto: Mafalda Rakoš

Gut möglich, dass es dem Dichter gefallen hätte hier, unweit des Resselparks, der seinen Namen wiederum dem Erfinder der Schiffsschraube verdankt. Der Brunnen, der von einem Engel und ein paar kleinen Drachen besetzt ist, wartet darauf, dass er endlich wieder losplätschern darf. Ein paar Meter weiter saust eine Bim Richtung Staatsoper und legt sich leicht quietschend in sanfte Kurven. Wien zeigt sich an diesem Frühlingsmorgen verschlafen.

Schüchtern kitzelt einem die Morgensonne die Nasenspitze. Aber ihr Schein trügt. Als Peter Weisz die metallene, wundervoll patinierte Wohnungstüre im zweiten Stock eines Hauses am Platz öffnet, taucht der Besucher in einen Schwall Licht, der von der Fensterfront am anderen Ende des Flurs einfällt, als würde hier eine Bibelszene für einen Sandalenfilm gedreht.

Dackel Matakia büselt vor der Wohnungstüre.
Foto: Mafalda Rakoš

Engelschöre sind keine zu hören, dafür das Gekläff von Rauhaardackel Matakia, der über breite alte Holzdielen fetter Beute in Form eines blauen Balls hinterfetzt. Herrchen Dizzi Alfons stellt während des Hundegalopps die Bialetti auf die Flammen des Gasherds. Kurz darauf tut das Maschinchen schüchtern gurgelnd seinen Dienst.

Gemeinsam wohnen Alfons und Weisz hier auf 160 unbefristet vermieteten Quadratmetern, die es ob ihres Inventars in sich haben und die Pupillen des Betrachters während seines gesamten Besuchs wie Pingpongbälle hin und her wandern lassen. Auch rauf und runter.

Doch von vorn: "Als ich vor über 20 Jahren eine Wohnung und ein Atelier suchte, war dies die 44. Adresse, an der ich aufgekreuzt bin", erzählt Weisz auf dem Wohnzimmersofa. Hinter dem Möbel streckt sich Kater Grigetto und zeigt ein Mordsgähnen. Dem Dackel ist das einerlei. Hauptsache, der blaue Ball wurde erlegt.

Hier ist die Bettstatt von Peter Weisz mit einer Leuchte von Megumi Ito zu sehen.
Foto: Mafalda Rakoš

Die Räume, in denen früher ein Kosmetiksalon untergebracht war, hatten es Weisz auf Anhieb angetan, auch wenn er alles von Grund auf erneuern musste, samt den Leitungen für Strom, Gas und Wasser. "Das war ein immenser Aufwand", erzählt Weisz, der einst das Schneiderhandwerk erlernte und sich später als Designer, Stylist und Fashion-Director für verschiedene Magazine einen Namen machte.

Auch seine metallenen Objekte, die er gemeinsam mit der Gestalterin Nadja Zerunian entwarf, brachten es in so manches Medium und zahlreiche Ausstellungen. Derzeit ist der Kreative, der am liebsten mit Holz, Stein, Licht und Metall arbeitet und im achten Bezirk ein Atelier unterhält, vor allem mit dem Styling von Hotels beschäftigt, zum Beispiel dem Sheraton, dem Marriott oder dem Sacher in Salzburg.

Pferdeschweif und Rauchkringerln

Die Branche, in der der gelernte Kürschner Dizzi Alfons tätig ist, lässt sich nicht leicht benamsen. Nennen wir ihn einfach Privatier, unter anderem mit einer Vergangenheit als gehobener Olivenöllandwirt samt eigener Villa im toskanischen Lucca, die mittlerweile den Besitzer gewechselt hat.

Hier ist jene Bettstatt von Dizzi Alfons bzw. Pauline Borghese, welcher dieses Bett einst gehörte. Sie war die kleine und angeblich liebste Schwester von Napoleon Bonaparte. Alfons hat das wuchtige Teil im toskanischen Lucca erworben, wo er einst lebte.
Foto: Mafalda Rakoš

Dafür darf er noch über ein Standbein in Triest verfügen, "denn ganz ohne Italien geht es einfach nicht", wie Alfons sagt, während er einen Zigarillo pafft, der kleine Ringe in die Luft abheben lässt, ehe sie in einer Höhe von 4,10 Metern an der Decke verschwinden. Fenster zählt die Wohnung übrigens 17 Stück. Woher Weisz das weiß? "Weil man sie oft putzen muss. Gerade weil es so hell ist!"

Eine Schiffsschraube, wie Ressel sie entwarf, lässt sich in der Wohnung nicht entdecken. Eigentlich schade. Dafür aber jede Menge andere Dinge, die in Durchschnittshaushalten eher Mangelware sein dürften. Im Ernst, wer hat zu Hause Pferdeschweife an der Wand hängen? Wer bewahrt alte Modelle von menschlichen Herzen im Regal auf? Benützt jemand einen Fleischerhackstock als Beistelltisch?

Schmetterlinge hinter Glas
Foto: Mafalda Rakoš

Wunderkammer

Dabei sind das nur ein paar Dinge, die diese Wohnung zu einer Wunderkammer machen oder, salopp gesagt, zu einer belebten Miniaturausgabe eines kunst- und naturhistorischen Museums. Zu dick aufgetragen? Mitnichten.

Wo sonst stehen steinerne Abgüsse von römischen Soldatenfüßen samt Sandalen herum? Korallenstücke, Globen, riesige Muscheln und Schmetterlinge hinter Glas mögen ja des Öfteren in diversen Wohnungen auftauchen, aber endgültig touché heißt es beim Anblick des Empire-Reisebetts von Pauline Borghese, der kleinen und angeblich liebsten Schwester von Napoleon Bonaparte.

Diese soll einen Skandal ausgelöst haben, als sie dem berühmten Bildhauer Canova für dessen Skulptur Venus als Siegerin Modell saß. Das Bett ist eines der letzten "Beutestücke", das Dizzi Alfons während seiner Zeit in Lucca erworben hat. Natürlich glaubt man Alfons die Geschichte über die Schlafstätte in seinem Bon-Appartement. Der Wortwitz sei erlaubt.

Peter Weisz (links) und Dizzi Alfons beim Spaßhaben.
Foto: Mafalda Rakoš

Von einem Pfeiler der protzig-prächtigen Bettstatt wandert der Blick mitten durch das Wohnzimmer in das Schlafgemach von Peter Weisz. Weiße Wände? Sicher nicht! Nennen wir die Farbgebung Yves-Klein-Blau mit einem Schuss Königsblau. Einsprüche seien erlaubt.

Sonnenzimmer

Nein, das Auge kommt an diesem Ort nicht zur Ruhe, da wären noch die Leuchten der japanischen Designerin Megumi Ito, einer Freundin des Duos, eine geflügelte Lichtskulptur des Leuchtendesign-Großmeisters Ingo Maurer und unzählige Vasen vieler Couleurs, in denen das Licht zu baden scheint. "Ich liebe Vasen", sagt Weisz. Aber was liebt er nicht?

Dabei entsteht bei all dem Beschriebenen keineswegs der Eindruck einer freakigen Kuriositätenkammer. Hier wird gewohnt, gesammelt und gelebt, und das in einer wunderbar gewachsenen Form mit Patina an vielen Ecken und Enden, zum Beispiel an den bewusst nicht fertig renovierten Türstöcken.

Ein ehemaliger Fleischerhackstock wurde zum Tischchen umfunktioniert.
Foto: Mafalda Rakoš

Würde man das Dach des Hauses anheben und aus der Vogelperspektive auf das Daheim der beiden blicken, sähe man als Grundriss eine Art T-Form. Der Vorraum mit Blick auf einen Lichthof führt in das Esszimmer, das dem "biblischen" Sonnenzimmer vorgelagert und komplett schwarz gestrichen ist.

An dessen Plafond baumeln Planeten gleich ein paar Kupferleuchten des Designers Tom Dixon. "Es ist unser dunkelstes Zimmer, da gibt’s nicht zu schummeln, also haben wir es als Draufgabe auch noch schwarz gestrichen." Davor lässt sich noch in eine kleine Küche und das in Olivegrün gehaltene Bad abbiegen. Am Speisezimmer klebt – wie Schachteln links und rechts – jeweils ein begehbarer Schrank für die beiden Hausherren.

Schnurstracks weiter geht es ins Wohnzimmer, das erwähnte Sonnenstudio dieses bewohnten Setzkastens. Und wiederum links und rechts von diesem liegen die Schlafzimmer der beiden, die sich mittels hölzerner Fensterläden im Inneren bis auf einen Lichtschlitz verdunkeln lassen. Wer dabei an eine Villa in der Toscana denkt, ist auf der richtigen Spur.

Auf diesem Bild zeigen sich das Wohnzimmer und Weisz’ Schlafgemach, in denen die Sonne so manches Lichtspiel aufführt.
Foto: Mafalda Rakoš

Die Wohnung als Bühne

Alfons und Weisz sehen ihre Wohnung als eine Art Bühne, eine Bühne für viele Gäste, die hier in prä-pandemischen Zeiten zu Gast waren und welche die beiden vermissen. Der Ort dient aber auch als Bühne für sie selbst. Weisz spricht von einer Magie von unpassenden Dingen, die durch eine Seele richtig verbunden werden. Es gehe um einen Bezug zur Geschichte im Großen, aber auch im Kleinen.

Auch deshalb stellt vor allem Weisz immer wieder um. "Es kommt vor", erzählt Dizzi Alfons und zeigt auf Schleifspuren an der Oberfläche des Holzbodens, "dass ich mitten in der Nacht heimkomme und der Peter Möbel verrückt. Ganze Riesentische zieht er auf Wolldecken quer durch die Wohnung. Einmal fragte ich ihn sogar: ‚Wo ist bitte mein Zimmer hingekommen?‘" Weisz lächelt bei der Geschichte und hebt die Schultern. "Was soll’s? So war schon meine Großmutter", sagt er und streichelt über die grünen Schieferplatten in der Küche.

Nach einem Lieblingsort in der Wohnung gefragt, erwähnt Alfons, ohne zu zögern, sein majestätisches Bett. "Hier halte ich meine stundenlangen Mittagsschläfchen und kann bei geöffneten Türen bis ins Zimmer von Peter schauen."

Der wiederum sagt, die Wahl seines Lieblingsplatzes ändere sich mit jeder Stunde, je nachdem, welche Raumachse von der Sonne ausgeleuchtet wird. Wohnträume habe er keine mehr, sagt Alfons, der schon so viele wahr gemacht hat, lebte er doch bereits in London, New York, Paris, Rom und seinem geliebten Lucca. Außerdem wäre da ja auch noch seine Bleibe in Triest.

Fast schon reduziert wirkt das kleine Bad, in dem für alles ein rechter Flecken gefunden wurde.
Foto: Mafalda Rakoš

Wohnträume

Weisz hingegen würde sich schon gern einen erfüllen, nämlich eine Wohnung in Paris. "Ich spiele gern Pariser, deshalb miete ich mir bei jedem Aufenthalt eine Wohnung und verzichte auf ein Hotel. Immer wieder verbringe ich in Paris Traumtage, gehe einkaufen und koche selbst. Es gibt so viele Arten von Hendln in Paris, die muss ich alle noch durchkochen. Ganz zu schweigen von den hunderten Käsesorten", schwärmt Weisz.

Als er das Haus am Rilkeplatz zum ersten Mal sah, erzählt Weisz, als er den Besucher wieder zur Wohnungstür geleitet, habe es so aufregend gewirkt wie ein "Schluck Wasser". Was das Äußere des Gebäudes betrifft, mag dieser Vergleich noch immer gelten. Im Inneren schufen die beiden Bewohner jedoch einen Ort, der eher an eine Tropical Colada samt Orangenscheibe und buntem Schirmchen denken lässt als an einen öden Schluck Wasser.

Genug scheinen die beiden von ihrem Drink jedenfalls nicht zu bekommen. "Hier werden sie mich eines Tages mit den Füßen voran hinaustragen müssen", meint Weisz und sagt: "Auf Wiedersehen." Gerne. (Michael Hausenblas, RONDO exklusiv, 1.5.2021)