Gerald Bast, Rektor der Universität für angewandte Kunst Wien, mahnt einen "wirtschafts- und bildungspolitischen Paradigmenwechsel" ein.

Der unwissende Mensch, der sich in destruktiven, für ihn selbst und für sein Umfeld verheerenden Taten ergeht, verstrickt sich in einem fatalen Gewirr aus Selbstgerechtigkeit, kurzsichtigem Denken und Realitätsverweigerung", rief Regisseur Peter Sellars im Sommer 2019 bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele der versammelten Prominenz aus Wirtschaft und Politik entgegen.

Der Klimawandel wird auch für einen Anstieg bei Flucht wie Migration sorgen.
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Ein halbes Jahr nach dieser Rede überrollte die Covid-Pandemie die Welt. Dem fatalen Gewirr aus Selbstgerechtigkeit, kurzsichtigem Denken und Realitätsverweigerung konnte die Pandemie nichts anhaben. Im Gegenteil. Jene, die noch vor kurzem den Austritt Österreichs aus der Europäischen Menschenrechtskonvention forderten, inszenieren sich jetzt als Hüter von Menschenrechten und Demokratie. Und die Regierung versucht im Gleichklang mit der Wirtschaft verzweifelt, die lineare Gestaltungslogik des Industriezeitalters aufrechtzuerhalten und den Menschen die Illusion von Stabilität oder zumindest die Hoffnung darauf zu geben. Aber die Wirklichkeit ist anders.

Etwa eine Million Menschen sind derzeit in Österreich offiziell arbeitslos oder in Kurzarbeit. Im Februar 2021 war in der FAZ nachzulesen, dass sich bis zum Jahr 2030 in Deutschland 6,5 Millionen Menschen "erhebliche neue Fähigkeiten und Qualifikationen aneignen" und weitere vier Millionen nach einer neuen Arbeitsstelle umsehen müssten. Die Covid-Krise wird den Trend zu Automatisierung und Digitalisierung und damit den Druck auf die Arbeitsmärkte noch verstärken.

"Bildung muss zum wesentlichen Teil des neuen Arbeitbegriffs werden."

Während die Regierung die Rückkehr zur Normalität ankündigt, bleiben hinter dem pandemischen Aufmerksamkeitsvorhang die anderen, nicht weniger wirkungsmächtigen Faktoren einer radikalen Transformation von Gesellschaft und Wirtschaft weiter aktiv. Der Klimawandel wird ausgerechnet den jetzt von der Pandemie so gebeutelten Tourismus hart treffen. Und er wird die globale Migration verstärken, einfach weil der Klimawandel und dessen Folgen für Millionen von Menschen in den am dichtesten besiedelten Regionen der Erde die Lebensgrundlage entzieht. Die technologische Revolution, insbesondere Robotik, künstliche Intelligenz und Gentechnik, wird unsere Art zu leben und zu arbeiten dramatisch verändern.

Das oft beschworene "Licht am Ende des Tunnels" führt uns nicht in eine Welt, die so sein wird, wie sie einmal war. Das "Licht am Ende des Tunnels" ist das Signal, uns auf radikale Veränderung einzustellen. In der Geschichte der Zivilisation gibt es keine Rückkehr zur Normalität. Veränderung, Mehrdeutigkeit, Widersprüchlichkeit, Ungewissheit: Das sind die Determinanten der Zivilisation. Wenn wir nicht lernen, mit diesen Determinanten umzugehen, werden wir Opfer der Evolution.

Statt Realitätsverweigerung muss jetzt ein wirtschafts- und bildungspolitischer Paradigmenwechsel stattfinden, der mit der Radikalität der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Transformationsprozesse Schritt hält. Mit dem wirtschaftspolitischen Werkzeugkasten des vorigen Jahrhunderts – wie Investitionsprämien und Steuersenkungen – werden die breiten Folgen der Covid-Krise nicht erfolgreich bekämpft und den Herausforderungen der tiefgreifenden Transformationsprozesse erfolgreich gegengesteuert. Was soll man vom künftigen Chef des Instituts für Wirtschaftsforschung halten, der öffentlich erklärt, was er unter "höchster Priorität für Investitionen in Bildung" versteht – nämlich "eine massive, sicht- und spürbare Modernisierung: von Warmwasser in den Schultoiletten über Klima- und Lüftungsanlagen bis hin zu Arbeitszimmern für Lehrer"?

Arbeit neu definieren

Es bedarf einer an die inhaltlichen Wurzeln gehenden Bildungsoffensive, um die Menschen auf das Leben und Arbeiten in einer radikal veränderten Gesellschaft vorzubereiten. Die Fähigkeit zum Umgang mit Veränderung, Ungewissheit, Widersprüchlichkeit, Mehrdeutigkeit, Komplexität und nonlinearen Zusammenhängen muss zum zentralen Bildungsziel werden. Lebenslang und in allen Bildungseinrichtungen. Für sich verändernde ebenso wie für ganz neue Berufstätigkeiten, und mehr noch für die Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Zusammenleben.

Es bedarf einer massiven Ausweitung und Veränderung von Kunst und Kultur, um sie wirklich in die Mitte der Gesellschaft zu bringen. Nicht anstatt, aber in Ergänzung zu bestehenden Kunstformen.

Der Begriff "Arbeit" muss neu definiert werden. Wirtschaft, Politik und nicht zuletzt die Universitäten sind aufgerufen, völlig neue Berufsbilder zu entwickeln; auch jenseits traditioneller Erwerbsarbeit. Bildung muss zum wesentlichen Teil des neuen Arbeitsbegriffs werden ebenso wie Kunst und ein mit Bildung und aktiver gesellschaftlicher Solidarität verbundenes Grundeinkommen.

Die radikalen Transformationsprozesse bergen enorme wirtschaftliche und gesellschaftliche Sprengkraft. Noch haben wir die Chance, die Spaltung der Gesellschaft einzubremsen. (Gerald Bast, 28.4.2021)