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Patchwork braucht Zeit, Geduld und Liebe, sagt Susanne Pacher.

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Wenn zwei Familien zu einer neuen werden, ist das gerade anfangs ein Drahtseilakt. "Man kann das schon fast mit einem Integrationsprojekt vergleichen", sagt Susi Pacher. "Beide Familien haben ihre eigenen Traditionen, eigene Rituale, ihre eigenen Macken." Pacher ist Patchwork-Coach in Wien und Niederösterreich und lebt selbst im Patchwork. Die Schwierigkeit dieses Modells sei, "dass die Familienmitglieder keine gemeinsame Geschichte haben, auf die sie zurückgreifen können". Gemeint sind etwa schöne Erlebnisse aus dem Urlaub oder Anekdoten aus der Zeit, als die Kinder noch kleiner waren. Diese Erlebnisse sind der Klebstoff für eine Familie. "In schweren Momenten erinnert man sich daran." Genau das fehle Patchworkfamilien zu Beginn, sagt Pacher.

Aber noch etwas macht das Patchworkleben kompliziert: "Die leiblichen Eltern haben häufig das Bedürfnis, das eigene Kind zu schützen. Denn man weiß ja nicht, wie es der Partner meint." Ist das noch liebevolles Maßregeln? Oder ist da Eifersucht im Spiel? "Bekommt ein Paar zusammen ein Kind, ist es das leibliche Kind von beiden. Beide lieben es gleich und sorgen sich gleichermaßen."

Spielgefährtin statt Ersatzmama

Der Bonuspapa oder die Bonusmama hadern zunächst oft mit ihrer Rolle, weiß Pacher aus ihren Beratungen. Viele verstünden typische Phasen, die ein Kind durchmacht, als Ablehnung. "Zum Beispiel wenn ein Kind schlecht gelaunt ist, nicht Guten Morgen sagt oder sich zurückzieht." Wichtig sei, das nicht persönlich zu nehmen "und auch einmal darüber zu lachen".

Ein wichtiges Gebot für Bonuseltern sei auch, sich aus der Erziehung weitgehend rauszuhalten. "Sie dürfen nie die Rolle des anderen Elternteils übernehmen. Das, was sie sehr wohl machen können: Sie können einen eigenen Zugang zum Kind finden, als Freund, als Unterstützer, als Spielgefährte. Oder welche Rolle auch immer sie übernehmen möchten. Für Erziehungsfragen sind aber immer die Eltern verantwortlich, sie dürfen nicht von den Bonuseltern geklärt werden."

Das bedeute aber nicht, alles durchgehen zu lassen. Schließlich gibt es Situationen, in denen man alleine mit dem Kind des Partners oder der Partnerin ist und die Verantwortung trägt. "Da gilt es, seine persönlichen Grenzen aufzuzeigen. Klar zu sagen: Das will ich nicht, das geht für mich zu weit." Eine Möglichkeit ist, sich auf die Regeln zu berufen, die die leiblichen Eltern festgelegt haben. "Ist es eine völlig neue Situation, kann man dem Kind sagen, dass man das erst mit Papa oder Mama besprechen muss und die Entscheidung nicht einfach so treffen kann."

Das Paar als Fundament

In einer Patchworkliebe sei es essenziell, dass das Paar seine Beziehung gut pflegt, "denn sie sind das Fundament. Wenn es dem Paar gutgeht, ist alles viel einfacher", sagt Pacher. Ihr Rat: Die Erwachsenen sollten sich einig werden, gemeinsam Regeln für das Zusammenleben aufstellen und sich nicht vor den Kindern darüber streiten. "Das symbolisiert dem Kind, dass es die Eltern nicht gegeneinander ausspielen kann."

Aber was ist zu tun, wenn jedes Kind in der Patchworkfamilie andere Regeln hat? Kein Grund zur Sorge, sagt Pacher. "Kinder sind extrem flexibel. Sie passen sich den Gegebenheiten an, und es ist für sie okay, wenn beim Papa andere Regeln gelten als bei der Mama und beim neuen Partner der Mama. Sie nehmen es hin, wenn sie dort helfen müssen, den Geschirrspüler auszuräumen oder nicht so lange Computerspielen dürfen." Entscheidend sei, dass es fixe Regeln sind, die das Kind kennt und die nicht einfach so umgestoßen werden. "Dann muss es nicht permanent ausprobieren und Grenzen austesten. Hinterfragt werden Regeln nur, wenn sie lose gehandhabt werden."

Niemanden ausschließen

Alle einbeziehen, niemanden ausschließen, das sind weitere wichtige Gebote für Patchworkeltern. "Wenn in dem System jeder einen Platz hat, fühlt sich keiner ausgeschlossen", sagt Pacher und meint damit auch Ex-Partner und Verwandte. Ein absolutes No-Go ist ihr zufolge, über den Ex-Partner schlecht zu reden oder ihn zu ignorieren. "Er muss seinen Platz im Leben des Kindes haben – auch wenn man nicht mehr mit ihm zusammenlebt", betont Pacher.

Eine weitere Erkenntnis aus ihren Beratungen: Die Familien, die nicht auf "heile Welt" tun, sondern sich eingestehen, dass Patchwork gewisse Herausforderungen mit sich bringt, funktionieren besser. "Dass alle sich permanent lieb haben und alles reibungslos läuft, ist wirklich selten." Auch eine gewisse Gelassenheit helfe dabei, den Patchworkalltag zu bewältigen. Ebenso Zuversicht – und Zeit. Denn bis die neue Familie einen gemeinsamen Nenner gefunden hat, dauert es oft. Nach ein bis sieben Jahren ist die neue Konstellation meist zusammengewachsen, zitiert Pacher aus Forschungen. Erst dann hat jeder seine Rolle gefunden, man kann gemeinsam über Erlebtes lachen.

Exklusivzeit für jedes Kind

Pacher empfiehlt außerdem, wöchentlich oder zumindest regelmäßig eine Art Familienbesprechung abzuhalten. "Da kann jeder sagen, wie es ihm geht, was er sich wünscht, was in letzter Zeit schön war und was nicht so schön war."

Jedes Kind in der Familie brauche Zeit, die ausschließlich ihm gewidmet ist. "Und zwar sowohl die Kinder, die nur am Wochenende da sind, als auch die, die immer da sind."

Von der Vorstellung, "permanent aufeinander picken zu müssen", müssten sich Eltern verabschieden. "Zu denken, dass alle am Abend gemeinsam auf dem Sofa sitzen müssen, um zusammen einen Film anzuschauen, bringt nichts. Zwang macht nur schlechte Stimmung." Jeder in der Familie brauche seinen Freiraum. "Und wenn man dann zusammen ist, weil man es wirklich möchte, entsteht dieses Zusammengehörigkeitsgefühl." Und mit der Zeit auch neue Traditionen, neue Rituale und neue – gemeinsame – Erinnerungen. (Lisa Breit, 6.5.2021)