Kerzen erinnerten nach dem Anschlag an die Todesopfer und Verletzten.

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"Was wir verloren haben, kann uns niemand ersetzten", erzählt Irmgard Pretzner, die Schwester einer Frau, die am 2. November beim Terroranschlag in Wien ermordet wurde. "Finanziell ist uns kein Schaden entstanden, und meine Schwester hatte auch keine Kinder, die versorgt werden müssten", führt sie weiter aus, sie werde daher keine Klagen gegen die Republik anstreben. Denn so ein Verfahren könne sich über Jahre hinziehen. "Du hast dann ständig den Tod vor Augen, kannst nicht abschließen", sagt die Schwester jener Frau, deren Ermordung in der Seitenstettengasse so viele Menschen durch im Internet kursierende Videos gesehen haben, "wir wollen sie lebend in Erinnerung behalten."

Die Schwester selbst hat diese Videos lange bewusst gemieden. "Erst im Jänner habe ich sie mir angesehen", erzählt sie im STANDARD-Gespräch fast ein halbes Jahr nach der Terrornacht: "Es war aber fast heilsam." Der Grund dafür hat viel mit dem Verhalten der Behörden nach dem Terroranschlag zu tun: "Ich habe keinen schriftlichen Beweis dafür, dass Gudrun ein Terroropfer ist. Ich habe sie in diesen Videos sofort erkannt. Auch wenn man ihr Gesicht nicht sehen konnte, ich habe ihre ganz typische Körperhaltung erkannt. Dann wusste ich, sie ist wirklich tot."

Tagelang Leiche gesucht

Pretzner kritisiert den Umgang der Republik, auch wenn sie keine Schadenersatzklage einbringen wird, scharf: "Nichts kam vor staatlicher Seite, absolut nichts. Kein Hilfsangebot, nicht einmal ein Beileidsschreiben", betont sie, "ich habe sogar ein paar Tage ihre Leiche suchen müssen, weil die Polizei sagte, sie sei auf der Gerichtsmedizin, aber die hatten sie nicht. Ich vermute, sie war derweil im Wilhelminenspital, wo sie gestorben ist, in einem Kühlraum."

Dass es einen Fonds gibt, bei dem Hinterbliebene von Verbrechensopfern um Unterstützung für die Begräbniskosten ansuchen können, erfuhr Pretzner, die die Bestattung ihrer Schwester organisierte, von der Opferunterstützungseinrichtung Weißer Ring. Als sie bei der zuständigen Behörde anrief, um ein Formular für das Ansuchen zu bekommen, wurde sie mit "Suchen Sie sich das Formular im Internet heraus" abgefertigt.

Großspurig Kränze niedergelegt

"Die Politiker haben großspurig Kränze niedergelegt, immer wieder gesagt, dass sie mit ihren Gedanken bei den Hinterbliebenen sind", erinnert sich Pretzner, "wir haben davon nichts gemerkt."

Zurück zu den Videos, die sich Pretzner viele Wochen nach Tausenden anderen ansah. "Da gibt es noch ein Video, bei dem sieht man, wie, sofort nachdem sie zusammenbrach, fünf Polizisten zu ihr rennen, sie umbetten, sie weich hinlegen. Ich wusste dadurch, dass Gudrun nicht allein war, als sie starb, dass sich jemand um sie gekümmert hat. Das war ein Trost."

Irmgard Pretzner hätte "wahnsinnig gerne mit diesen Beamten Kontakt aufgenommen, denn sie waren ja die letzten Menschen, die Gudrun noch lebend gesehen haben". Doch nach ihren Erfahrungen mit den Behörden war ihre Hoffnung, dass ein solches Treffen arrangiert werden könnte, enden wollend.

Nach der Online-Veröffentlichung dieses Artikels meldete sich die Polizei beim STANDARD. Man werde versuchen, ein Treffen mit den Beamten zu organisieren. (Colette M. Schmidt, 28.4.2021)