Drei Wochen sind es noch bis zum 19. Mai, dem Tag der großen Öffnung nach monatelangen Lockdown-Beschränkungen. Die Risiken habe man unter Kontrolle, verteidigte Bundeskanzler Sebastian Kurz Montagabend in einer ZiB Spezial diesen Plan – denn bis dahin werde man in Österreich alle älteren Menschen und alle Risikopersonen mindestens einmal geimpft haben.

Damit seien diese Personen vor schweren Krankheitsverläufen geschützt – und die Spitäler vor einem weiteren Massenandrang von Covid-19-Patienten, die seit Pandemiebeginn zu großen Teilen aus dieser vulnerablen Bevölkerungsgruppe stammten. Natürlich werde es dann mehr Infektionen unter Jüngeren geben, doch: "Das ist der richtige Moment, um wieder eine Rückkehr in Richtung Normalität zu starten", sagte der Kanzler.

Im Mai und Juni sollen in Österreich je drei Millionen Impfdosen zum Verimpfen bereitstehen; 100.000 pro Tag, eine logistische Herausforderung.
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Haben Kurz und die Bundesregierung damit recht? Ist Mitte Mai wirklich der passende Zeitpunkt für tiefergehende Öffnungsschritte – oder werden diese, so man sie wirklich wie angekündigt durchzieht, zu früh stattfinden?

Zweifel an dem Timing lassen brandneue Vorhersagen bezüglich der bis dahin zu erwartenden Wirkung des Impffortschritts auf die Infektionszahlen aufkommen. Laut einer am Dienstag veröffentlichten Prognose der Gruppe um den Simulationsforscher Nikolas Popper ist erst ab der zweiten Maihälfte ein signifikantes impfbedingtes Minus bei den Fallzahlen zu erwarten.

Impfaktion

Das hängt erstens damit zusammen, dass die heimische Impfaktion relativ lang gebraucht hat, um an Fahrt aufzunehmen. Richtig zu laufen beginnt sie ohnehin erst jetzt, wenn nun auch mit viel Tempo. Laut Popper und Kollegenschaft werden im Mai und im Juni in Österreich je drei Millionen Impfdosen zum Verimpfen bereitstehen; 100.000 pro Tag, eine logistische Herausforderung.

Zweitens heißt geimpft werden nicht automatisch immun sein. Neue britische Studien über die Wirkung der dort bereits weit fortgeschritteneren Massenimpfung auf die Fallzahlentwicklung gehen von einer Dreiwochenfrist zwischen Erststich und Schutz vor einer schweren Covid-19-Erkrankung aus – egal ob man Astra Zeneca oder Biontech/Pfizer erhalten hat. Nach 21 Tagen sei man zu 65 Prozent geschützt. Nicht zufällig werden diese 21 Tage auch in Österreich im grünen Pass Niederschlag finden. Erst nach dieser Frist wird man als geimpft gelten.

Bei Kurz und der Bundesregierung wiederum sollten die neuen wissenschaftlichen Prognosen zu einem Nachdenken führen. Immerhin dürfte die Öffnungsoffensive in genau jenen Zeitraum fallen, in dem eine massive Verbreitung des Virus durch die Impfung noch nicht gebremst wird.

Das wäre knapp am Ziel vorbei, aber fatal. Es hätte möglicherweise eine neuerliche Infektionswelle unter Jüngeren zur Folge, die laut Impfplan erst im Juni mit dem Erststich dran sind. Der deutsche Virologe Christian Drosten warnte schon vor Wochen, dass es nach der Immunisierung der Alten und Vulnerablen, aber vor der Impfung der Jüngeren zu einem "Durchrauschen" von Infektionen in den niedrigeren Altersgruppen kommen könnte.

Dieses Risiko ist vermeidbar. Warum warten wir mit dem Aufmachen nicht ab, bis so viele Menschen teil- oder vollimmun sind, dass ein weiteres steiles Fallzahlplus mit einiger Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann? (Irene Brickner, 27.4.2021)