660 der 697 abgegeben Stimmen entfielen auf das Handelsabkommen.

Foto: AFP / KENZO TRIBOUILLARD

Das Europaparlament hat den Brexit-Handelspakt mit Großbritannien endgültig gebilligt. Das Handels- und Kooperationsabkommen erhielt eine überwältigende Mehrheit von 660 der 697 abgegebenen Stimmen, wie Parlamentspräsident David Sassoli am Mittwoch mitteilte. Damit kann der mehr als 1000 Seiten starke Vertrag voraussichtlich zum 1. Mai in Kraft treten.

Die Zustimmung des Europäischen Parlaments beendet über vier Jahre heftiger Verhandlungen und Debatten, nachdem Großbritannien nach 47 Jahren aus der EU ausgetreten war.

Auch Johnson begrüßt Votum

Der britische Premier Boris Johnson begrüßte die Zustimmung des Europaparlaments. "Diese Woche ist der letzte Schritt einer langen Reise, der Stabilität für unsere neue Beziehung mit der EU als wichtige Handelspartner, enge Verbündete und souveräne Gleichgestellte bringt", sagte Johnson in London. Nun sei es Zeit, sich auf die Zukunft zu freuen und "Global Britain" aufzubauen – so nennt Johnson seine Vision eines starken, unabhängigen Königreichs.

Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen begrüßte das Votum. Das Abkommen sei "das Fundament für eine starke und enge Partnerschaft mit dem Vereinigten Königreich", erklärte sie auf Twitter. Sie forderte gleichzeitig Großbritannien auf, die Vereinbarung "gewissenhaft" umzusetzen.

Zustimmung aus Österreich

Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) betonte: "Es ist Zeit, den Blick jetzt nach vorne zu richten." Mit der Abstimmung des Europäischen Parlaments seien die langwierigen Verhandlungen mit Großbritannien beendet und gleichzeitig sei ein Neustart für die zukünftigen Verhältnisse mit den Briten beschlossen worden. Edtstadler dankte insbesondere dem EU-Chefverhandler Michel Barnier, "der einen fairen Deal auf Augenhöhe ausverhandelt hat, der als Basis für die künftigen Beziehungen mit den Briten dienen und bei dem es kein Rosinenpicken geben wird".

Der EP-Abgeordnete Guy Verhofstadt, ein führender Politiker der liberalen Fraktion und ehemaliger Ministerpräsident Belgiens, schrieb auf Twitter: "Das erste Handelsabkommen in der Geschichte, das Barrieren errichtet und Freiheiten beseitigt? Ein Misserfolg für beide Seiten, aber besser als nichts."

Die EU und Großbritannien hatten das Abkommen nach monatelangen Verhandlungen zu Heiligabend 2020 unter Dach und Fach gebracht – nur eine Woche vor dem Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion. Weil die Zeit zur Ratifizierung fehlte, wird es seit dem 1. Jänner bereits vorläufig angewandt. Ziel war, einen harten Bruch mit Rechtsunsicherheit und Chaos an den Grenzen zu verhindern.

Zölle vermeiden, unbegrenzten Handel erlauben

Wichtigster Punkt des Vertrags ist, Zölle zu vermeiden, unbegrenzten Handel in beide Richtungen zu erlauben und Reibungsverluste so weit wie möglich zu begrenzen. Zollformalitäten und Kontrollen gibt es allerdings trotzdem. Unter anderem wird geprüft, ob Produkte wirklich hauptsächlich in Großbritannien hergestellt wurden und ob Lebensmittel geforderten Standards entsprechen.

Der Vertrag umfasst darüber hinaus Regeln zum Fischfang sowie die Zusammenarbeit bei Energie, Transport, Justiz, Polizei und vielen anderen Themen. Großbritannien gewinnt mit dem Pakt Zugang zum EU-Binnenmarkt. Im Gegenzug verlangte die EU faire Wettbewerbsbedingungen – das sogenannte Level Playing Field. Gemeint sind gleiche Umwelt-, Sozial- und Subventionsstandards.

Streit um Zugang für EU-Fischer

Wichtiger Knackpunkt in den Verhandlungen war der Zugang von EU-Fischern zu britischen Gewässern. Vereinbart wurde eine Übergangsphase von fünfeinhalb Jahren vor, in der EU-Fischer in britischen Gewässern 25 Prozent weniger fischen dürfen. Anschließend soll dies jährlich festgelegt werden. Aus französischer Sicht gibt es bei der Umsetzung allerdings Probleme und Verzögerungen.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte den Vertrag in der Parlamentsdebatte am Dienstag gewürdigt und für die Annahme geworben. Das Abkommen schütze die Rechte der Bürger, verhindere erhebliche Brüche für die Wirtschaft, sichere den EU-Binnenmarkt und EU-Standards. Und es habe "Zähne" – einen Schlichtungsmechanismus und die Option einseitiger Sanktionen, falls es nötig werde.

Brexit jährt sich zum 5. Mal

Die EU beklagt Verstöße Großbritanniens gegen das bereits gültige Austrittsabkommen von 2019 und die darin enthaltenen Sonderregeln für Nordirland. Deshalb hatte das EU-Parlament das Votum über den neuen Handelsvertrag um einige Wochen verzögert mit dem Argument: warum den neuen Vertrag bestätigen, wenn der alte nicht eingehalten wird? Letztlich bekannten sich aber am Dienstag alle großen Fraktionen zur Ratifizierung. Sie gelang kurz vor Ende der mit Großbritannien bis 30. April vereinbarten Frist.

Im Juni 2016 hatte eine knappe Mehrheit der britischen Wähler in einem Referendum für den EU-Austritt des Landes gestimmt. Dieser wurde am 31. Jänner 2020 formal vollzogen. Allerdings gab es noch eine Übergangszeit bis 31. Dezember, in der Großbritannien im Binnenmarkt und in der Zollunion blieb. Die tiefen Änderungen im Alltag kamen erst zum 1. Jänner 2021. Unter anderem brach der Handel zu Jahresbeginn drastisch ein. (APA, 28.4.2021)