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Als sonst nichts mehr half, rief der Generalstaatsanwalt: "Herr Premierminister, Sie handeln gegen das Gesetz!" Avichai Mandelblit nannte den ihm gut vertrauten Benjamin Netanjahu nicht bei seinem Spitznamen "Bibi", sondern griff zur Amtsbezeichnung. Es war ein verzweifelter Versuch, den israelischen Regierungschef an seine Verantwortung zu erinnern, und er war vergeblich.

In jener Regierungssitzung Dienstagnachmittag, in der es bald nur noch darum ging, wer am lautesten brüllen konnte, tat Netanjahu etwas, was der Generalstaatsanwalt, der in seinem bald endenden Berufsleben schon einiges gesehen hat, nur "beispiellos" nannte. Trotz aller Warnungen, dass der Regierungschef gegen das Grundgesetz handelt, wenn er einen seiner treuen Parteifreunde zum Justizminister ernennen lässt, tat er genau das. Und trieb damit das Land an den Rand einer schweren Verfassungskrise.

Seit fast einem Monat hat Israel keinen Justizminister, weil Netanjahu die Nachbesetzung blockierte. Dass er selbst mitten in einem Korruptionsprozess steckt, der derzeit vor Gericht verhandelt wird, mag dabei eine Rolle spielen. Das Justizressort steht laut Koalitionspakt seinem Regierungspartner, der Partei Blau-Weiß von Benny Gantz, zu. Und laut Grundgesetz muss Benny Gantz jeder Ministerernennung zustimmen. Ist er gegen einen Kandidaten, darf das Kabinett erst gar nicht über seine Ernennung abstimmen.

Parlamentsarbeit blockiert

Der Justizminister hat in Israel relativ viel Macht: Er gibt grünes Licht für das Tagen bestimmter Ausschüsse, manche Gesetze brauchen seine Unterschrift. Steht das Ministerium ohne Kopf da, ist ein Teil der parlamentarischen Arbeit blockiert – durch die Regierung.

Als wäre das nicht an sich schon ein demokratiepolitisches Problem, sah das israelische Höchstgericht aber noch eine andere, akute Notlage: Nur der Justizminister kann Untersuchungshäftlingen erlauben, an ihren Gerichtsverhandlungen via Video teilzunehmen. Da es keinen Minister gibt, erscheinen jeden Tag ungeimpfte Gefängnisinsassen vor Gericht. Das Fehlen eines Justizministers wurde zur Bedrohung für die öffentliche Gesundheit. Das Höchstgericht setzte der Regierung also eine Frist.

Am Dienstag lief sie ab. Und der Streit eskalierte in der Kabinettssitzung. Vize-Premierminister Benny Gantz bestand darauf, dass er Minister wird, das Kabinett stimmte gegen ihn – mit 17 Stimmen von Netanjahus Likud-Partei. Dieser schlug seinen Parteifreund Ofir Akunis vor. Gantz lehnte ab. Und nun tat Netanjahu das, was den Generalstaatsanwalt derart erzürnte: Er ließ trotzdem abstimmen. Die 17 Likud-Vertreter votierten für Akunis.

Dieses Votum sei ungültig, sagte Mandelblit ein weiteres Mal. Er drückte nicht einfach eine Privatmeinung aus: In Israel ist die Rechtsauslegung des Generalstaatsanwalts für die Regierung bindend. Nur das Höchstgericht kann sich darüber hinwegsetzen. Netanjahu bestritt erst gar nicht, dass das, was gerade passiert war, rechtswidrig war. Er sagte nur zu Mandelblit und Gantz: "Niemand wird eure Erklärung verstehen, warum das Votum über Gantz gültig war und das Votum über Akunis nicht." Anders gesagt: Das Gesetz ist zu kompliziert, als dass das Volk es begreifen könnte. Mandelblit entgegnete: "Das Höchstgericht wird es verstehen."

Wichtige Personalentscheidung

Und so war es. In einer eilig einberufenen Verhandlung erklärten die Höchstrichter die Ernennung Akunis' Dienstagabend für rechtswidrig. Mittwochnachmittag lenkte Netanjahu schließlich ein. Er stimmte einer Ernennung Gantz' zu. Das Kabinett stimmte zu – in Abwesenheit von Ofir Akunis. Die Krise war damit abgewendet. In wenigen Monaten läuft jedoch auch die Amtszeit Mandelblits ab – jenes Juristen, der entschieden hat, Netanjahu wegen Korruption anzuklagen. Es ist eine Entscheidung, die jederzeit widerrufen werden kann. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 28.4.2021)