Ein Pensionist soll Anleger insgesamt um dutzende Millionen Euro betrogen haben. In einem ersten Prozess geht es um einige hunderttausend Euro, der Angeklagte will aber alles richtig gemacht haben.

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Wien – Wie jeder Angeklagte wird auch Josef S. zu Beginn der Verhandlung nach seiner finanziellen Situation gefragt. "Ich halte Beteiligungen an verschiedenen Gesellschaften, habe aber keine Ahnung, was die wert sind", erklärt der 64-Jährige Claudia Moravec-Loidolt, der Vorsitzenden des Schöffengerichts. "Können Sie mir irgendeinen Wert nennen? Auf ihrem Antrag auf Verfahrenshilfe ist ja auch was gestanden", bittet die Vorsitzende. "Das hängt davon ab. Die Nominale der Beteiligungen sind mehrere Millionen Euro, aber den Verkehrswert kenne ich nicht. Deshalb habe ich einen Verfahrenshelfer", bedauert der Angeklagte.

Dem Unbescholtenen wird von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, er habe als Geschäftsführer und Vermögensberater Millionen an Kundengeldern verschwinden lassen. Das Verfahren in Wien behandelt nur eine einzige Investition, die sich als weniger lukrativ herausgestellt haben soll als gedacht. Laut Privatbeteiligtenvertreter Georg Kudrna könnten im Lauf der Jahre bis zu 80 Millionen Euro oder sogar noch mehr versickert sein.

"Verpuffte" Gelder

Auch der Oberstaatsanwalt spricht in seinem Anklagevortrag von "der Spitze des Eisbergs", die aktuell behandelt wird. "Gelder sind einfach verpufft", sagt er über die "Schilling-Gruppe", die S. mitgegründet hatte. Ein Konglomerat an Firmen sei gegründet worden, der Angeklagte sei in vielen davon Geschäftsführer gewesen, der Plan sei eine Loch-auf-Loch-zu-Politik gewesen, vermuten die Ermittler.

Im konkreten Fall geht es um die Investition in ein Biotech-Unternehmen, das ein Grippe-Medikament entwickeln wollte. S. soll 600.000 Euro eingesammelt, aber nicht alles in das Start-up gesteckt haben. Folgt man der Anklage, soll er ohne Wissen der Anleger Summen in andere Projekte seines Imperiums umgeleitet zu haben, 158.800 Euro haben sich angeblich überhaupt in Luft aufgelöst. Später soll er bei der Übernahme des Medizinbetriebes seine Kunden nochmals geprellt haben.

S. bekennt sich nicht schuldig. Der ausgebildete Fahrdienstleiter, der vor Jahrzehnten in die Finanzbranche gewechselt ist, ist fix davon überzeugt, alle Kunden seien über die Vorgänge informiert gewesen. Da er aber seit fast einem Jahr in Untersuchungshaft sitze, habe er keinen Zugriff auf seine Unterlagen. Es geht in seinen Erklärungen um "Wandelschuldverschreibungen", "Milestone-Zahlungen" und eine Verzinsung von 100 Prozent.

Ermächtigungen vielleicht im Akt

Moravec-Loidolt gesteht dem Angeklagten zu, dass er alles recht schlüssig erkläre. Aber: "Wieso gibt es dann die Privatbeteiligten, die sagen, ihr Geld sei weg?" Der Pensionist bleibt dabei: Er schwört, dass es Ermächtigungen der Anleger gegeben habe, ihr Kapital in andere Projekte zu stecken. Die selbstständigen Vertriebsleute hätten auch immer über die Risiken aufgeklärt, beteuert er.

Die Ermächtigungen müssten sich in irgendeinem Akt befinden, schließlich würden mehrere Verfahren gegen ihn laufen. "Na ja, am Freitag hören wir die Zeugen, die werden uns sagen können, was sie wussten", kündigt die Vorsitzende den Fahrplan für den nächsten der mindestens vier geplanten Verhandlungstage an. Ein Urteil soll kommende Woche fallen. (Michael Möseneder, 28.4.2021)