Ob Österreich nun tatsächlich auch mit Sputnik V impfen wird oder nicht, steht noch in den Sternen. Wegen der Biontech/Pfizer-Extralieferungen geriet der von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) angekündigte Deal mit Russland in Sachen Sputnik V etwas aus dem medialen Scheinwerferlicht. Der neue Gesundheitsminister machte zudem klar, dass es für eine Verimpfung des Vektorvakzins aus Russland in jedem Fall eine Zulassung der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) brauchen wird und keine österreichischen Alleingänge geplant seien.

Das ist schlecht für Russland, denn Österreich hätte das erste "westliche" Land sein können, das Sputnik V verwendet. Was ein riesiger Propagandaerfolg für Russlands Regierung gewesen wäre, die mit Sputnik V nicht nur strategische Geopolitik und ein Milliardengeschäft macht, sondern auch ihr Image aufpolieren will.

Mangelnde Datensicherheit

Doch mit dem Impfstoff gab es immer wieder Probleme, so unter anderem in der Slowakei. Und erst am Dienstag hat sich Brasiliens nationale Behörde für Gesundheitsüberwachung (Anvisa) gegen die Einfuhr von Sputnik V ausgesprochen – und das, obwohl Brasilien eines der von der Pandemie am härtesten getroffenen Länder der Welt ist. Es mangle an "konsistenten und zuverlässigen Daten", hieß es in einer Mitteilung. Genauere Aufschlüsse über den bedenklichen Zwischenfall gibt die angesehene US-Virologin Angela Rasmussen (Georgetown University, Washington D.C.) hier auf Twitter:

Rasmussen vermutet, dass bei der Produktion des Impfstoffs das Vektorvirus der zweiten Teilimpfung – das humane Adenovirus 5 – offenbar nicht unschädlich gemacht wurde. Das Virus, das Erkältungen auslöst, sei demnach weiterhin aktiv, könne sich vermehren und im Körper der Geimpften ausbreiten. Das dürfte die Wirkung der Impfung reduzieren und immunschwachen Personen schaden. Rasmussens hartes Urteil: "Das ist ein grundlegender und unentschuldbarer Fehler bei der Qualitätssicherung und Qualitätskontrolle."

Prompt hat man in Russland – unter anderem am offiziellen Twitter-Kanal von Sputnik V – zur Gegenpropaganda (natürlich in brasilianischem Portugiesisch) ausgeholt.

Wer sich ein Bild davon machen will, wie manipulativ die russischen Hersteller mit Sputnik V Propaganda machen, wird auf eben diesem Twitter-Kanal reichlich fündig. Nicht wenige der Einträge zeigen eindrucksvoll, dass man in Russland Übung darin hat, Informationen und Statistiken zu eigenen Zwecken zurechtzubiegen, bis mitunter völlige Desinformation entsteht. Anbei drei besonders dreiste Beispiele aus den letzten Tagen.

1. So weit verbreitet ist Sputnik V (natürlich nicht)

Sputnik V sei also der zweithäufigste Impfstoff der Welt, der in 62 Ländern mit 3,2 Milliarden Menschen zugelassen sei. Hier geht es natürlich nicht um absolute Produktions- und Verimpfzahlen. Die gibt man in Russland aus guten Gründen nicht bekannt. Denn bei diesen würde Sputnik V ziemlich weit abgeschlagen hinter Biontech/Pfizer, Moderna, Astra Zeneca & Co liegen. Die Sputnik-Produzenten rechnen einfach die Einwohnerzahlen jener 62 Länder zusammen, wo Sputnik V zugelassen ist – und prompt landet man auf Platz zwei.

2. Der Statistik aus Ungarn fehlen entscheidende Informationen

"Die ungarische Regierung bestätigte in einem Bericht vom 25. April, dass Sputnik V von den fünf in Ungarn verwendeten Impfstoffen die besten Ergebnisse hinsichtlich Sicherheit und Wirksamkeit zeigte", vermeldet Sputik V auf Twitter stolz und hat einige Zahlen aus dem Bericht extrahiert.

Wichtige Zusatzinformation werden hier allerdings ausgespart, die sich unter anderem am ungarischen Koronamonitor finden, der statistischen Übersichtsseite zu den Impfungen: Erstens kam Sputnik V vergleichsweise später als andere Impfstoffe zum Einsatz, was einen Unterschied bei der Wirksamkeit macht. (Später Geimpfte haben weniger Zeit, eine Infektion zu entwickeln.) Zweitens wurde Sputnik V im Vergleich zu allen anderen Impfstoffen an die im Schnitt jüngste Bevölkerungsgruppe verimpft, was sich natürlich positiv auf Sicherheit und Wirksamkeit auswirkt. Und drittens wurde Sputnik V – warum wohl? – besonders vulnerablen Personengruppen erspart.

3. Die völlig manipulierten Zahlen der "Impftoten"

Hier wird es nachgerade kicklesk: Eine Studie von Sputnik V zeige, "dass es signifikant mehr Todesfälle nach einer Impfung mit dem Impfstoff von Pfizer als mit dem von Astra Zeneca pro eine Million verabreichter Dosen gibt, basierend auf offiziellen, öffentlich verfügbaren Daten von 13 internationalen Gesundheitsbehörden". Die Behauptung dient natürlich nur dazu, unauffällig darauf hinzuweisen, dass die "Daten" für Sputnik V noch besser seien.

Eigentlich erübrigt sich ein weiterer Faktencheck dieser Desinformation. Denn als Fußnote 2 ist klein eingefügt, dass kein klarer Zusammenhang zwischen den Impfungen und den berichteten Todesfälle besteht.

Der US-Biologe Carl Bergstrom, Professor an der University of Washington in Seattle und Ko-Autor des gerade erschienenen Buchs "Calling Bullshit: The Art of Skepticism in a Data-Driven World", hat sich dennoch die Mühe gemacht, diesen Tweet in einem eigenen Thread fein säuberlich in all seine Missinformationspartikel zu zerlegen:

Um nur die wichtigsten Punkte Bergstroms zusammenzufassen: Die Zahlen in der linken Spalte sind nach Bevölkerungszahlen ungewichtet. Man kann die Zahlen aus Norwegen (1,2 Millionen Geimpfte) natürlich nicht gleichrangig mit den USA (120 Millionen Geimpfte) behandeln. Es gibt, siehe Ungarn, keinerlei Zusatzinformationen zum Alter der mit dem jeweiligen Vakzin Geimpften beziehungsweise wann die Impfung erfolgte. (Früher Geimpfte haben mehr Zeit zu sterben.) Bei jenen Ländern, wo Sputnik stark zum Einsatz kommt (vor allem in Staaten des globalen Südens wie Indien), darf man zudem an der Datengrundlage zweifeln.

Bergstroms lakonisches Resümee: "Das ist schreckliche Propaganda von Sputnik." Dem ist wenig hinzuzufügen – außer vielleicht noch, dass sich Vertrauen in einen Impfstoff im sogenannten Westen so eher nicht herstellen lässt und wir über eine genaue Prüfung durch die EMA sowie ausgebliebene österreichische Schnellschüsse froh sein können. (Klaus Taschwer, 28.4.2021)