Foto: Weddingstream.at/Zsolt Marton

Das Sakko passt noch, das Hemd ist neu und frisch gebügelt. Krawatte trage ich keine. Ich hatte es mir schon überlegt und habe sogar eine große samtene Fliege anprobiert, fühlte mich aber unwohl damit. Wie ich das Brautpaar kenne, sind Dresscodes eh nicht so wichtig, dachte ich mir, und so war es dann auch. "Du hast dich ja richtig schön gemacht", freut sich Lena, die Braut. Dass meine untere Leibeshälfte in Jogginghose und Hausschuhe gekleidet war, konnte sie nicht sehen.

Lena ist Wienerin, lebt aber seit einiger Zeit in München, im Dezember hat sie dort geheiratet. Mitten im Lockdown aber mit Freunden und Verwandten, die per Zoom zugeschaltet waren. Der Mund-Nasen-Schutz saß fest, als sie und ihr Mann vor den Standesbeamten traten, nur für den Kuss nahm das Brautpaar den virenabweisenden Stoff kurz aus dem Gesicht. Zwei Trauzeugen waren mit im Raum, einer hielt mit der Handykamera das Geschehen fest, die andere kämpfte mit ihren Tränen. Ein paar Dutzend Leute folgten den wackelnden Bildern der Trauung via Zoom auf ihrem Computer. Im Hintergrund erahnte man den Wagner'schen Hochzeitsmarsch. Am Abend kam die Runde zum virtuellen Diner erneut zusammen.

Lena heiratete im Dezember in München. Im Standesamt waren neben dem Brautpaar nur die beiden Trauzeugen erlaubt. Aber via Zoom waren Verwandte und Freunde aus aller Welt live dabei.
Foto: Lena S.

Längst nicht alle Paare, die im Corona-Jahr 2020 heiraten wollten, haben ihre Trauung ins Netz verlegt. Viele haben die Hochzeit abgesagt oder verschoben. Die Pandemie hinterließ eine tiefe Delle in der Hochzeitsstatistik. Im Jahr 2020 wurden in Österreich laut vorläufigen Daten der Statistik Austria 39.478 Ehen geschlossen, um 6.556 weniger als im Jahr zuvor. "Bei mir haben sich Paare nach Möglichkeiten erkundigt, digitale Hochzeit organisiert habe ich keine", erzählt etwa Hochzeitsplanerin Luise Wagner. Die digitale Hochzeit sei kein Ersatz für das große Fest mit Freunden, Verwandten, Tanz und Rausch, deswegen hätten die meisten ihrer Kunden die Hochzeit verschoben: "Die guten Locations sind für 2021 dafür schon lange ausgebucht."

Livestream vom Fest

Ausnahmen wie Sabrina Feichtinger bestätigen die Regel. Die Hochzeitsplanerin hat mit ihrem Branchenkollegen Lucas Dirnbacher bereits im März 2020 Weddingstream.at lanciert. Zwischen drei Paketen können Brautpaare wählen, das umfangreichste kostet 1.200 Euro und beinhaltet neben einem Livestream auch Musikeinspielungen, eine Chatfunktion für Gäste und ein eigenes Hochzeitslogo, das eingeblendet wird. Vor Ort sind zahlreiche bewegliche Kameras, die alles einfangen. Rund 60 Paare haben seit Ausbruch der Pandemie mit Weddingstream geheiratet, erzählt Feichtinger: "Das Timing war perfekt!"

Wer sich im Corona-Jahr virtuell trauen ließ, tat das jedoch sehr oft ohne professionelle Unterstützung. Lena hat ihre Zoom-Hochzeit selbst organisiert. Ein Smartphone im Standesamt und ein Einladungslink für die Gäste sind die notwendige, aber auch hinreichende Voraussetzung für eine virtuelle Trauung. Am Abend beim Diner wurden die Glückwünsche der Gäste sogar simultan übersetzt – auf einem Kanal aus dem Russischen ins Deutsche, auf dem anderen aus dem Deutschen in Russische, die Muttersprache des Bräutigams. Es floss Wein, und Tränen kullerten. Und die Gäste konnten einander verstehen, obwohl sie oft keine gemeinsame Sprache hatten. Eine schöne Hochzeit war es, findet auch Lena, ein großes Fest ist trotzdem noch geplant, wenn die Pandemie durchstanden ist.

Der Schein trügt: Auch wenn wenige Gäste vor Ort sein durften, konnten Hochzeiten während der Pandemie dennoch mit vielen Gästen gefeiert werden. Nur eben via Livestream.
Foto: Weddingstream.at/Zsolt Marton

Ein bisschen Analogie im Netz

Auch der Bruder meines STANDARD-Kollegen Thorben wurde mitten in der Pandemie vom Verlobten zum Bräutigam, die Hochzeit organisierte das Paar ohne Planer. Für die engsten Angehörigen gab es mit der Einladung einen Zoom-Link und ein großes gelbes Paket. Die Gäste mussten versprechen, es erst zur Feier nach der Trauung zu öffnen. Thorben hielt sich daran.

Das Päckchen entpuppte sich als Versuch, ein bisschen Analogie ins virtuelle Fest zu bringen. Darin war eine Minihochzeit versteckt. Zwei eingepackte Törtchen, ein Piccolo, Luftballons zum Aufblasen, Konfetti, Pappteller und -becher, ein Röhrchen mit Seifenblasen und allerlei Souvenirs, die an den großen Tag erinnern sollten. Er war traurig, dass er nicht mit seinem Bruder feiern konnte, sagt Thorben. Er ist aber auch ein bisschen zuversichtlich, dass die Dinge bald wieder sein werden, wie sie sein sollten. Er stellte sich vor, nicht vor dem Bildschirm zu sitzen, sondern an einer großen Tafel und in ausgelassener Gesellschaft. Das Brautpaar plant ein großes Fest, sobald es wieder möglich ist.

Die verspätete Feier

Hochzeitsplanerin Feichtinger kann den Wunsch nach einer großen analogen Feier nachvollziehen. "Wer während der Pandemie in der Zwischenzeit schon im kleinen Rahmen geheiratet hat, will das oft nachholen", weiß sie und meint vor allem jene Paare, die ihre kirchliche Trauung aufgeschoben haben. Wer sich unter Hochzeitsplanern umhört, lernt aber, dass Paare oft auch keine Lust mehr haben, ihre Hochzeit groß nachzufeiern, wenn diese schon einige Zeit zurückliegt. Vielleicht ist die Familie zwischenzeitlich gewachsen, womöglich der Berufsalltag zu stressig. Und Hochzeiten sind nicht billig.

Hochzeitsplanerin Feichtinger ist sich sicher, dass Weddingstream.at auch nach der Pandemie ein beliebtes Add-on bei Hochzeiten bleiben wird.
Foto: Weddingstream.at/Zsolt Marton

Dass mit Ende der Pandemie auch die Nachfrage nach Weddingstream abebben wird, glaubt Feichtinger auf keinen Fall. Eine professionell betreute virtuelle Hochzeit habe viele Vorteile, ist sie überzeugt, man könne auch eine analoge Hochzeit aufnehmen und streamen. Bei einer Trauung steht vorn das Brautpaar, die Gäste sitzen dahinter in Reihen. Von Emotionen und Gesichtsausdrücken bekommen sie nur etwas mit, wenn sie nahe genug am Geschehen sitzen. Bei einer gestreamten Hochzeit sei man jedoch ganz nahe dabei, schwärmt die Planerin. Wenn Braut und Bräutigam ihr Gesicht nicht gerade hinter einer Maske verstecken, sehe man jedes Zucken im Mundwinkel, jede Rührung, jede Träne. Und man habe die Trauung ganz nebenbei für immer auf Band. "Weddingstream wird auch in Zukunft bei vielen Hochzeiten ein Add-on sein", sagt Feichtinger.

Eine russische Rede

Als ich mit meiner Rede auf das Brautpaar an der Reihe war, war es in Wien schon spät und in Russland noch viel später. Ich hatte nichts vorbereitet, aber die Rede kam leicht von den Lippen. Ich kenne Lena schon sehr lange und gut. Die Simultanübersetzerin muss schon müde gewesen sein, aber die russischen Gäste lauschten gebannt und applaudierten im Anschluss. Ich hatte zum ersten Mal eine Rede auf Russisch gehalten.

Aufgeschoben ist nicht aufgehoben: Das große Fest wird nachgeholt, versichert Lena.
Foto: Lena S.

Wenn ich die Familie des Bräutigams beim großen Fest treffe, wird es ein bisschen schwieriger, sich zu unterhalten. Zeremonie und Simultanübersetzer wird es nicht mehr geben, dafür ein großes und ausgelassenes Fest. Das zu streamen wäre zu aufwendig und würde wenig bringen, sagt Lena. Dafür kann ich den russischen Gästen dann das Glas reichen und laut rufen: на здоровье! Ich freue mich darauf. (Aloysius Widmann, 4.5.2021)