Bereits einen Tag nach dem islamistischen Terroranschlag im November vergangenen Jahres trat Bundeskanzler Sebastian Kurz vor die Presse und verkündete: Schuld am Anschlag trage nur einer, und zwar der Attentäter. Damit hatte und hat der Kanzler im engeren Sinn sicher recht. Der Attentäter war es, der vier Menschen erschossen und zahlreiche weitere verletzt und traumatisiert hat.

In der Wiener Innenstadt erinnern Kerzen an die Todesopfer und Verletzten des Terroranschlags.
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Aber es gibt noch andere Ebenen der Schuldfrage – jene, auf die der Staat mit seinen Behörden direkt Einfluss nehmen kann. Einerseits stellt sich die Frage, ob im Vorfeld des Anschlags alles unternommen wurde, um das Attentat zu verhindern. Andererseits geht es darum, ob nach dem Attentat alles getan wurde, um das Leid der Opfer und Hinterbliebenen zu lindern. Offenbar haben die Behörden und die Regierung in beiden Fällen zumindest teilweise versagt.

Denn im Vorfeld des Anschlags sind offensichtlich gravierende Behördenfehler passiert. Das bestätigen nicht zuletzt die Berichte der von der Regierung selbst eingesetzten Untersuchungskommission.

Aber auch nach dem Anschlag gab es vermeidbare Fehler. Anwälte berichten von erfolglosen Kontaktaufnahmen mit Ministerien, eine Angehörige musste sich sogar mehrere Tage auf die Suche nach der Leiche ihrer Schwester machen. Bei Behördengängen, um zu Entschädigungen zu kommen, dürften Angehörige statt Hilfeleistungen mitunter Hindernisparcours vorgefunden haben. Zwar gab es Kondolenzschreiben des Bundespräsidenten, aber viele fühlen sich von den staatlichen Stellen trotzdem nicht ausreichend wahrgenommen und gehört.

Das ist kein Wunder: Kurz nach dem Anschlag war von der Errichtung eines Entschädigungsfonds die Rede, doch auch hier hängen die Opfer in der Luft. Vielleicht wird es in den nächsten Wochen eine Lösung geben – viele Monate nach dem Anschlag.

Verteidigungshaltung der Regierung

Daher ist es nachvollziehbar, dass manche Opfer und Hinterbliebene nun auf juristischem Weg klären wollen, welche Verantwortung der Staat in Bezug auf den Anschlag übernehmen muss. Denn bisher ging die Regierung eher in Verteidigungshaltung. Ebenso verständlich ist, dass viele nun höhere Entschädigungssummen fordern als jene geringen Summen an Schmerzensgeld, die ihnen laut Verbrechensopfergesetz zustehen. Ob die Behördenverfehlungen im Vorfeld des Anschlags ausreichen, um der Republik vor Gericht Amtshaftung nachzuweisen, wird sich dann zeigen.

So, als hätte die Regierung nach dem Anschlag alles unternommen, um der Republik, aber vor allem den Angehörigen und Opfern diesen Gang vor Gericht zu ersparen, wirkt das nicht. Stattdessen existieren Vorhaben im Bereich der Terrorbekämpfung, die, abseits etwa von mehr Geld für Deradikalisierung, größtenteils als symbolische und daher weitgehend sinnlose Gesetzgebung zu bewerten sind, wie etwa der neue geplante Straftatbestand des religiösen Extremismus. Experten sind sich weitgehend einig, dass der Anschlag auch mit den bestehenden Gesetzen hätte verhindert werden können.

Insgesamt ist das kein würdiger Umgang mit Opfern und Hinterbliebenen. Die Chance, auf die Opfer aktiv zuzugehen, einen Fonds zu schaffen und wirklich ins Gespräch zu kommen, sofern Opfer das wollen, sollte nicht vertan werden. Besser zu spät als nie. (Vanessa Gaigg, 28.4.2021)