Wurde nachträglich eingebaut und dafür stückweise beschnitten: das angebliche Stiegenjuwel im Leiner-Haus.

Foto: Michael Hierner/Signa

Aktuelle Innenansicht der Baustelle im ehemaligen Leiner-Gebäude.

Foto: Philipp Derganz Architekturphoto

Genau 32.200 Euro. So hoch ist die Summe aller Gebote, die bis jetzt abgegeben wurden (Stand Mittwoch, 15 Uhr). Zu verdanken ist dies den rund 800 Bieterinnen und Bietern, die den Preis auf der Online-Auktionsplattform aurena.at in den letzten Tagen heftig nach oben getrieben haben. Das Objekt der Begierde – zerlegt in 27 Einzelpositionen von vier Meter Länge bis hin zum 67 Meter langen Treppenlauf – ist den meisten Wienern wohlbekannt, handelt es sich doch um das 1912 errichtete Jugendstil-Stiegenhaus im Möbelkaufhaus Leiner, Mariahilfer Straße 18.

Aktuell wird "der Leiner", wie ihn die meisten nennen, bis auf eine denkmalgeschützte Fassade mit der Hausnummer 16 komplett abgerissen, um Platz zu machen für jenes Kaufhaus des Westens (KaDeWe), das Signa-Eigentümer René Benko in Auftrag gab und das nach Plänen des niederländischen Architekturbüros OMA realisiert werden soll – mit Luxuskaufhaus, 150 Zimmer großem Hotel und öffentlicher Dachterrasse, die als Grätzelpark genutzt werden soll. Das alte Stiegenhaus ist da im Weg.

Krokodilstränen

"Natürlich haben wir uns überlegt, das Stiegenhaus zu erhalten", sagt Signa-Geschäftsführer Christoph Stadlhuber. "Aber das ist aus vielen unterschiedlichen Gründen nicht möglich. Einerseits stimmen die Geschoßhöhen des Stiegenhauses nicht mit dem geplanten Neubau von OMA überein, andererseits gibt es an ein Stiegenhaus – was etwa Lüftung, Handlauf und Brüstungshöhe betrifft – so strenge technische und baurechtliche Anforderungen, dass dies mit einem alten Bauteil kaum noch vereinbar ist."

Während in Boulevardmedien und auf diversen Social-Media-Kanälen über den Verlust des vielzitierten "Jugendstil-Juwels" in Strömen Krokodilstränen vergossen werden, hilft ein Blick in die alten Bauakte beziehungsweise in ein architekturhistorisches Gutachten von Februar 2019, das dem STANDARD vorliegt. Das Kaufhaus selbst wurde zwar 1894 errichtet, doch bei der hier beweinten Treppe handelt es sich um einen nachträglichen, jugendstilistischen Retro-Einbau von 1912. In den darauffolgenden Jahrzehnten wurde die Treppenanlage mehrere Male baulich verändert, zuletzt 1992 sogar um ein ganzes Stockwerk verkürzt und beschnitten.

"Die Umbauten, die diesem Haus und dieser Stiege passiert sind", sagt Gutachter Architekt Georg Töpfer, "waren wirtschaftlich getrieben, gingen jedes Mal aufs Neue auf Kosten der Architekturqualität und haben die Bausubstanz im Laufe der Zeit massiv verschlechtbessert. Von originaltreuer Bausubstanz kann man hier wirklich nicht sprechen." Hinzu komme, so Töpfer, dass die Geschoßhöhen ab der zweiten Etage, die ursprünglich als Wohnhaus genutzt wurden, für heutige öffentliche Kaufhauszwecke viel zu niedrig seien. Eine Weiterverwendung des Stiegenhauses sei auf Basis heutiger Standards nicht möglich.

Eine Art Schandfleck

Sogar Friedrich Dahm, Landeskonservator für Wien im Österreichischen Bundesdenkmalamt (BDA), der das Haus und seine Geschichte gut kennt, meint: "Dieses Haus ist kein Jugendstil-Juwel, sondern nach all den Umbauten und Zerstörungen ein Schandfleck. Ja, das nachträglich eingebaute Stiegenhaus ist zwar ganz schön, war aber schon zum Zeitpunkt seines Einbaus 1912 altmodisch und retardierend. Aus denkmalpflegerischer Sicht ist hier keine Schutzwürdigkeit gegeben."

Aus alledem lässt sich schließen, dass die Lösung, das Stiegenhaus Stück für Stück zu demontieren und unter Liebhabern des Leiner’schen Jugendstils zu verscherbeln, gar keine so schlechte ist. Im Sinne der Kreislaufwirtschaft bleiben die Bauteile erhalten und werden irgendwo auf der Welt weitergeliebt und weitergenutzt. Bis 5. Mai, neun Uhr, kann noch mitgeboten werden. Der Gesamterlös der Benefiz-Auktion kommt dem Hilfswerk Wien zugute, das damit seine Nachbarschaftszentren baulich ertüchtigen will. (Wojciech Czaja, 28.4.2021)