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Auf unglücklicher Kolonialmission: Lily-Rose Depp kämpft in "Voyagers" gegen die revoltierende Restcrew des Raumschiffs.

Foto: AP

Ein kleiner Becher mit blauer Flüssigkeit macht den großen Unterschied. An Bord des Raumschiffs Humanitas wird er der jugendlichen Besatzung vor jedem Mahl verpflichtend vorgeschrieben. Solange der Becher brav ausgetrunken wird, sitzt der divers besetzte Nachwuchs diszipliniert im Unterricht. Niemand muckt auf, ein jeder vertraut darauf, dass der einzige Erwachsene an Bord (Colin Farrell) das Richtige tut. Das hat freilich einen Grund: Die blaue Spülung hält die Hormone im Lot.

Lionsgate Movies

Voyagers, geschrieben und inszeniert von Neil Burger, verzichtet nach alter B-Movie-Logik auf lange Erklärungen. Klimapolitisch hat man, wenig überraschend, auf der Erde versagt. Im Jahr 2063 wird endlich ein neuer Planet gefunden, auf den man ausweichen kann. Unglücklicherweise dauert die Reise dorthin 86 Jahre. Die Besatzung des Raumschiffs, selbst genetisch zusammengemixt, wird nicht lebend ankommen, ist also angehalten, sich unterwegs zu reproduzieren.

Vorbild "Herr der Fliegen"

Man kann in Voyagers einen Gegenentwurf zu Clint Eastwoods Space Cowboys sehen, in dem es eine Gruppe rüstiger Männer im All noch einmal richtete. Die deutlichste Referenz des sozialen Experiments Burgers ist allerdings William Goldings pessimistische Menschheitsparabel Herr der Fliegen. Wie in dem Roman des Nobelpreisträgers schlägt auch in dieser Space-Robinsonade alsbald die gewaltvolle Natur des Erdenbürgers durch. Es braucht nur einen leicht verschobenen Blick auf die oktroyierte Mission: Warum sein Leben für eine Zukunft geben, an der man selbst nicht mehr teilhat?

Allzu philosophisch wird es in Voyagers allerdings nicht, wir sind hier nicht auf Stanisław Lems Solaris. Burgers Skript hebt die beiden Kontrahenten in seiner Riege an Nachwuchstalenten wie mit Leuchtstift hervor. Der smarte Christopher (Tye Sheridan, bekannt aus Spielbergs Ready Player One) spürt manch gut verstecktes Geheimnis des Schiffes auf und nährt so die allgemeine Skepsis. Der blaue Saft wird abgesetzt. Untertanengeist wie Moral sind damit beschädigt. Zac (Fionn Whitehead), der Nietzscheaner der Truppe, greift zuerst nach dem Busen einer Teamkollegin und dann mit populistischer Note genauso gierig nach der Herrschaft an Bord.

Die Wellen von MeToo

Originell an dem insgesamt reichlich eklektischen Voyagers ist vor allem die anfängliche Setzung: Die Jugendlichen, die fern aller äußeren Einflüsse großgezogen wurden, kennen das Konzept Gesellschaft noch nicht. Sobald sie sich aus der Sedierungszone einmal herausbewegen, beginnen sie sich erst als soziale Wesen zu begreifen, die ihr Begehren kontrollieren lernen müssen. Oder auch nicht. Die Erschütterungen der MeToo-Bewegung sind noch im aseptischen Inneren des Raumschiffes spürbar.

Burgers Regie interessiert sich für diese Themen allerdings leider nur im Vorübergehen. Alle offenen Fragen werden schnurstracks in Handlungen gegossen. Voyagers wird zum routinierten Action-Kammerspiel, das immerhin von der klaustrophobischen Innenarchitektur, den schmalen Gängen der Humanitas profitiert, in denen sich kleine Schlupflöcher auftun, sodass auch die Spannungskurve nicht abflacht.

Überhaupt erweist sich das Produktionsdesign von Scott Chambliss, die sauber-weißen, sterilen Flure, durch die die Kamera (Enrique Chediak) mitunter wie ein Dämon hindurchrast, als perfekte Kontrastfolie für einen Film, in dem die Vernunft vom Chaos der Triebe ausgehebelt wird. (Dominik Kamalzadeh, 29.4.2021)