Andreas Kraler unter einer Markise im Wiener Stadtpark.

Foto: Regine Hendrich

Für das Fotoshooting stellt sich Andreas Kraler in den warmen Schatten einer Markise im Wiener Stadtpark. Wohin auch sonst? Schließlich gehört sein Familienbetrieb Hella zu den größeren Anbietern von Sonnen- und Wetterschutz in Europa. Für die kleine Osttiroler Gemeinde Abfaltersbach ist das Unternehmen längst zu groß geworden – trotzdem denkt Kraler nicht daran, seinen Firmensitz zu verlegen.

STANDARD: Wie kommt ein Unternehmen mit weltweit rund 1.350 Mitarbeitern in einen Osttiroler Ort mit knapp 650 Einwohnern?

Kraler: Mein Großvater hat den Betrieb nach dem Krieg gekauft, die Frau vom Vorbesitzer hieß Hella. Sie war Schwedin, von dort kam auch die Geschäftsidee mit den Jalousien. Mein Großvater hatte davon keine Ahnung. Aber er war Bürgermeister von Abfaltersbach und weiteren zwei Gemeinden und wollte Arbeitsplätze schaffen. Deshalb hat der Hella übernommen, damals mit einem Mitarbeiter.

STANDARD: Inzwischen sind Sie Marktführer in Österreich – aber sitzen immer noch im winzigen Abfaltersbach in Osttirol.

Kraler: Wenn man Osttirol aus österreichischer Perspektive sieht, sind wir sehr nach außen gedrängt. Wenn man es europäisch sieht, sind wir im Zentrum. Ob Rom, Hamburg, Paris, Wien oder Budapest, wir haben überall hin eine ähnliche Strecke.

STANDARD: Wäre ein Standort an einer großen Verkehrsachse nicht besser?

Kraler: Wir haben für die Kunden immer von Osttirol wegmüssen, das Reisen und die etwas längeren Transportwege gehören dazu. Natürlich ist es ein Hemmnis, wenn die nächste Autobahn 100 Kilometer entfernt ist. Aber wir können auch von Abfaltersbach aus unsere Liefertermine einhalten.

STANDARD: Die Mitarbeiter müssen aber nach Abfaltersbach kommen.

Kraler: Bis vor etwa fünf bis sieben Jahren war Osttirol ein Superstandort, was Mitarbeiter betrifft. Das Land war handwerklich geprägt. Ob Tischler, Schlosser, Maurer oder Schmied – es gab genügend Leute, die zwar keine industrielle Fertigung gewohnt waren, aber mit Werkzeug umgehen konnten. Seit man begonnen hat, Industrie anzusiedeln, sind die verfügbaren Arbeitskräfte hart umkämpft, alle kämpfen um dieselben Fachkräfte, und wir bekommen kaum noch Personal. Teilweise holen wir unsere Mitarbeiter per Shuttle aus den umliegenden Tälern nach Abfaltersbach. Die Pendler sind bis zu einer Stunde unterwegs.

Schnee in Madrid? Selten, aber möglich – eine Markise sollte Extremwetter aushalten. Vor allem deshalb, weil der Klimawandel starke Windböen und Niederschläge vielerorts häufiger macht.
Foto: Imago

STANDARD: Die Grenze zu Südtirol ist nur rund zehn Kilometer entfernt. Warum holen Sie die Leute nicht von dort?

Kraler: Dort herrscht seit vielen Jahren Vollbeschäftigung.

STANDARD: In Bozen sind Sie schneller als in Innsbruck. Fühlen sich die Osttiroler den Südtirolern näher oder den Nordtirolern?

Kraler: Wenn es um administrative Wege geht, sind wir Nordtiroler (lacht). Ansonsten fühlen wir uns schon auch den Südtirolern zugehörig, es gibt viele Verwandtschaften über die Grenze hinweg. Vielleicht sind wir aber sogar den Kärntnern am nächsten …

STANDARD: … besonders seit Ausbruch der Pandemie, es gibt ja nach wie vor Grenzkontrollen.

Kraler: Wobei die Grenze zu Südtirol in der Pandemie einfacher war als die innerösterreichische Grenze. Die Italiener kontrollieren fast gar nicht. Vor einem Jahr, als Tirol abgeriegelt war, hatten wir Schwierigkeiten, unsere Mitarbeiter aus den Bezirken in Kärnten zu holen.

Peripher in Österreich, zentral in Europa: Abfaltersbach.

STANDARD: Hat die Pandemie Hella zugesetzt?

Kraler: Am Anfang überwog die Unsicherheit. Die Auftragsbücher waren voll, aber wir wussten nicht, ob wir zu den Kunden können. Deshalb haben wir mit der Belegschaft zwei Wochen Urlaub vereinbart, die anschließende Kurzarbeit dauerte nur ganz kurz. 2020 war ein gutes Geschäftsjahr. Wir haben sicher auch davon profitiert, dass die Menschen aufgrund der Bewegungseinschränkungen vermehrt ins Eigenheim investiert haben.

STANDARD: Spielt Ihnen der Klimawandel auch in die Hände?

Kraler: Sommer werden heißer. Städte funktionieren wie Backöfen und heizen sich stark auf. Der Klimawandel ist in den Wohnzimmern angekommen, und wir haben Produkte, die für ein angenehmes Klima in der Wohnung sorgen. Der Trend geht in Richtung Jalousie an der Außenseite des Fensters. Damit kann man breitere Fensterfronten abdecken und den Lichteinfall besser regulieren. Im Winter wirkt eine Jalousie auch isolierend. Sie ist viel energieeffizienter und klimafreundlicher als eine Klimaanlage. Allerdings muss Sonnenschutz auch immer windfester werden. Wir beobachten, dass die Windspitzen kräftiger werden – wegen des Klimawandels, aber auch, weil in Städten immer weiter in die Höhe gebaut wird.

Rollläden sind Schnee von gestern. Der Trend geht immer mehr in Richtung Jalousien, sagt Hella-Chef Kraler. Damit könne man die Raumbeleuchtung viel besser regulieren.
Foto: imago

STANDARD: Sie sind also doppelter Krisengewinner?

Kraler: Na ja, ich sehe den Klimawandel auch mit einem weinenden Auge. Er betrifft uns alle und ganz besonders unsere Nachkommen. Wir nehmen das Thema aber auch als Betrieb sehr ernst, wir haben ein eigenes Wasserkraftwerk, mit dem wir unseren Energiebedarf decken. Wir heizen mit Biomasse. Und wir versuchen unsere Flotte umzurüsten.

STANDARD: Woran hakt es?

Kraler: E-Mobilität ist derzeit nur in urbanen Zentren und bei kurzen Distanzen sinnvoll. Für längere Strecken wird es andere Technologien brauchen, Wasserstoff zum Beispiel. Die E-Mobilität wird sich sicher noch weiterentwickeln. Aber derzeit ist es auf der Langstrecke einfach mühsam. Ich bin von der Schweiz einmal mit einem Kollegen mitgefahren. Wir mussten zweimal anhalten und aufladen bis Abfaltersbach. Es war Winter, und wir hatten eh schon die Heizung abgedreht, um die Reichweite zu erhöhen.

STANDARD: Warum nehmen Sie auf der Langstrecke nicht stattdessen den Zug?

Kraler: Wenn ich mit dem Zug nach Innsbruck oder München fahre, dauert das fünf Stunden. Das gilt auch für den Transport. Wenn ich alles mit der Bahn mache, kann ich von Osttirol aus nicht immer zeitgerecht liefern.

STANDARD: Welchen Luxus darf man sich als Chef eines Familienbetriebs mit mehr als 1.000 Mitarbeitern gönnen?

Kraler: Wir haben es immer so gehandhabt, dass die Eigentümerfamilie ein Anrecht auf einen Job im Betrieb hat. Aber immer nur auf eine Position, die der eigenen Ausbildung entspricht. Deshalb verdiene ich auch nicht mehr und nicht weniger, als eine gleich qualifizierte Person im Unternehmen verdienen würde. Mein Vater hat einmal in einem Zeitungsinterview gesagt, dass er keinen Ferrari möchte. Das gilt auch für mich. Und das unabhängig davon, dass ein Ferrari in den Bergen auch sehr unpraktisch wäre.

STANDARD: Schütten Sie also nie Gewinne an die Eigentümerfamilie aus?

Kraler: Wir haben in den letzten 60 Jahren keine einzige Ausschüttung an die Familie gemacht, sondern immer alles sofort ins Unternehmen reinvestiert. Das war auch gut und richtig so. Es gab Phasen, die wir sonst vielleicht nicht überlebt hätten.

STANDARD: Sie haben in allen möglichen Bereichen Ihres Unternehmens mitgearbeitet. Hilft das beim Führen?

Kraler: Sehr. Ich war in der Montage, ich habe als Lkw-Fahrer gearbeitet und so weiter. Das hilft extrem. Man ist als Führungskraft nahbar, versteht Prozesse besser und kann seine Schritte besser gegenüber der Belegschaft argumentieren. Die Mitarbeiter tragen Entscheidungen mit, wenn man glaubwürdig ist.

Andreas Kraler, Jahrgang 1974, führt Hella in dritter Generation. Dem Osttiroler Unternehmer ist Bodenständigkeit wichtig. Wenn er sich zu großen Luxus gönnen würde, würde das im kleinen Abfaltersbach sofort auffallen, sagt er und fügt hinzu: Luxus wie der Besitz eines Ferrari reize ihn auch gar nicht. Aber eine Probefahrt mit einem Sportwagen würde Kraler gerne einmal machen.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Kann sich da die Corona-Krisenpolitik etwas abschauen? Entscheidungen wurden oft sehr kurzfristig getroffen, und nicht immer war das Verständnis für die Maßnahmen groß.

Kraler: Ich möchte in dieser Situation kein Politiker sein, jede Entscheidung kann nur falsch sein. Aber es stimmt schon, ein bisschen mehr Erklärung hätte manches vielleicht einfacher gemacht und für mehr Verständnis bei den Menschen gesorgt. Es ist wie im Betrieb: Man muss die Menschen mitholen.

STANDARD: Sie vergleichen die Arbeit bei Hella auch mit Biathlon. Wie kommt das?

Kraler: Wir waren erstmals Hauptsponsor der Biathlon-Jugendweltmeisterschaft, die heuer in Obertilliach in Osttirol stattfand. Biathlon ist von außen betrachtet ein Individualsport, wenn man genau hinsieht, ist es aber ein Teamsport ...

STANDARD: Das kann man von fast jeder Sportart sagen.

Kraler: Das stimmt, aber Biathlon hat einen Reiz wegen der Präzision. Die Athleten müssen zum Schießstand, während der Puls vom Laufen hoch ist. Das hat uns imponiert. Wir wollen auch das Ziel treffen und zum Abschluss kommen.

STANDARD: Haben Sie Biathlon einmal ausprobiert?

Kraler: Nein, ich bin früher langgelaufen, und bei einem Kundenevent in Obertilliach habe ich mich am Schießstand probiert. Das hat ganz gut funktioniert. Aber wenn ich vor dem Schießen langgelaufen wäre, hätte ich nichts getroffen. (Aloysius Widmann, 2.5.2021)