Wolfgang Fellner vor den Zeichen der Zeit: Auf Gleichbehandlung als Selbstverständlichkeit sind die noch immer nicht gestellt.

Foto: Heribert CORN

"Du schaust aus wie eine Nutte": Das hat der österreichische Medienmanager und Journalist Wolfgang Fellner zu seiner damaligen Mitarbeiterin Raphaela Scharf gesagt. Fellner gibt das auch zu, er habe damit nicht gemeint, sie sei eine Nutte, sondern vielmehr ihr Styling für eine Sendung kritisiert (DER STANDARD berichtete). Und das dürfe er als Chef wohl noch tun, sagte er am Mittwoch auch der "ZiB 2". Scharf konnte beim Prozesstermin am Mittwoch eine Tonaufnahme dieser Aussage vorlegen. Die Moderatorin geht derzeit gerichtlich gegen ihre Entlassung bei Oe24.tv vor. Sie habe ihren Vorgesetzten unberechtigt der sexuellen Belästigung beschuldigt, so die Gegenseite – weshalb sie entlassen wurde. Bei den Vorwürfen geht es nicht nur um den "Nutte"-Sager. Auch Grapschen, anzügliche Kommentare und ein Versuch, sie zu küssen, sind ein Thema – all das wird von Wolfgang Fellner bestritten.

Und damit sind wir bei einer grundsätzlichen Problematik, die Debatten und Prozesse zu sexueller Belästigung im Job generell begleitet: Die Beweisbarkeit ist enorm schwierig. Oft steht Aussage gegen Aussage, die sich allerdings nicht auf Augenhöhe gegenüberliegen. Vielmehr liegt zwischen diesen Aussagen meist ein riesiges Machtgefälle. Einer hat die Macht, einzustellen und zu kündigen, verfügt über viel Geld und zahllose Kontakte, kann "Stilkritik" üben oder Mitarbeiter*innen zu einem "Star" machen, wie Fellner laut Aussage von Scharf immer wieder gesagt haben soll. Und die andere Seite hat all das nicht – oder zumindest bedeutend weniger davon.

Zu viele machen mit

Kleinreden, den Betroffenen die Schuld zuschieben, sexistische Sprüche, Machtmissbrauch. Die Vorwürfe der Journalistin klingen, als ob es #MeToo nie gegeben hätte. Als ob in den vergangenen Jahren keine Sekunde über die klassischen Begünstigungen für sexuelle Belästigung und Gewalt gesprochen worden wäre. Besonders bedrückend an diesem aktuellen Fall ist, dass damit – schon wieder – die Ingredienzen einer frauenverachtenden gesellschaftlichen Atmosphäre glasklar auf dem Tisch liegen. Und diese Atmosphäre wird von zu vielen reproduziert, längst nicht nur von alten weißen Männern, die gern als Kern des Problems identifiziert werden. Doch das greift zu kurz. Für ihren Chauvinismus, der im schlimmsten Fall in Belästigung und Übergriffen mündet, brauchen sie schon noch etwas anderes: ein Umfeld, das wegschaut, weghört, sich wegduckt, und das fleißig die Schuld beim Verhalten der betroffenen Frauen sucht, vielleicht auch, um die fehlende Zivilcourage bei sich selbst zu entschuldigen.

Im Lauf des Prozesses gegen Fellner wegen Scharfs Entlassung hatten wir es bereits mit alldem zu tun. Eine andere früher bei Fellner beschäftigte Journalistin erzählte bei einem anderen Gerichtstermin etwa, ja, Fellner habe auch ihr "auf den Po geklapst". Sie will das aber ganz lässig nehmen. Das sei "spaßhalber" passiert. Sie könne in der Branche nicht mehr arbeiten, wenn sie "jeden Klaps auf den Popo" bewerten würde, wenn sie jede anzügliche Bemerkung ernst nehmen würde. Wenn sie – sinngemäß – so ein Waserl wäre, könnte sie sich jeden Tag in den Schlaf weinen.

War ja nur Spaß

Erschütternd waren auch Fragen und Kommentare, die in dem Prozess von der vorsitzenden Richterin kamen. Warum die Betroffene nicht gekündigt habe, man wisse doch, wie es im Unternehmen zugehe? Und den von Scharf geäußerten Wunsch, nicht mehr mit Fellner moderieren zu wollen, kommentierte die Richterin mit den Worten: "Ich glaube, Sie träumen von warmen Eislutschern."

Aussagen wie diese und jene der anderen Moderatorin, der "spaßhalber" auf den Hintern geklapst wurde, sagen nichts anderes als: So läuft es, liebe Frauen. Ihr müsst so etwas nun mal wegstecken, und wenn nicht, seid ihr naiv, empfindlich, habt eine zu dünne Haut und seid deswegen ungeeignet für den Job. Angesichts solcher Botschaften müssen Betroffene entscheiden, ob sie eine Anzeige erstatten und sich damit vielleicht einem Gerichtsverfahren aussetzen, in dem an Frauen noch immer andere Maßstäbe angelegt werden als an Männer. Nämlich still zu leiden, den Mund zu halten. Wenn sich eine Frau doch entscheidet, etwas zu unternehmen, und sich wehren will, zahlt sie einen hohen Preis – sei es durch Verniedlichungen des Beschuldigten, der Richter*innen und Zeug*innen, sei es, weil sie sich alldem jahrelang aussetzen muss.

All das zeigt, dass beim Umgang mit solch schwerwiegenden Vorwürfen noch verdammt viel Luft nach oben ist. (Beate Hausbichler, 29.4.2021)