Zwar sind Influencer im Besitz ihrer Smartphones und Accounts, jedoch von den Social Media-Plattformen abhängig.

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Ein Influencer ohne Namen ist auch nur eine Person im Internet, also wie alle, also niemand. In Influencer. Die Ideologie der Werbekörper, das bei Suhrkamp erschienen ist, beschreiben die Autoren Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt "eine der wichtigsten Sozialfiguren des digitalen Zeitalters".

Am Anfang jedes Kapitels steht eine Szene aus einem namenlosen Influencer-Leben, so austauschbar wie beliebig: ein Flirt im Infinity-Pool, türkisblauer Strand, himmelblaue Fashion, ein #Healthy Frühstück oder die verdiente Auszeit, #MeTime genannt.

Vor ein paar Jahren, als der Begriff zur Berufsbezeichnung wurde, witzelten diverse Boomer in Kommentarspalten des Internets, "Influenza", hihi, haha. Doch ihr Geschäft führt den Kapitalismus der Gegenwart ebenso vor, wie es ihn antreibt: "Alles kann zur Ware werden – auch das eigene Ich", beschreiben die Autoren den Leitsatz.

Schmitts und Nymoens Blick leitet sich aus Filmwissenschaft und Kritischer Theorie ab: Truman aus der nach ihm benannten Show und den American Psycho Patrick Bateman beschreiben sie als "Proto-Influencer" der Mediengeschichte.

Widersprüchliche Klassenlage

Influencer sind bei ihnen "Werbekörper": Werbung ist kein Clip mehr, den es gilt wegzuklicken, sondern freiwillig konsumierter Content. Die Arbeit der Influencer basiert auf einer "spezifische[n] Werbeform des Influencer-Marketings". Dabei stellen sie reine Unterhaltung her, die jedoch "der Realisation des Kapitals in erweiterter Form" dient. Sie sind die besten Verbündeten des Kapitalismus.

Marxistische Analysen zum Besitz der Produktionsmittel sind die interessantesten Teile des Buches. Zwar seien Influencer im Besitz ihrer Smartphones und Accounts, jedoch von den Plattformen abhängig. So sind manche "privilegierte Selbstständige", manche verkaufen ihre Arbeitskraft und schaffen Mehrwert für Unternehmen, andere werden selbst zu Kapitalisten.

Eine "widersprüchliche Klassenlage" nennt das der Soziologe Erik Olin Wright. Mindestens ambivalent, den Autoren nach "antiaufklärerisch", sind auch die konservativen propagierten Geschlechterbilder und die hohle Selbsterfüllung: "Liebe dich selbst, solange du aus dir Profit ziehen kannst."

Alles kann kapitalisiert werden

Anhand der Figur des Influencers arbeiten sich die Autoren am (digitalen) Kapitalismus ab und zeigen auf, wie sich dieser alles einverleibt: Unvollkommenheit, Makel, Konsumkritik? Lassen sich in Ästhetik verwandeln und kapitalisieren. Irritierend ist der kritische Tonfall dann, wenn Influencern vorgeworfen wird, dass deren Inhalte "keine Kunst, keine große kreative Leistung" seien. Dass Kunst nicht das Ziel ist, sondern es sich um ein Geschäftsmodell handelt, wird von den Autoren selbst treffend analysiert.

Mit Begriffen wie "Werk" und "Schöpfungshöhe" hantieren Schmitt und Nymoen dann umständlich und bringen auf einmal eigene Ansprüche an Bildproduktion ein: Die Abwertung von "Schund, Kitsch und Gefällige[m]" wirkt dabei vor allem herablassend.

Die Autoren zeichnen die Eigenheiten des Berufs nach, können aber das Gefühl einer gewissen Voreingenommenheit nicht auflösen. Sollte die Welt irgendwann zugrunde gehen, die Influencer werden’s nicht richten, so scheinen die Autoren zu meinen. Man könnte es auch anders sehen: Vom Ende gäbe es dann wenigstens hübsche Bilder. (Lili Hering, ALBUM, 1.5.2021)