Der erste Leichnam, den Space-Pilotin Selene auf dem Alien-Planeten Atropos findet, sorgt für Gänsehaut. Wieso liegt ihre eigene Pistole daneben? Und woran erinnert sie die Rüstung, die der Kadaver trägt? Moment, das ist ja ihre eigene! Wie kommt die denn hierher? Sie ist doch gerade erst mit ihrem Raumschiff bruchgelandet! Irgendetwas stimmt hier nicht. Returnal ist seit einer gefühlten Ewigkeit wieder ein Triple-A-Titel, und der auch noch exklusiv für die Playstation 5. Um den Shooter aus dem Hause Housemarque rankten sich seit der Vorstellung im Juni vergangenen Jahres verschiedene Gerüchte. Sicher war: Es sollte ein Roguelike werden.

Von diesem Schiff aus startet man in die Runden.
Foto: Screenshot/Pollerhof

Roguelikes sind Spiele, die einem bestimmten Muster folgen: In der Regel erkundet man als Spieler ein Areal, findet Gegenstände und Waffen und bekämpft Gegner. Segnet man das Zeitliche, verliert man jeglichen Fortschritt und fängt wieder mit null von vorne an.

Täglich grüßt … ach, Sie wissen schon

Was das für Returnal bedeutet, merkt man spätestens nach ein paar Minuten. Mit Selene bewegt man sich in der Third-Person-Sicht über den wunderschön gestalteten Planeten Atropos und kämpft sich durch Horden von Gegnern und von Raum zu Raum. Irgendwann werden die zornigen Alien-Tiere aber zu mächtig, und Selene gibt den Löffel ab – wacht allerdings eine Sekunde später wieder in ihrem gerade abstürzenden Raumschiff auf. Sie realisiert langsam selber, was passiert. Sie durchlebt denselben Zyklus immer und immer wieder. Deswegen auch der Leichnam in ihrer Rüstung – eine vorige Version von ihr, ebenfalls im Kampf ums Entkommen gefallen.

Returnal ist dabei ein Roguelight, kein Roguelike. Das bedeutet, dass wichtige, sogenannte permanente Items auch nach dem Ableben noch im Inventar bleiben. Diese verdient man sich meist durch das Besiegen von Boss-Gegnern, so zum Beispiel das Nahkampf-Lichtschwert, mit dem nicht nur Gegner beseitigt, sondern auch rote Barrieren durchbrochen werden können. Darüber hinaus behält Selene die Währung des Ethers, mit der unter anderem temporäre Upgrades gekauft werden können.

Im Laufe des Spiels findet man immer dickere Wummen – die man beim Tod wieder verliert.
Foto: Screenshot/Pollerhof

Kann so etwas Spaß machen? Und wie!

Trotzdem tut jeder Tod weh. Denn sämtliche Waffen (man fängt immer lediglich mit der Pistole an), Upgrades und Consumables gehen verloren, sowie die zweite Währung in Returnal, die ebenfalls für Upgrades herhalten muss. Frust ist also vorprogrammiert. Kann so etwas Spaß machen?

Und wie! Das hat mehrere Gründe. Zuerst einmal ist das Gameplay von Returnal eine Wucht. Selten war ein Third-Person-Shooter so flott, so flüssig zu steuern. Am Anfang wundert man sich darüber, warum Selene so schnell laufen kann, im Nachhinein ist das logisch: Im 25. Rundgang sitzen die meisten Automatismen, es geht vor allem am Anfang um Schnelligkeit, man will den Flow aus dem Cycle davor nicht verlieren. Zusätzlich kann Selene springen und ausweichen, samt Invincibility-Frames, die es klug einzusetzen gilt.

Denn im Grunde ist Returnal ein Shoot 'Em Up im dreidimensionalen Raum. Der Alien-Planet Atropos verändert die Anordnung seiner Räume bei jedem Durchgang. Jeder dieser Räume ist mit Gegnern versehen, die Selene mit einer Vielzahl von Projektilen zum Neustart zwingen will. Das kann schnell für Frust sorgen. Denn Returnal ist verdammt schwer. Die einheimischen Tiere und Kreaturen machen mächtig Schaden, und Items zum Heilen muss man erst finden.

Reicht der Skill, oder brauche ich Ausrüstung?

Dem gegenüber steht der fantastische Flow des Spiels. Bei jedem Run lernt man für sich dazu: wie sich die Gegner verhalten, welche Räume nützlich sind (die sind nämlich nur zufällig angeordnet, die Grundrisse wiederholen sich), welche Items helfen, welche eher nicht. Ebenfalls hilfreich: Wird man eine Zeitlang nicht getroffen und eliminiert dafür Gegner, steigt das Adrenalinlevel, das einen unter anderem Gegner durch Wände sehen lässt. Wird man einmal erwischt, muss man sich diese Upgrades wieder mit Kills und gutem Ausweichen verdienen. Durch die nichtvorhanden Ladezeiten gibt es quasi auch beim Ableben keine Verschnaufpause, und man erwischt sich schnell bei dem Satz: "Na komm, eine Runde noch".

Parasiten, die immer eine positive und negative Eigenschaft haben, heften sich sichtbar an Selenes Körper – hier am Rücken.
Foto: Screenshot/Pollerhof

Zusätzlich kommt eine taktische Variante hinzu. Denn spätestens wenn man dem ersten Boss-Gegner gegenübersteht, der mit einem den Boden aufwischt, weiß man: Man braucht die richtige Ausrüstung, um den zu packen. Also heißt es abwägen: Fühle ich mich auch ohne viel Ausrüstung bereit, den Kampf anzugehen? Oder investiere ich mehr Zeit, rüste mich auf anderen Pfaden aus, suche Waffen, Parasiten (kleine Tierchen, die sowohl eine negative als auch eine positive Eigenschaft haben) und Upgrades und gehe dann bis an die Zähne bewaffnet in den Kampf – laufe aber auch Gefahr, auf dem Ausrüstungsweg zu sterben und wieder neu starten zu müssen?

Legt man den Boss eines Gebiets, bekommt man in der Regel einen Schlüssel oder einen permanenten Gegenstand, der einem ein komplett neues Gebiet offenlegt – im besten Stile von Metroid und Castlevania.

Aufgeben wäre schade um das Design

Was den Sog des Spiels ausmacht, kann gleichzeitig auch der größte Frustfaktor sein. Aufleveln ist, ähnlich wie in Sekiro, nicht drin. Wer an einem Boss hängt, der hängt. Das Konzept der Cycles funktioniert bis hierhin wunderbar. Es gibt aber auch definitiv Stellen, durch die man sich durchbeißen muss. Denn gibt es keine permanenten Items mehr zu finden oder Orte zu entdecken – dann muss der Skill sprechen, sonst geht es nicht weiter.

Und das wäre besonders um die mystische Story schade. Warum taucht auf diesem Alien-Planeten Selenes Elternhaus immer wieder auf? Warum ist sie hier überhaupt gefangen? Was ist mit dieser Zivilisation passiert, dass sie Selene alles entgegenwirft? Und warum verfolgt sie ein Astronaut?

Eingebettet ist das in ein wirklich fantastisches Design, das glatt aus einem Film der Alien-Reihe stammen könnte. Alles kreucht und fleucht, die Leuchtfarben der Gegner sind beeindruckend, und mit fortwährender Spieldauer merkt man, was für eine imposante Gesellschaft auf diesem Planeten früher gelebt haben muss.

Spüre die Tropfen!

Returnal ist ebenfalls mal wieder ein Muskelspiel für die PS5. 4K-Auflösung und fast durchgängig 60 Bilder pro Sekunde, sehr beeindruckend. Wir schreiben "fast", weil Räume, in denen ungewöhnlich viele Gegner aufploppen, die Konsole dann doch für eine kurze Zeit in die Knie zwingen. Das passiert allerdings sehr selten. Öfter sind uns aber ins Sichtfeld springende Gräser oder Büsche aufgefallen, die zwar nichts am Spielspaß ändern, aber trotzdem als fast einziges technisches Manko ein kleiner Dorn im Auge sind. Dafür sieht man Selenes Rüstung jeden einzelnen Kampf dank Schmutz und Kratzern an, und die bereits angesprochenen Parasiten heften sich wirklich an Beine und Arme, ein tolles Detail.

Die Gegner leuchten herrlich bunt. Auch praktisch: Der Ring um Selene kündigt ankommende Projektile an.
Foto: Screenshot/Pollerhof

Hervorzuheben ist noch die Einbindung des neuen Controllers. Regnet es auf Atropolis, spürt man die Regentropfen in der punktuellen Vibration des Controllers. Das ist im ersten Moment lediglich ein Aha-Moment, wenn man dann aber zu Spielen zurückgeht, in denen das nicht so ist, vermisst man es.

Darüber hinaus hat Housemarque die adaptiven Trigger sinnvoll eingesetzt. Da die Software die Intensität des einzusetzenden Drucks variieren kann, wird der linke Trigger quasi in zwei Phasen gespalten. Drückt man ihn leicht runter, zoomt man klassisch mit der Waffe heran. Drückt man ihn allerdings komplett durch, aktiviert sich der alternative Feuermodus einer jeden Waffe.

Das ist in den ersten Runden durchaus gewöhnungsbedürftig, weil man aus Reflex den Trigger bis zum Anschlag durchdrückt und damit den alternativen Feuermodus öfter einsetzt als gewünscht. Hat man sich aber daran gewöhnt, ist das Feature eine wirklich sinnvolle Einbindung und dürfte von dem einen oder anderen kommenden Shooter sicherlich abgekupfert werden – immerhin bleibt so eine andere Taste frei.

PlayStation

Für Frustresistente ein Muss

Zugegeben, mittlerweile schwebt über fast jedem Playstation-Spiel der Preis von 80 Euro. Der ist eine Hausnummer. Dieser Vollpreis lohnt sich bei Returnal nur für erfahrene und trotzdem frustresistente Zocker. Lässt man sich darauf ein, bekommt man mit dem Shooter ein süchtigmachendes Roguelight, das durch technische Neuerungen und eine packende Atmosphäre dutzende Stunden an den Bildschirm fesseln kann und schon jetzt ein heißer Anwärter auf die Top-Listen des Jahres ist.

Wer allerdings das erste oder zweite Mal in seinem Leben einen Controller in der Hand hat, der sollte die Finger davon lassen. Denn ohne den nötigen Skill stellt sich auch nicht der spieldefinierende Flow ein. Da ergibt das Warten auf Rabatte mehr Sinn. "Git Gud" ist die Devise – und das wird man nicht von heute auf morgen. (Thorben Pollerhof, 29.4.2021)