Aktuelle Fälle aus der Medienbranche zeigen, dass sexuelle Belästigung durch Vorgesetzte auch mehr als drei Jahre nach der MeToo-Debatte längst nicht der Vergangenheit angehören. Gerade am Arbeitsplatz stellen sich besondere Probleme: Betroffene wollen etwas gegen die Belästigung unternehmen, gleichzeitig haben sie aber Angst davor, den Job zu verlieren. Das erzeugt meist zusätzlichen Druck auf die Opfer.

Frage: Wie oft kommt sexuelle Belästigung im Job vor?

Antwort: Mehr als jede zweite Frau hat schon einmal sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt. Das hat eine Spezialauswertung des Arbeitsklimaindex aus dem Jahr 2018 durch die Arbeiterkammer Oberösterreich ergeben. Die Gleichbehandlungsanwaltschaft dokumentierte für die Jahre 2016 und 2017 eine geschlechtliche Gewichtung von 96 Prozent weiblichen, drei Prozent männlichen und ein Prozent transidenten Betroffenen. Folgen für Betroffene können psychosomatische Beschwerden wie Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, Übelkeit, Angstzustände oder Panikattacken sein. Belästigungen wirken sich aber nicht nur auf den Körper und die Psyche aus, sondern auch auf die Arbeitsleistung. Die Folgen können von verringerter Arbeitsmotivation bis hin zur Arbeitsunfähigkeit reichen.

Frage: Wann liegt sexuelle Belästigung überhaupt vor?

Antwort: Grundsätzlich wird zwischen drei Erscheinungsformen unterschieden: verbale und nonverbale Belästigung sowie körperliche Übergriffe. Beispiele für sexuelle Belästigung sind zweideutige Anspielungen, anzügliche Witze oder Bemerkungen, aber auch Blicke, das Versenden von Nachrichten mit sexuellem Inhalt bis hin zu unangemessenen Berührungen. Häufig handelt es sich bei den Belästigern um hierarchisch höher gestellte Personen wie Arbeitgeber oder Führungskräfte. Aber auch von Arbeitskollegen oder Kunden kann sexuelle Belästigung ausgehen. Ausschlaggebend für das Vorliegen ist nicht die Intention der Belästiger, sondern immer das subjektive Empfinden der Betroffenen, die jenes Verhalten als unerwünscht wahrnehmen. Das ist auch rechtlich im Gleichbehandlungsgesetz klar definiert.

Frage: An wen können sich Betroffene wenden?

Antwort: "Es kommt natürlich stark darauf an, von wem die sexuelle Belästigung ausgeht", sagt Melanie Kocsan, Juristin in der Abteilung Frauen und Familie der Arbeiterkammer Wien. Geht diese beispielsweise von einem Kollegen oder Kunden aus, könnten Betroffene sich an den Arbeitgeber oder die Führungskraft wenden. Kompetente Ansprechpartnerinnen im Unternehmen können neben Vorgesetzten auch Betriebsräte oder Frauenbeauftragte sein. Wichtig sei es, die Belästigung einer geeigneten Stelle zu melden und die Situation nicht zu ignorieren und auszuhalten. "Solche Probleme lösen sich leider in der Regel nicht, wenn man sie nicht anspricht und Unterstützung sucht. Es ist aber nicht notwendig, dass Betroffene sich wehren, indem sie sich sofort gegen den Belästiger stellen", sagt Kocsan. Außerhalb des Betriebs können sich Betroffene außerdem an die Arbeiterkammer, die Fachgewerkschaft oder die Gleichbehandlungsanwaltschaft wenden.

Sexuelle Belästigung wirkt sich nicht nur negativ auf den Körper und die Psyche der Betroffenen aus, sondern hat auch rechtliche Konsequenzen.
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Frage: Sollten rechtliche Schritte eingeleitet werden?

Antwort: "Aus meiner Erfahrung kommen die meisten Betroffenen mit dem Wunsch, dass die Belästigung aufhören soll, in die Beratung – nicht um unbedingt rechtliche Schritte einzuleiten", erklärt Kocsan. In manchen Fällen sei schon damit geholfen, wenn Unterstützung angeboten wird und im Unternehmen Maßnahmen gesetzt werden. Der Arbeitgeber hat den Beschäftigten gegenüber eine Fürsorgepflicht, und diese können von sexueller Belästigung Betroffene auch einfordern. "Die Möglichkeit, rechtliche Schritte einzuleiten, besteht natürlich dennoch", sagt die Juristin.

Frage: Welche Rechte haben Betroffene?

Antwort: Zunächst hat die betroffene Person ein Recht auf sofortige Einstellung des belästigenden Verhaltens. Entscheiden sich Betroffene dazu, rechtliche Schritte einzuleiten, kann bei der Gleichbehandlungskommission ein Antrag auf Feststellung der Belästigung gestellt werden. Das Prüfungsverfahren ist kostenlos, das Ergebnis aber rechtlich nicht bindend. Schadenersatz müssen Betroffene vor dem Arbeits- und Sozialgericht einklagen. Das Gleichbehandlungsgesetz legt einen Mindestersatz von 1.000 Euro fest. Der konkrete Anspruch gegen den Belästiger hängt aber von Dauer, Art und Intensität der Belästigungshandlungen ab. Neben der Zahlung von Schadenersatz drohen den Tätern bei der Belästigung durch Berührungen auch strafrechtliche Konsequenzen.

Frage: Müssen Betroffene die sexuelle Belästigung beweisen?

Antwort: In Fällen von sexueller Belästigung gibt es nur sehr selten Zeuginnen oder Zeugen. Das Gleichbehandlungsgesetz sieht daher eine Beweiserleichterung für Betroffene vor. Sie müssen die Belästigung nicht nachweisen, sondern nur "glaubhaft machen". In der Praxis bedeute das, dass der Vorwurf mit "überwiegender Wahrscheinlichkeit" den Tatsachen entspricht, sagt Elisabeth Wasinger, Anwältin für Arbeitsrecht: "Der oder die Beklagte muss sich dann freibeweisen und das Gericht überzeugen, dass keine sexuelle Belästigung erfolgte." Hilfreich kann es sein, Vorkommnisse genau zu dokumentieren – etwa in Form von Gedankenprotokollen. Auch E-Mails oder Chats können vor Gericht wichtige Beweismittel sein. In einem möglichen Strafverfahren gibt es die Beweiserleichterung allerdings nicht. Hier muss das Gericht die Belästigungshandlung nachweisen.

Frage: Betroffene sind von ihren Arbeitgebern oft wirtschaftlich abhängig und fürchten sich vor einer Kündigung. Ist die Angst berechtigt?

Antwort: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich gegen die sexuelle Belästigung zur Wehr setzen, dürfen nicht aus diesem Grund gekündigt oder entlassen werden. Dasselbe gilt für Personen, die Betroffene dabei unterstützen oder als Zeugen auftreten. Wird das Arbeitsverhältnis dennoch beendet, kann die Kündigung oder Entlassung gerichtlich angefochten werden. Achtung: Die Klage muss innerhalb von 14 Tagen bei Gericht eingebracht werden. Laut Wasinger haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aber ein Wahlrecht: Sie können die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch akzeptieren und stattdessen Schadenersatz verlangen. (Anika Dang, Jakob Pflügl, 29.4.2021)