"Wenn wir etwas erleben wollen, dann müssen wir uns umstellen", sagt Staatssekretärin Andrea Mayer im StandArt-Interview. Stattgefunden hat es auf der Feststiege des Wiener Burgtheaters.

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Die Pressekonferenz des Wiener Bürgermeisters am Dienstagnachmittag ließ Kulturinteressierte ratlos zurück: Zum einen, weil die Kultur mit keinem Wort erwähnt wurde und man deshalb nicht sicher sein konnte, ob die Museen am 3. Mai aufsperren dürfen (dürfen sie), zum anderen, weil Michael Ludwig die geplanten Öffnungen am 19. Mai dezidiert kritisch sah. In Wien hat der Bürgermeister das letzte Wort. Was sagt die Kulturstaatssekretärin dazu? Wir haben Andrea Mayer (Grüne) zum StandArt-Videointerview auf der Feststiege des Burgtheaters getroffen. Hier die Printfassung.

STANDARD: Auf die Euphorie folgte am Dienstag mit der PK des Wiener Bürgermeisters der Dämpfer. Wackeln die Öffnungsschritte in der Kultur?

Mayer: Die Bundesregierung gibt einen Rahmen vor, die Landeshauptleute können innerhalb dieses Rahmens strengere Regeln verordnen. Für strengere Regeln braucht es aber sehr, sehr gute Gründe. Das können Inzidenzzahlen sein oder die Belegung der Intensivbetten. Ich habe es als positiv gewertet, dass der Wiener Bürgermeister mit dem 3. Mai ein Ende des Lockdowns verkündet hat. Der Herr Bürgermeister ist ein kulturaffiner Mensch, und er kennt wie wir alle die Studien, die besagen, dass in einem Konzerthaus oder Theater die Aerosolbelastung nicht so hoch ist.

STANDARD: Was bedeutet das nun: Sollen sich die Direktoren der Wiener Kulturhäuser auf eine Öffnung einstellen oder nicht?

Mayer: Ich sage allen, dass jetzt die richtige Zeit ist, die Öffnungsschritte für den 19. Mai zu planen.

STANDARD: Die Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler scheint da nicht so sicher zu sein. In einem Interview auf Ö1 riet sie Kulturschaffenden, sich einen Plan B zurechtzulegen.

Mayer: Ich bin nicht in der Wiener Politik tätig, aber ich bin mit den Wienern im engen Kontakt, und es sprechen alle guten Gründe dafür, die Kultur am 19. Mai zu öffnen.

STANDARD: Haben Sie Verständnis dafür, wenn Institutionen doch nicht aufsperren wollen?

Mayer: Es ist niemand gezwungen zu öffnen, das muss jedes Haus für sich entscheiden. Ich habe aber von keinem einzigen Haus gehört, dass man geschlossen bleiben möchte. Die Kulturbetriebe hatten eher die Sorge, dass die Sitzplatzbelegung so stark beschränkt würde, dass man vor leerem Haus spielen müsse. Das ist glücklicherweise nicht der Fall.

STANDARD: Eine Belegung von 50 Prozent bedeutet veritable Umsatzeinbußen. SPÖ-Kultursprecherin Gabriele Heinisch-Hosek fordert einen Hilfstopf, um die Einbußen abzufedern.

Mayer: Wir haben bereits vergangenes Jahr alle Kunstförderungen ausbezahlt, unabhängig davon, ob ein Betrieb stattfinden konnte oder nicht. So ist es auch im jetzigen Budget. Wir haben eine deutliche Erhöhung des Budgets erhalten, da muss niemand um seine Förderungen fürchten. Zusätzlich hat die Bundesregierung klargestellt, dass alle Hilfstöpfe bis Ende Juni weiterlaufen. Wenn es sein muss, werden wir auch über den Sommer hinaus weitere Hilfe anbieten. Noch nie in seiner ganzen Geschichte hat der Bund so viele Budgetmittel für Kunst und Kultur zur Verfügung gestellt wie in dieser schwierigen Situation.

STANDARD: Man wird nur mit Maske und Zutrittstest Zugang zu Kultur erhalten: Was macht Sie so sicher, dass die Kontrolle der Eintrittstests problemlos vonstattengehen wird?

Mayer: Es hat sich im Laufe dieser Pandemie schon oft gezeigt, wie flexibel die Kulturbranche ist. Nach einigen Tagen der Diskussion waren die Bedenken vom Tisch. Mittlerweile ist allen klar, dass Kulturbetriebe die Kontrolle der Tests zusätzlich machen werden. Vonseiten der Politik ist aber auch klar, dass genügend Testmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden müssen.

STANDARD: Es gibt Kulturbranchen, die wenig Grund zur Freude haben: Konzert- und Festivalveranstalter etwa. Welches Szenario halten Sie in diesem Bereich für realistisch?

Mayer: Alle Experten warnen uns vor der Aerosolbelastung in einer Stehplatzsituation. Die Situation ist schwierig, aber wir haben mit der Erlaubnis, 50 Stehplätze zuzulassen, einen Fuß in der Tür. Im Freien sind bis zu 3000 Menschen erlaubt, warum sollte es nicht möglich sein, ein Popkonzert im Sitzen abzuhalten? Wenn wir etwas erleben wollen, müssen wir uns umstellen. Ein nächster Öffnungsschritt soll am 1. Juli kommen. Dann sind hoffentlich auch höhere Stehplatzzahlen möglich. Große Festivals sind für den Sommer aber schwer vorstellbar.

STANDARD: Ewald Tatar, der Veranstalter des Frequency-Festivals, braucht bis Mitte/Ende Mai eine Ansage, ob das Festival stattfinden kann. Beim Nova Rock schwiegen Sie, werden Sie das diesmal wieder tun?

Mayer: Ich war mit Herrn Tatar sehr wohl in Kontakt. Die Politik macht die Rahmenbedingungen, die Entscheidungen trifft aber der Veranstalter. Ich werde alles daransetzen, dass wir noch im Mai für den ganzen Kultursommer die nötigen Bedingungen schaffen.

STANDARD: Am Dienstag wurde bekannt, dass es bei einem Testkonzert in Barcelona mit 5000 Zuschauern kaum Ansteckungsfälle gab. Beeindruckt Sie das nicht?

Mayer: Dieses Ergebnis werde ich in die Diskussion über nächste mögliche Öffnungsschritte in der Bundesregierung einbringen. Deutlich. Wir haben vergangenen Sommer gezeigt, wie es in der Kulturbranche funktionieren kann – und zwar in ihrer ganzen Breite. Wir brauchen keine weiteren Tests.

STANDARD: Auch die Clubkultur ist ein Sorgenkind: Wird es mit der Einführung des grünen Passes wieder offene Clubs geben?

Mayer: Im ersten Öffnungsschritt sind Clubkultur und Nachtgastronomie ausgespart, schauen wir, wie es beim zweiten aussieht. Ich bin mit den Clubveranstaltern in Kontakt und hoffe, dass es auch für sie bald eine Perspektive gibt. Ein konkretes Datum kann ich aber nicht nennen.

STANDARD: In Berlin verlegt man Clubs ins Freie. In Österreich werden Open-Air-Veranstaltungen von den Bundesländern genehmigt. Im Falle von Wien ist das ein bürokratischer Spießrutenlauf. Wäre jetzt nicht ein guter Zeitpunkt für Vereinfachungen?

Mayer: Es ist generell wichtig, dass im Sommer vieles im Freien stattfindet. Wir haben eine eigene Ausschreibung für Freiluftkonzepte gemacht, Frischluft, die wird sehr gut angenommen. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Genehmigung von Projekten bürokratisch so schwierig wäre.

STANDARD: Wenn ein Bundesland selbst zum Veranstalter wird, scheint es leichter zu sein. Der Wiener Kultursommer im letzten Jahr hat gut funktioniert. Warum kein österreichischer Kultursommer?

Mayer: Ich sehe mich als Kulturpolitikerin und nicht als Veranstalterin. Meine Rolle ist, die Rahmenbedingungen für einen vielfältigen, bunten Kultursommer zu gestalten.

STANDARD: Sie sind Teil des Comeback-Teams der Regierung. Dieses soll das wirtschaftliche Comeback nach Corona gestalten. Was ist konkret in der Kultur geplant?

Mayer: Wir haben mehrere Ausschreibungen laufen, mit denen wir die Kunst- und Kulturbranche unterstützen. Neben Frischluft, einer Digitalisierung- und einer Innovationsausschreibung wird es ein Investitionspaket für Kulturhäuser geben, um zum Beispiel eine neue Klimaanlage einzubauen. Wir merken, dass die Kunst- und Kulturbranche hungrig nach Neuem ist. Und wir sehen, dass die Kultur ohne große Schäden durch die Krise gekommen ist.

STANDARD: Wie wird das Kulturleben nach Corona aussehen?

Mayer: Kulturschaffende werden die Einschnitte, die wir erlebt haben, künstlerisch verarbeiten. Wir werden einen anderen Kulturbetrieb haben, vielleicht ist das auch positiv. Er wird konzentrierter sein, man wird mehr auf Qualität achten. (INTERVIEW: Stephan Hilpold, 29.4.2021)