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Der russische Impfstoff Sputnik V gerät in schiefes Licht.

Foto: REUTERS/Shamil Zhumatov

Kaum ein anderer Impfstoff wurde bereits vor seiner Zulassung durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) so kontrovers diskutiert wie das russische Vakzin Sputnik V. Aktuell hat die EMA die wissenschaftliche Qualität der russischen Impfstoffstudien im Visier. Beim sogenannten Rolling-Review-Verfahren müssen die Sputnik-V-Entwickler Daten einreichen, die fortlaufend geprüft werden. Außerdem befinden sich europäische Experten in Russland vor Ort, um die Durchführung der klinischen Studien zu überprüfen. Im Mai schließlich sollen auch die Herstellungsprozesse untersucht werden.

Laut einem Bericht der "Zeit" fehlen für das Zulassungsverfahren noch essenzielle Daten. Bis es tatsächlich zu einer Zulassung kommt, dürften also noch einige Monate vergehen – falls diese überhaupt erteilt wird. Denn aktuelle Informationen weisen nicht nur auf Mängel bei den veröffentlichten Studiendaten hin, auch bei der eigentlichen Produktion soll schwer gepatzt worden sein, wie die brasilianischen Gesundheitsbehörden erklärten.

Impfstoff mit zwei Vektoren

Der offizielle Name von Sputnik V (das "V" steht übrigens für "Victory" und ist keine römische Fünf) lautet Gam-COVID-Vac, entwickelt wurde er vom Gamaleja-Institut für Epidemiologie und Mikrobiologie in Moskau. Sputnik V ist ein sogenannter Vektorimpfstoff und funktioniert auf derselben Basis wie die Impfstoffe von Astra Zeneca und Johnson & Johnson.

Einfach erklärt bedeutet dies, dass die Forscher unschädlich gemachte Adenoviren, also Erkältungsviren, als Träger einsetzen, in die sie Gene des Sars-CoV-2-Virus eingeschleust haben; bei Astra Zeneca beispielsweise stammen diese Viren von Schimpansen. Ein wesentlicher Schritt, um die Vektorviren verwenden zu können, ist die standardmäßige Löschung einiger ursprünglicher viraler Erbinformationen, darunter vor allem die Gene E1 und E3, was verhindern soll, dass sich das Virus vermehren und mit dem Immunsystem interagieren kann.

Die neu eingebaute Erbinformation wiederum ist für die Ausbildung des Spike-Proteins an der Oberfläche des Erregers verantwortlich. Nachdem der Impfstoff in die Muskulatur injiziert worden ist, kann das Immunsystem darauf reagieren und seine Abwehr gegen das Virus aufbauen.

Innovativ und funktionstüchtig

Ein solches Verfahren ist durchaus innovativ, bisher waren Adenoviren nur als Vehikel bei Gentherapien eingesetzt worden, die auf einer einmaligen Anwendung basieren. Bei Impfungen freilich sind in der Regel mehrere Verabreichungen nötig. Als problematisch kann sich bei diesem Verfahren erweisen, dass das Immunsystem nach der ersten Dosis auch Antikörper gegen die Adenoviren selbst bildet. Das wiederum kann unter bestimmten Umständen die Wirkung einer zweiten Impfdosis abschwächen.

Um eine solche Antikörperbildung gegen das Vektorvirus zu verhindern, haben die russischen Wissenschafter gleich zwei unterschiedliche Viren verwendet: Der Impfstoff für die erste Dosis basiert auf einem humanen Adenovirus vom Typ 26 (rAd26), für die zweite Dosis rund 21 Tage später wurde das humane Adenovirus vom Typ 5 (rAd5) verwendet.

Dieses Vorgehen könnte auch zu jener hohen Wirksamkeit beitragen, die Sputnik V laut den im Fachmagazin "The Lancet" veröffentlichten Ergebnissen der Phase-3-Studien hat; von 91,6 Prozent wird dort berichtet. Im April gab der an der Entwicklung beteiligte Russian Direct Investment Fund nach Analysen die Wirksamkeit sogar mit 97,6 Prozent an.

Brasilien lehnt Sputnik V ab

Warum also hat sich in Brasilien, einem der aktuell am schlimmsten von der Pandemie getroffenen Länder der Erde, die nationale Behörde für Gesundheitsüberwachung (Anvisa) dennoch gegen den Einsatz von Sputnik V ausgesprochen? Die renommierte US-Virologin Angela Rasmussen von der Georgetown University, Washington D.C., weist in einem aktuellen Tweet auf grundsätzliche Probleme bei Sputnik V hin:

Vektor nicht unschädlich gemacht?

Mit anderen Worten: Einer Präsentation der brasilianischen Arzneimittelbehörde zufolge habe man nach Analysen von Sputnik V herausgefunden, dass das Vektorvirus der zweiten Teilimpfung, das humane Adenovirus 5, offenbar nicht unschädlich gemacht wurde. Es sei demnach weiterhin aktiv, könne sich vermehren und im Körper der Geimpften ausbreiten.

"Die Macher haben es anscheinend verabsäumt, (das Gen, Anm.) E1 zu löschen. Sich damit impfen zu lassen bedeutet also, sich direkt mit dem Adenovirus 5 zu infizieren", schreibt Rasmussen auf Twitter. Obwohl es sich grundsätzlich um ein harmloses Vektorvirus handelt, könnte es für Personen mit geschwächtem Immunsystem durchaus zur Gefahr werden. Eine ausführliche Beschreibung des Problems gibt es auf Science Translational Medicine.

Slowakische Bedenken

Es ist nicht das erste Mal, dass eine Behörde sich gegen Sputnik V entscheidet: Vor zwei Wochen hat das Slowakische Staatliche Institut für Arzneimittelkontrolle (ŠÚKL) eine Empfehlung des russischen Impfstoffs abgelehnt. Man habe schlicht nicht genügend Informationen, um über Nutzen und Risiko von Sputnik V urteilen zu können, auf jeden Fall zu wenig, um alle medizinisch relevanten Faktoren seriös beurteilen zu können. Von Inkonsistenzen war die Rede und der Unmöglichkeit, verschiedene Studien und in Staaten verwendete Chargen zu vergleichen. Das Land hatte zwei Millionen Dosen von dem Impfstoff bestellt, was eine innenpolitische Krise auslöste.

Der Russische Fonds für Direktinvestitionen (RFPI), eine staatliche Gesellschaft, die formal für die Vermarktung von Sputnik V zuständig ist, reagierte verschnupft auf den slowakischen Bericht. Vertreter des Fonds sprachen von einer Desinformationskampagne gegen Sputnik V. Die vom ŠÚKL aufgestellten Behauptung seien "Fake-News".

Auch die nun erhobene Kritik wiesen russische Experten strikt von sich: "Die Aussagen, die ich in der Presse gelesen habe, haben nichts mit der Realität zu tun", erklärte Denis Logunow, stellvertretender Direktor des Gamaleja-Instituts. Er bestehe darauf, dass sich der in Sputnik V verwendete Adenovirus-Vektor nicht replizieren könne. (tberg, red, 30.4.2021)