Aus zwei gegensätzlichen Ecken der kleinen österreichischen Welt kamen die Signale, die für eine wohltuende Ablenkung von den salbungsvollen Prophezeiungen des Bundeskanzlers sorgten. Wolfgang Sobotka fand seinen Wunsch, die Wahrheitspflicht im parlamentarischen Untersuchungsausschuss aufzuheben, mit dem er für Kurz alles dichtmachen will, nachträglich als zugespitzt. Künstler, die unter dem Hashtag "Alles dichtmachen" ihrem monatelangen Frust und ihrer verständlichen Verzweiflung einmal offen zugespitzt Luft machen wollten, erfuhren brutal, was hierzulande den Unterschied zwischen einem türkisen Präsidentendarsteller und einer Schar von Fernsehdarstellern ausmacht. Diese bekamen mit voller Breitseite den Vorwurf des Zynismus und der Geschmacklosigkeit zu spüren, der jenen nur noch in einer Milde erreichte, die beunruhigend, aber für den Zustand der Republik unter dem Regime Kurz charakteristisch geworden ist.

Wolfgang Sobotka lässt seinen Kumpanen Sebastian Kurz vor dem Untersuchungsausschuss nicht allein.
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Es ist eine verkehrte Welt. Das Bemühen, Künstler einzuschüchtern, indem man sie absichtlich missversteht, entsprach nicht dem Bemühen aufzuzeigen, wo wirklich ein Zynismus praktiziert wird, der über Geschmacklosigkeit in einer demokratiegefährdenden Weise weit hinausgeht, und das aus dem Mund eines Politikers, der im Staat an zweiter Stelle rangiert. Die kaum verklausulierte Einladung zum Lügen vor einem U-Ausschuss ist die Zuspitzung der bisherigen Amtsführung Sobotkas, die sich unter Berufung auf Zuspitzung nicht verharmlosen, aber vielleicht mit dem Ansinnen, er sei eigentlich Künstler, erklären lässt.

Zugespitztes Verhalten

Doch Sobotka ist nur der Dichtmacher für einen anderen, nämlich den Drittplacierten im Staat, der schon Kunstliebhabern ein zugespitztes Verhalten angekreidet hat. Er lässt seinen Kumpanen vor dem Untersuchungsausschuss nicht allein, sondern hat 692 Mitarbeiter in den Rang von Komplicen im Dichtmachen befördert. Stellvertretend für sie legte er dem Verfassungsgerichtshof statt der angeforderten Schriftstücke ebenso viele E-Mails vor, die bestätigen sollen, das es diese Schriftstücke nicht (mehr) gibt. Sie sind längst dichtgemacht. Vielleicht geschreddert. Und was einmal "vernichtet worden ist, das kann selbstverständlich nicht geliefert werden". So selbstverständlich, dass sich der Nationalrat und der Verfassungsgerichtshof brausen können, die Opposition sowieso, ist deren Neugier doch nur eine geschmacklose Zuspitzung.

Über der erfreulichen Gefolgschaft der 692 hat er großzügig über einen anderen Zuspitzer hinweggesehen, der ihn diese Woche als Sympathisanten von Sobotkas Wahrheitsbegriff dastehen lässt. Natürlich nur bis zum Beweis des Gegenteils, auf den man bisher allerdings noch wartet. Im kleinen Untersuchungsausschuss zu den Beschaffungen in der Corona-Krise stellte der emeritierte Impfkoordinator Clemens Martin Auer fest, Kurz habe, entgegen seiner Behauptung, sehr wohl von der Möglichkeit gewusst, zusätzlichen Impfstoff zu bestellen. Nicht alles lässt sich schreddern.

Der Trend zum Zuspitzen lässt auch andere nicht ruhen. So warf Herbert Kickl Sobotka vor, er gebärde sich bei seinem missglückten Versuch in parlamentarischer Maskenpflicht wie ein "Waidhofener Mussolini". Wenn die Freiheitlichen jetzt nur nicht zu einem Marsch auf Waidhofen rüsten – das wäre zugespitzt. (Günter Traxler, 30.4.2021)