Arlene Foster scheiterte an den praktischen Folgen des Brexits.

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Eindeutiger hätte die Geste kaum sein können. Kaum sickerte am Mittwoch in Belfast durch, die nordirische Ministerpräsidentin Arlene Foster werde nach gut fünf Amtsjahren ihren Rücktritt ankündigen, signalisierte deren Nachfolgefavorit schon einen Kurswechsel: Kurzfristig sagte Umwelt- und Agrarminister Edwin Poots ein Treffen mit seinem südirischen Pendant ab. Denn auf der Tagesordnung standen unter anderem Probleme des Brexits; dieser stellt die Hauptursache für das vorzeitige Aus der 50-jährigen Chefin der protestantisch-unionistischen DUP dar.

Der schwarze Schatten des Brexits lastet schwer auf dem britischen Nordosten der Grünen Insel, dessen Abtrennung vom Rest des Landes sich am Montag zum 100. Mal jährt. Seit Neujahr, als das Vereinigte Königreich endgültig EU-Binnenmarkt und Zollunion verließ, gilt für Nordirland eine Ausnahmeregel. Dieses Protokoll hält die vielerorts kaum noch existente Landgrenze auf der Insel offen und garantiert den Verbleib von ganz Irland im europäischen Binnenmarkt. Dadurch entstand aber die Notwendigkeit begrenzter Zoll- und Warenkontrollen – eine Notwendigkeit, die von London gern geleugnet oder als irrelevant heruntergespielt wird.

Leere Supermarktregale

Die Realität sieht anders aber aus: Supermarktregale blieben immer wieder leer, weil wegen zeitraubender Kontrollen der Nachschub fehlte. Die Brexit-Regierung macht dafür Brüsseler Starrsinn verantwortlich; die EU-Kommission hat zusätzlich für Empörung gesorgt, weil sie Ende Jänner im Impfstreit mit Astra Zeneca kurzzeitig die Schließung der Landgrenze in Aussicht stellte. Im Gegenzug hat London einseitig die Übergangsfristen für Zoll- und Veterinärkontrollen verlängert, wogegen Brüssel gerichtlich vorgeht.

Dublin bedaure jegliche Beeinträchtigung der nordirischen Wirtschaft, beteuerte der irische Vizepremier Leo Varadkar kürzlich. Die Schuld an den neuen Hindernissen liege woanders: "Wir wollten sie nicht, deshalb waren wir gegen den Brexit und gegen Großbritanniens Austritt aus dem Binnenmarkt."

Mehrheit für EU-Verbleib

Auf ebenso einfache wie brutale Weise umschrieb Varadkar damit das Dilemma der nach London orientierten Protestanten. Die DUP positionierte sich als einzige größere politische Kraft Nordirlands vor fünf Jahren für den Brexit. Hingegen stimmten die Nordiren mit 56 zu 44 Prozent für den Verbleib in der EU. Kein Wunder, dass die nun auftretenden Probleme selbst von der eigenen Klientel der Protestantenpartei zugerechnet werden.

Zumal deren Unterhaus-Abgeordnete alle Kompromissideen von Johnsons Vorgängerin Theresa May torpedierten. Der einst vom DUP-Parteitag gefeierte Brexit-Vormann Boris Johnson versprach zwar mehr Härte, unterzeichnete aber den nun geltenden Vertrag.

London müsse "öffentlich akzeptieren, dass Nordirland anders behandelt werden muss als der Rest des Vereinigten Königreiches", fordert Mays einstiger Vizepremier David Lidington. Was der konservative Altpolitiker von Premier Johnson verlangt, gilt freilich auch für Fosters Nachfolger: ein Eingeständnis der politischen und gesellschaftlichen Realität.

Rückwärtsgewandtheit

Ob man dies von Poots erwarten kann? Das Mitglied einer protestantischen Sekte leugnet die Evolution und setzt Schwule gleich mit Menschen, die "gefährlichen" Sex haben. Diese Meinungen sind in der DUP weitverbreitet: Zu Fosters Sturz trug bei, dass sie sich vergangene Woche im Belfaster Regionalparlament enthielt, als es um das Verbot der Konversionstherapie, also der angeblich möglichen Umorientierung von Homosexuellen, ging. Poots stimmte gegen das Verbot.

Schon tönt die Co-Leiterin der Belfaster Allparteienregierung Michelle O’Neill, mit ihr seien "rückwärtsgewandte Ideen" nicht umzusetzen. Das ist deshalb wichtig, weil jeder DUP-Kandidat für das Amt des Regierungschefs dem Karfreitagsabkommen von 1998 zufolge die Unterstützung der katholisch-republikanischen Sinn Féin braucht, deren Regionalvorsitzende O'Neill ist.

Covid-Beschränkungen ignoriert

Freilich ist die Rückwärtsgewandtheit nicht auf eine Seite beschränkt. O’Neill und ihre Parteivorsitzende Mary Lou McDonald nahmen im Sommer 2020 am Begräbnis des IRA-Terroristen Robert "Bobby" Storey teil – und ignorierten Covid-Beschränkungen. Das Ermittlungsverfahren gegen die Parteiführung, deren enge Verbundenheit mit der irisch-republikanischen Terrortruppe demokratiepolitisch heikel bleibt, wurde zu Monatsbeginn sang- und klanglos beerdigt, was bis weit in die bürgerliche Gesellschaft hinein für Erbitterung sorgte – ein weiterer Nagel im Sarg von Arlene Fosters unglücklicher Amtszeit. (Sebastian Borger aus London, 29.4.2021)