Dass zwischen Außenminister Mohammed Javad Zarif und den mächtigen iranischen Revolutionsgarden nicht gerade eitel Wonne herrscht, ist kein Geheimnis: Dazu braucht man nur zu lesen, was deren Medien über ihn schreiben. Auch dass Zarif unter seiner politischen Machtlosigkeit leidet, weil die Pasdaran Teile der iranischen Außenpolitik gekapert haben, war bekannt: Schon 2019 wollte Zarif zurücktreten, nachdem er über einen Besuch von Syriens Präsident Bashar al-Assad in Teheran nicht einmal informiert worden war.

Ein gestresster iranischer Außenminister Mohammed Javad Zarif: Das Bild stammt aus dem Februar, dem Monat, in dem auch das geleakte "Interview" aufgenommen wurde.
Foto: ATTA KENARE / AFP

Aber dass im Außenministerium der Islamischen Republik Iran eine Art "Oral History"-Projekt läuft – so stellen es die Beteiligten dar –, bei dem sich der Minister über die Revolutionsgarden, also die Hüter der iranischen Revolution, auslässt und sich dabei aufnehmen lässt, das ist doch erstaunlich. Das war im Februar, und es hat zwei Monate gedauert, bis das Gespräch geleakt wurde. Und die Aufregung darüber ebbt nicht ab.

Im Wesentlichen sagt Zarif im Gespräch mit dem Ökonomen Saeed Laylaz Dinge, die man, wie gesagt, schon weiß: In gewissen Bereichen der Außenpolitik hat der Außenminister nichts zu sagen, manches erfährt er nicht einmal – beziehungsweise erst später. Zarif spricht dabei aber explizit auch die Rolle des Chefs der Al-Quds-Einheiten Ghassem Soleimani, der im Jänner 2020 von den USA bei einem Luftschlag getötet wurde, an: und zwar konkret, dass Soleimani versucht habe, die Atomdiplomatie, die 2015 zum Wiener Abkommen führte, zu stören. Damit vergreift er sich an einer nationalen Ikone.

Auch Russland kommt dabei schlecht weg: Moskau wolle verhindern, dass sich das iranische Verhältnis zum Westen verbessere. Diese Aussage kommt eher überraschend: Von einer destruktiven russischen Rolle bei den Atomverhandlungen war eigentlich nie die Rede gewesen.

"Theoretische Diskussion"

Die Teheraner Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen aufgenommen. Um welchen Tatbestand es dabei geht, ist nicht ganz klar. Die Gegner Zarifs bezichtigen ihn des "Verrats" und der "Verleumdung". Zarif hat am Mittwoch auf Instagram ein Video gepostet, das ihn beim Besuch einer Gedenkstätte für Soleimani – seinen "langjährigen Freund" – zeigt. Er bedaure, dass eine "vertrauliche theoretische Diskussion über die Notwendigkeit, die Zusammenarbeit zwischen Diplomatie und Militär zu verstärken", zu einem internen Zwist geführt habe, zitiert ihn RFE/RL (Radio Free Europe Radio Liberty).

Die große Frage ist nun: Wer steckt dahinter – und welchen Zweck hat das alles? Erste Überlegungen gingen in die Richtung, dass Zarif selbst an der Veröffentlichung Interesse haben könnte, um sich eventuell für eine Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen im Juni zu positionieren. Das Reformlager sieht den Wahlen eher besorgt entgegen. Seine Wählerschaft steht einer Normalisierung mit dem Westen freundlich gegenüber.

Der Aufnahme ist zu entnehmen, dass Zarif der Meinung war, was er sage, werde sich günstig für ihn auswirken, sollte er kandidieren: Er werde "nicht erlauben, das zu veröffentlichen, um Stimmen zu bekommen". Da das Interview im Zentrum für Strategische Studien aufgenommen wurde, einem Thinktank, der Präsident Hassan Rohani nahesteht, ist ein Berater von Rohani als Quelle des Leaks in Verdacht geraten. Hesamoddin Ashena wurde zum ersten" Opfer" der Krise, er trat zurück.

Rücktritt oder Rausschmiss

Mittlerweile ist jedoch der Backlash so groß, dass eher angenommen wird, Gegner Zarifs könnten für die Veröffentlichung gesorgt haben. Falls Zarif tatsächlich kandidieren wollte, wäre es dem Wächterrat nun ein Leichtes, seine Kandidatur zu verbieten. Die Tageszeitung Javan, die ein Organ der Pasdaran ist, fordert Zarifs Rücktritt oder Rausschmiss. Besser wird die Sache auch dadurch nicht, dass als TV-Medium für die Veröffentlichung des geleakten Interviews Iran International in London erkoren wurde, laut Teheran ein von Saudi-Arabien finanziertes Sprachrohr für antiiranische Propaganda.

Zarifs Gegner erhalten den Druck unter anderem mit dem Argument aufrecht, dass die Affäre auch in den USA ihr Opfer fordern könnte: Dort ist John Kerry, Außenminister in der zweiten Amtszeit von Barack Obama und dessen Atomverhandler mit dem Iran, durch das Zarif-Leak in die Schlagzeilen gekommen. Zarif sagt nämlich, dass Kerry ihn über die israelischen Luftschläge auf iranische Ziele in Syrien informiert habe. Kerry, nunmehr US-Präsident Joe Bidens Klimabeauftragter, dementiert entschieden.

Zarif und Kerry waren während der Atomgespräche (2013 und 2015) in Wien ein medial oft beschriebenes Außenministerpaar, das trotz aller oft rauen Auseinandersetzungen eine Vertrauensbasis zueinander aufgebaut hatte – was beiden von ihren Hardlinern zu Hause in gleichem Ausmaß verübelt wurde. Zarif behauptet in dem geleakten Gespräch, dass Kerry ihm gesagt habe, dass Israel "200-mal in Syrien angegriffen" habe. Vom iranischen Militär habe er diese Information nicht erhalten.

Gleichzeitig ist unbestreitbar, dass die Informationen über die israelischen Angriffe damals – als sie quantitativ so substanziell geworden waren – längst in der öffentlichen Domäne angekommen waren. Auch Israel selbst machte sich nicht die Mühe, seine Urheberschaft zu dementieren. (Gudrun Harrer, 30.4.2021)